Beim World Economic Forum in Davos war heuer nach den Pandemie-Jahren erstmals wieder eine chinesische Delegation präsent, und wie die „New York Times“ schreibt, versuchten die Delegierten dort nach Kräften, die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass das globale Wirtschafts-Powerhouse des letzten Jahrzehnts zur Normalität zurückgekehrt sei. Gleichzeitig ist 2022 zum ersten Mal seit über 60 Jahren die Bevölkerung Chinas nicht weitergewachsen, sondern geschrumpft. Während die Wiederöffnung Chinas nach drei Jahren der strikten Covid--Restriktionen allgemein begrüßt wird, mehren sich unter Ökonomen die Stimmen, die ein Stottern des chinesischen Wirtschaftsmotors wahrnehmen.

Horizontal gegen vertikal
Die demografische Entwicklung im Reich der Mitte ist nur einer der Gründe dafür. Die beiden US--Forscher Dr. Allen J. Morrison und Dr. J. Stewart Black skizzieren in ihrem neuen Buch „Enterprise China“ (derzeit nur auf Englisch erhältlich) mehrere Faktoren, welche Chinas Comeback gefährden -können. Neben dem -Bevölkerungsrückgang – insbesondere der kleiner werdenden Zahl der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter – sehen sie etwa auch -einen Rückgang der Binnenmigration und wachsende Unstimmigkeiten zwischen der Zentralmacht auf der einen und von mächtigen Regional- bzw. Stadtregierungen unterstützten (teils privaten) Unternehmen auf der anderen Seite. Das alte, „vertikale“ China, in dem alle Entscheidungen von oben nach unten getroffen worden seien, gerate zusehends mit einem „horizontalen China“ in Konflikt, das auch von neuen -wohlhabenden Bevölkerungsschichten getragen werde.

Umdenken in Europa
„China hat in der Krise durch seine strikten Restriktionen im Westen sicherlich an Attraktivität eingebüßt“, fasst der Wiener Ökonom Prof. Dr. Harald Oberhofer eine Entwicklung der vergangenen Jahre -zusammen.
Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der WU Wien sieht zwei Aspekte der Öffnung: einerseits eine große, monatelange Erkrankungswelle, die sich sicherlich negativ auf die Nachfrage in China und damit auf die europäischen Exporte auswirke, wovon natürlich auch der Absatz europäischer Autos in China betroffen sei, andererseits aber auch das Ende der harten Lockdowns. „Es wird nicht mehr gleichzeitig alles stillstehen, das ist natürlich positiv zu sehen. Das gilt auch für die Häfen. Sie werden nicht mehr komplett schließen, also wird auch die Verladung von Autos funktionieren, wenn auch eingeschränkt.“
Nicht nur seine eigene Covid-Strategie habe China beschädigt, so Oberhofer. Auch der Krieg in der Ukraine spiele eine Rolle bei einer etwaigen Abkehr vom chinesischen Geschäft. Der Angriff Russlands habe bei westlichen Staaten und Unternehmen ein Umdenken ausgelöst, mit wem man Geschäfte machen dürfe und wolle. „Die Frage der Werte und der politischen Ausrichtung war für wirtschaftliche Beziehungen zu autoritär geführten Ländern bis dahin eher zweitrangig. Mittlerweile ist man deutlich vorsichtiger“, so der Wirtschaftsprofessor. So manches westliche Unternehmen hätte sich bereits im asiatischen Raum nach Alternativen umgesehen, welche ähnlichen Kostenvorteile sich bei liberaleren politischen Gegebenheiten böten.
Morrison und Black bemängeln außerdem die zu geringe Produktivität und Innovationskraft der chinesischen Wirtschaft ebenso wie das Fehlen einer offenen Führungs- und Fehlerkultur. Es sei fraglich, ob chinesische Unternehmen den Schritt vom Imitieren und Aneignen hin zu Innovation aus eigener Kraft schaffen können – nicht, weil die Mitarbeiter weniger kreativ seien, sondern weil die dazu nötige Unternehmenskultur fehle, so Morrison und Black. Wolle man im internationalen Ausland mit seinen Unternehmen bestehen, brauche man -insbesondere in den Management--Teams und Vorständen eine hohe Diversität, welche auch große chinesische -Player -derzeit vermissen ließen, so die Forscher.

Starke Position
Dass China schwächelt oder gar in seiner Entwicklung langfristig gehemmt ist, gilt unter Ökonomen keineswegs als sicher. China habe sich vor allem in afrikanischen Ländern bereits stark etabliert, räumt Oberhofer ein, und insbesondere als Rohstofflieferant sei China auf Jahre hinaus eine nicht zu vernachlässigende Größe in der globalen Wirtschaft.
Das gilt besonders auch für den Automotive--Sektor, etwa im Feld der Elektromobilität. Chinesische Hersteller drängen – wie an dieser Stelle mehrfach ausführlich analysiert – massiv nach Europa. Das deutsche Center of Automotive Management (CAM) hat in seinem E-Mobility Report 2022 erstmals zwei chinesische Anbieter in den Top 3. Anbieter BYD, erst unlängst in Österreich gestartet, hat seinen weltweiten Fahrzeugabsatz im abgelaufenen Jahr fast verdreifacht und hält nunmehr mit über 900.000 Stück auf Platz 2 hinter Tesla.