AUTO-Information: Die Branche durchlebt das 3. Krisenjahr. Wie beurteilt der VÖK das 1. Halbjahr 2022?
Bernhard Kalcher: Der VÖK, der mehr als 2.500 Fachbetriebe als Dachorganisation der Händlerverbände, welche alle VÖK-Mitglieder sind, vertritt, versteht sich als Dienstleistungsbetrieb für die Händlerverbände: Er organisiert, klärt ab, gibt aber auch den Händlerverbänden die Möglichkeit, zu publizieren oder an die Öffentlichkeit zu gehen, ohne selbst in die erste Reihe treten zu müssen. Die Situation des 1. Halbjahrs war besonders gekennzeichnet durch die Auswirkung der Pandemie – die betraf sowohl Handel als auch Gewerbe. Der VÖK hat versucht, die Händlerverbände und somit die Markenbetriebe zu informieren, wie man Probleme, die aufgrund dieser langanhaltenden Pandemie entstanden sind, bewältigen könne. Auch im Hinblick auf die Auswirkungen des Ukrainekriegs wurde versucht, Lösungen zu erarbeiten und vor allem Gespräche mit einzelnen Importeuren anzubahnen, um ein konkretes Entgegenkommen der Importeure und deren Wohlwollen für die aktuelle Situation zu erwirken. Das hat bei einigen Marken sehr gut funktioniert, bei anderen Marken ist das auf Unverständnis gestoßen.

In welcher Form konnte der VÖK die Arbeit der Betriebe während der Krise unterstützen?
Kalcher: Es wurden Zahlungsziele und Rücknahmemodalitäten zugunsten der Betriebe verändert und für Kunden, deren Fahrzeuge plötzlich nicht wie geplant lieferbar waren, Stützungsprogramme entwickelt. Der VÖK, gemeinsam mit dem Einzelhandel, hat auch vorgeschlagen, Bonifizierungen von der Stückzahlerreichung abzukoppeln. Es gab eine Anzahl an Möglichkeiten, man muss aber auch ehrlich sagen, dass hier leider nicht jede Automarke, wie vom VÖK gewünscht, auf unsere Vorschläge eingegangen ist. Dennoch zeigten namhafte große Volumenhersteller aufgrund dieser Initiative des VÖK, die ebenso vom Einzel- und Fahrzeughandel gefordert und mitgetragen wurde, Reaktionen. Das dritte Dauerthema, das der VÖK aufgegriffen hat, ist die Lieferfähigkeit der Halbleiter, welches uns jetzt schon das 2. Volljahr begleitet und sich gravierend auf das Tagesgeschäft auswirkt: Faktum ist, dass sogar Volumenmodellreihen nicht voll lieferbar sind. Das schlägt – je nach Marke – unterschiedlich durch. Dadurch müssen in erster Linie Handelsbetriebe, aber auch der Kundendienst, nicht planbare Verzögerungen und massive Einbußen im Tagesgeschäft hinnehmen.

Für wie zielführend erachten Sie neuerliche Investitionen, die zum Teil bereits ohne finale Vertriebsvertragsbasis – quasi in vorauseilender Erfüllung künftig geltender Standards, wie z. B. in Schau­flächen – getätigt werden sollen?
Kalcher: Prinzipiell hat der VÖK die Meinung, dass jede Marke das Recht haben muss, sich im Markt abzuheben und entsprechend darzustellen. Es ist ganz klar, dass jede Marke für sich selbst mit ihrem Vertriebsnetz auffallen, ein Vertriebssystem umsetzen und dies auch optisch darstellen möchte. Die Frage der notwendigen und zielführenden Investitionen ist jedoch eine andere. Es macht keinen Sinn, in bestehende Fußböden zu investieren, um diese „wieder einmal“ in einer anderen Farbe darzustellen. Es müssen hier sowohl der praktische Gedanke und die Kostenersparnis genauso in der Betrachtung einen Stellenwert haben wie auch die Optik, die sich jemand im Design vorstellt. Dieser Spagat, den der Hersteller und auch das Vertriebsnetz machen müssen, ist dem VÖK sehr wichtig: Investitionen ja, aber in angemessenem Ausmaß, und Investitionen, die sich zumindest nach 5 Jahren amortisieren und auch unter entsprechender Beteiligung des Importeurs oder Herstellers.

In welchen Dimensionen erwarten Sie die Ausdünnung der Markenvertriebs- und Servicenetze, um verbleibenden Partnern in Zeiten sinkender Neuwagen-Stückzahlen und geringerem Wartungsbedarf mehr Raum und damit mehr Potenzial zu verschaffen?
Kalcher: Wir leben in einer Transformation: Es ist klar, dass viele Betriebe mit stationärem Handel das bisher gelebte Geschäftsmodell zur Gänze verlieren werden. Bis dato ist aber unklar, wie das neue aussieht. Wir glauben, dass mittel- bis langfristig rund die Hälfte der Handels- und Service-Betriebe nicht mehr in der jetzigen Form in diesem Business tätig sein wird. 20 Prozent werden wohl schon ab 2024 für sich Lösungen außerhalb des Markenhandels suchen. Bei den Kundendienstbetrieben wird diese Entwicklung in abgeschwächter Form und langfristiger erfolgen.

Wie sehen Sie die Zukunft derjenigen Betriebe, die keinen Vertrag mehr bekommen?
Kalcher: Die betroffenen Betriebe werden natürlich Lösungen für sich und ihr Umfeld, in dem sie aufgestellt sind, finden müssen. Das kann auch eine branchenfremde Lösung sein, weil man jede Möglichkeit verfolgen muss – egal ob sie mit der Branche verbunden ist oder nicht. Und wenn es keine andere Möglichkeit gibt, ist auch zusperren eine Option.

Wie stehen die Chancen, dass die EU-Kommission, die eine Wettbewerbsstärkung im Sinne der Konsumenten will, rechtzeitig ihre Richtlinien für den Automobilvertrieb der aktuellen Lage anpasst, bevor mit neuen Verträgen auch wegen bereits erfolgter Investitionen zum Teil auch – Stichwort: unechte Agentur – toxische Beziehungen ­zementiert werden?
Kalcher: Die Chancen stehen aus Sicht des VÖK 50 zu 50. Es gibt Argumentationen, dass eine unechte Agentur sowohl ihre Berechtigung hat als eben auch nicht. Wohin das Pendel ausschlägt, ist aus heutiger Sicht unklar. Der VÖK glaubt prinzipiell, dass ein Agenturmodell, das sauber und korrekt abgewickelt wird, für beide Seiten eine Win-win-Situation sein könnte. Anderseits sieht der VÖK bei einer unechten Agentur ganz massive Schlechterstellungen für den Handel. Aus dem Grund ist es bei einer unechten Agentur noch viel wichtiger, dass es ein Regelwerk gibt, das sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene zementiert ist, und zwar so engmaschig, dass für beide Seiten im Vorhinein ganz klar ist, was erlaubt ist und was nicht. Grundsätzlich sieht der VÖK die Sache pragmatisch: Mit einem verpflichtenden engmaschigen Regelwerk könnte der stationäre Handel leben!

Welche Veränderungen und wirtschaftliche Folgen erwarten Sie für Verkauf und Service durch den bereits beschlossenen Ausstieg aus Verbrennungsmotoren?
Kalcher: Kurzfristig wird es noch nicht zu dramatischen Veränderungen kommen, vielleicht entwickelt sich aufgrund der unterschiedlichen Technologien, Stichwort Hybrid- und E-Auto, sogar ein Peak und es gibt mehr Arbeit. Jene Betriebe, die die Transformation schaffen und die nächsten 7 oder 8 Jahre in dieser Branche überstehen, werden vermutlich ­genügend Arbeit haben. •

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