Nein, Sie haben nicht versehentlich zu "LAND&Wirtschaft" gegriffen: Das große Foto dient der Bebilderung der Einstiegs-Anekdote dieses Berichts. Eine Anekdote aus dem Ukraine-Krieg, die dieser Tage durch die Medien ging und die als gutes Beispiel für die Macht der Datenkontrolle dienen kann. Russische Truppen hatten Traktoren des US-Herstellers John Deere erbeutet und wollten diese laut einem CNN-Bericht in Tschetschenien zum Einsatz bringen. Der Hersteller hat die Fahrzeuge im Wert von 5 Mio. US-Dollar dann via Telematik kurzerhand "gebrickt" (= zum Ziegel gemacht), also eine Inbetriebnahme auf digitalem Weg verunmöglicht. Selbst der Standort der über 700 Kilometer in die Nähe der tschetschenischen Hauptstadt Grosny verfrachteten Fahrzeuge soll ermittelt worden sein.
Es ist sicherlich eine nützliche Anwendung von Telematik, dass man einem Fahrzeugdieb virtuell die Kontrolle über das Diebesgut entreißen kann. Gleichzeitig erscheint es deutlich weniger erstrebenswert, dass ein Hersteller für alle Zeiten die Kontrolle darüber hat, wer sein Fahrzeug in Betrieb nehmen - oder daran Servicearbeiten durchführen darf. Auch im Falle von John Deere gibt es diese Kehrseite der Medaille: So wurde der Hersteller in der Vergangenheit harsch dafür kritisiert, dass er mittels Software-Sperre zu verhindern versuche, dass die Besitzer von Landmaschinen selbst Reparaturen an diesen durchführen.
Fortschrittlicher Wirtschaftsraum
Die Problematik rund um die Daten, die in intelligenten Maschinen - das betrifft längst nicht nur Autos - entstehen, ist nicht gerade unkompliziert, wie an dieser Stelle schon mehrfach nachzulesen war. Von der naiven Frage, wem denn die Daten gehören, haben wir uns mittlerweile gelöst. Wer welche Daten wozu nutzen darf, ist allerdings nach wie vor heißes Thema auf dem politischen Parkett. Dort, in Brüssel nämlich, möchte man Europa gern als fortschrittlichen digitalen Wirtschaftsraum positionieren, in welchem "das Internet" kein wilder Westen mehr ist und auch virtuelle "Gegenstände" klaren, fairen Regeln unterliegen. Nur so lässt sich schließlich Geld damit verdienen.
Anfang des Jahres schlug die EU-Kommission zu diesem Zweck das Datengesetz (Data Act) vor, welches die allgemeine Medienberichterstattung grosso modo im Zusammenhang mit Hassrede in Social Media durchlief. Daneben soll darin nichts weniger als der Grundstein für eine faire digitale Wirtschaft gelegt werden.
"Wir wollen Verbrauchern und Unternehmen nochmehr Mitspracherecht darüber einräumen, was mit ihren Daten geschehen darf", kündigte Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Digitales und Wettbewerb, an. Das Gesetz solle klarstellen, wer zu welchen Bedingungen Zugang zu den Daten habe. Die Datenmenge, um die es geht, nimmt kontinuierlich zu: Waren es 2018 noch 33 Zettabyte (1 Zettabyte entspricht 1 Milliarde Terabyte) an sogenannten Industriedaten, werden 2025 voraussichtlich schon 175 Zettabyte anfallen. 80 Prozent davon würden nicht genutzt, heißt es vonseiten der Kommission - Potenzial, das sich zum Wohle aller heben ließe. Von zusätzlichen 270 Milliarden Euro für das EU-BIP bis 2028 ist die Rede.
"Brauchen spezifische Regeln"
In dem Vorschlag werden 10 Datenräume definiert, die im Wesentlichen großen Wirtschaftsbereichen entsprechen. Die Mobilität ist einer dieser "Data Spaces".
Für den Automotive Aftermarket, dessen Verbände seit Jahren für gerechten Datenzugang trommeln, war der Vorschlag Anlass, zum wiederholten Mal präzise(re) Regelungen für den Sektor zu fordern.
"In dem Gesetzesvorschlag stehen viele gute Dinge drin", meint Walter Birner, Obmann des Verbands der freien KFZ-Teile-Händler Österreichs (VFT). Allerdings sei das Thema Auto sehr spezifisch. Eine Regelung dürfe nicht nur die bereits bekannten Datenpunkte mit einbeziehen, sondern auch mögliche Geschäftsmodelle aufgrund von zukünftigen Datenpunkten mit einschließen.
Auch müssten Hersteller verpflichtet werden, in den Fahrzeugen selbst Rechnerleistung bereitzustellen, um aus vorhandenen Daten eine Vorselektion treffen zu können. Nur so kann verhindert werden, dass potenzielle Datennutzer von der Datenflut quasi überschüttet werden und so eine faire Nutzung unmöglich gemacht werde.
Weiters müsse auf alle Datenpunkte, von denen man bereits wisse und die als wertvoll erkannt worden sind, standardisiert zugegriffen werden können. Als ein solcher Standard könne das SERMI-Schema herangezogen werden, schlägt Birner vor.
Es geht um die mittelständische Wirtschaft
Die detaillierten Verbesserungsvorschläge der Koalition aus Aftermarket-Verbänden - u. a. dabei AIRC, cecra, FIGIEFA, aber auch die FIA sowie Versicherungs-und Leasingverbände -wurden der Kommission bereits übermittelt. In einer Stellungnahme der Koalition heißt es etwa: "Es braucht eine sektorspezifische Gesetzgebung, welche die Prinzipien des 'Data Act' in konkrete technische Maßnahmen gießt." Man fürchte, der Gesetzesvorschlag lasse zu viel Spielraum für Interpretation und damit für Rechtsstreitigkeiten. Was Birner explizit begrüßt: Ausdrücklich kündigt die Kommission "Maßnahmen zur Wiederherstellung einer ausgewogenen Verhandlungsmacht für KMU durch Verhinderung von Ungleichgewichten in Verträgen über die gemeinsame Datennutzung" an. Die EU-Kommission habe erkannt, was auf dem Spiel steht. Der VFT-Obmann: "Wir haben derzeit im Automotive Sektor die Situation eines Marktes, in dem Klein-und Mittelbetriebe eine große Rolle spielen. Wenn wir im Bereich der Daten nicht aufpassen, wird sich das rasch ändern und unser Leben auch im Auto von den großen digitalen Playern (Amazon, Google, Meta und Apple) dominiert. Ich sehe, dass diese Gefahr der Kommission bewusst ist."