Keine 40 Kilometer, aber fast 40 Jahre liegen zwischen dem verhinderten Donaukraftwerk Hainburg und der unterbundenen Schließung des sogenannten Regionenrings um die Bundeshauptstadt. Und während das eine Event der österreichischen Bau-Boykott-Geschichte die Keimzelle der Grünen war, saß die Partei im zweiten Fall bereits selbst am Ruder. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) bestätigte Anfang Dezember 2021 die Einstellung aller Planungs-und Baumaßnahmen, "Gewessler stoppt Lobautunnel" titelte orf.at am 1. Dezember.
Grüne Experten widersprechen grünen Experten
Die Ministerin musste dafür nicht einmal Holzfällertrupps auf dem Weg zu ihrer Arbeit blockieren, wie es damals -ebenso in der klirrenden Dezember-Kälte -in der Stopfenreuther Au passiert ist. Sie musste auch nicht den "bis dahin beispiellos brutalen Polizeieinsatz"* und mehrere Räumungsversuche durchleiden. Es geschah "durch einen politischen Federstrich", wie es Christian C. Pochtler, Präsident der Industriellenvereinigung Wien, bezeichnete. Während Grüne, Greenpeace, Naturschutzbund Österreich und auch die NEOS jubelten, als wäre es 1984, ortete Die neue Volkspartei Wien einen Angriff auf Wirtschaft und Verkehr. "Ein Schlag ins Gesicht der Wienerinnen und Wiener" hieß es vonKlubobmann Markus Wölbitsch. Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, dass der Weg zum Lobautunnel keinesfalls eine g'mahte Wiesn war, denn schon 2006 versuchten Gegner des Projekts, Probebohrungen zu stoppen -auch da kam es zu Besetzungen. 2017 wiederum wurde der Bau neu evaluiert, die Grünen waren hierfür der Auftraggeber. Das damalige Ergebnis spießt sich durchaus mit der Gewessler-Entscheidung des Vorjahrs: Die von Maria Vassilakou (damals Wiener Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung) bestimmten Experten kamen zu dem Schluss, dass die sechste Donauquerung die Wiener Südost-Tangente im Jahr 2030 um etwa 77.000 Fahrzeuge pro Tag entlasten würde. "Das untermauert unsere Berechnungen, wonach eine Verzögerung beim Bau des Lobautunnels eine Entlastung der A23 verhindern und pro Jahr 75.000 Tonnen mehr CO2 und 500 Millionen Euro Staukosten bedeuten würde", meinte Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung, bereits vor fünf Jahren. Ministerin Gewessler konterte 2021 mit einem fundierten: "Mehr Straßen bedeutet mehr Autos. Mehr Straßen führt zu mehr Verkehr"(sic!), so hätten es ihr die Experten, die alle ASFINAG-Projekte gut ein Jahr lang durchleuchtet haben, bestätigt. Also kompletter, von oben verordneter Baustopp im Nordosten Wiens? Nein, die Spange S1, die Seestadt und S1 (Knoten Raasdorf) verbindet -ebenso ein wichtiger Punkt für die Stadtplanung -soll umgesetzt werden, damit entstehende, günstige Wohnungen für rund 60.000 Menschen erschlossen werden können. Und mit der 3,2 Kilometer langen Stadtstraße Aspern sollen Wohngebiete in der Donaustadt entlastetwerden. Was nach Friede, Freude und zumindest einer kleinen Lösung klingt, ist längst nicht in trockenen Tüchern. "Vorbereitung für den Straßenkampf"(Der Standard, 03.12.2021) schallt es aus den Zeitungen, denn: "Die Aktivisten an den Baustellen wollen nicht weichen, ehe auch die Stadtstraßefällt."
Pressekonferenz der Tiere
Gegen die Überflutung von sieben Quadratkilometer Aulandschaft regte sich bereits im Februar 1983 mit der WWF-Kampagne "Rettet die Auen" Widerstand. Der Vollausbau der Donau-Staukette, zu dem auch die realisierte Staustufe Wien zählt, war von der Donaukraftwerke AG bereits seit 1952 geplant. Zahlreiche Umweltgruppen gründeten schließlich die "Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg", und am 7. Mai 1984 wurde die "Pressekonferenz der Tiere" abgehalten, in der das spätere "Konrad-Lorenz-Volksbegehren" angekündigt wurde. Ob der Nobelpreisträger auch von den Kostümen der parteiübergreifenden Umweltschützerinnen und Umweltschützer -Freda Meissner-Blau, Günther Nenning, Jörg Mauthe und Co traten als Laufkäfer, Auhirsch, Schwarzstorch etc. auf -überzeugt wurde, seinen Namen dafür herzugeben? Am 10. Dezember 1984 kam es zu den ersten Zusammenstößen zwischen Aubesetzern, Rodungsarbeitern undder Exekutive. Die Eskalation ist auf den 19. Dezember datiert, als -je nach Quelle - bis 3.000 Besetzerinnen und Besetzer rund 900 Polizisten gegenüberstanden. Der zivile Ungehorsam hatte zudem Wien erreicht: Über 30.000 Menschen demonstrierten vor dem Bundeskanzleramt, was den damaligen Bundeskanzler Fred Sinowatz schließlich dazu veranlasste, zwei Tage später einen Weihnachtsfrieden auszurufen -die Au war kurz danach vor den Rodungsversuchen sicher, 1996 entstand der Nationalpark Donau-Auen.
Entbehrung versus DJ-Reigen
Gewaltloser Ungehorsam ist heute leichter zu organisieren, unter dem Hashtag #Lobaubleibt konnte und kann man von jedem Smartphone aus nach Aktionen und Gleichgesinnten suchen, sogar eine allgemeine Demoplattform steht mit www.demo-info.at jeder und jedem zur Verfügung, der sich die Füße vertreten oder an irgendetwas ketten will. Der Eintrag zur "Wüstendemo" am 24.10.2021 nahe der U2 Hausfeldstraße verdeutlichte zumindest, dass die heutige Umweltschützer- Generation Nägel mit Köpfen macht: Das vegane und gerettete Essen kam unter anderem von Robin Foods, einem Verein gegen Lebensmittelverschwendung, es wurde aufgerufen, Schüsseln und Becher selbst mitzunehmen, und für den Transport der nötigen Dinge wurde "share me Transporter" gedankt. Die Selbstlosigkeit in den 1980ern war zwar mit mehr Entbehrung verbunden, allerdings wurde im Lobau-Camp,das im Februar schließlich von der Polizei geräumt wurde, ein DJ-Reigen geboten, der jedem Club -diese waren zu Lockdown-Zeiten gerade geschlossen -zur Ehre gereicht hätte. Schreckmomente gab es dennoch, kurze Zeit hingen Klagsdrohungen der Stadt Wien gegen die Aktivistinnen und Aktivisten in der Luft, und Ende Dezember 2021 brannte nachts eine zweistöckige Holzhütte nieder -ein Brandanschlag wurde nicht ausgeschlossen. 23
(*Quelle: www.protestwanderweg.at)