In Deutschland hat das am 14. Jänner 2022 veröffentlichte Opel-Urteil des Landesgerichtes Frankfurt einige Wellen geschlagen. Mit dem wurde die Opel Automobile GmbH verpflichtet, ab sofort ihre „Commercial Policies 2021“ oder ähnlich gelagerte – händlerfeindliche – Margen- und Bonifikationssysteme außer Kraft zu setzen. Andernfalls droht Opel eine Ordnungsstrafe bis 250.000 Euro. Ein Urteil, das weit über die Marke Opel und die deutschen Landesgrenzen Auswirkungen hat. Wie wird der Stellantis-Konzern auf dieses Urteil reagieren?
Der „Verband Deutscher Opel-Händler e.V.“ als Fachverband der autorisierten Opel-Händler und Opel-Werkstätten vertritt mit seinen rund 300 Mitgliedern 80 Prozent des gesamten Opel-Vertriebsnetzes mit rund 90 Prozent des deutschen Opel-Neuwagenverkaufs. Von den 100 größten Opel-Händlern sind sogar 97 in diesem Verband zusammengeschlossen. Diese Opel-Händler-„Gewerkschaft“ eint die Unzufriedenheit mit der Ertragslage ihrer Betriebe: Die Umsatzrenditen der Händler liegen nach den Urteilsfeststellungen im Schnitt unter 1 Prozent.
Die Auseinandersetzungen begannen bereits im April 2018 mit der Kündigung der seit 2010 gültigen Händlerverträge zum 30. April 2020. Die von Opel präsentierten neuen Vertragsvorschläge sahen vor, dass künftig „anwendbare Rabatte und Margenbestandteile nicht Gegenstand dieses Vertrages sind“. Damit sollte der Hersteller die Möglichkeit erhalten, die Zahlungsbedingungen und die vom Händler erzielbaren Margen von Jahr zu Jahr einseitig abzuändern.
Entsprechend dieser Vertriebsstrategie wurden bereits am 7. Dezember 2018 – während der Kündigungsfrist – die Händler-Ertragsbestandteile in eine unwiderrufliche „Commercial Policy“ ausgelagert. Mit dieser möchte Opel in Zukunft die Bonifikationen und auch die Grundmarge neuer oder überarbeiteter Modelle einseitig festlegen. Mit einer „maximalen Änderung gegenüber dem Vorgängermodell von 20 Prozent“.
Händler, die nicht bereit waren, diese Regelung zu akzeptieren, gingen das Risiko ein, ab Mai 2020 ohne Händlervertrag dazustehen. Die gespannte Situation zeigte sich in einem „Rechtsvorbehalt“ des Händlerverbandes vom 2.01.2019 gegen diese aufgezwungene Neuregelung. Und zwar für den Fall, dass das „Gesamtkonstrukt der Commercial Policy durch die Auslagerung der Marge und Boni aus der Vertragsurkunde im Grunde, inhaltlich oder durch unzumutbare Verknüpfung zu Beeinträchtigung der Händler führe.“
Das Fass zum Überlaufen brachte ein Rundschreiben vom 19. Dezember 2019, ab 1. Jänner 2020 sei auch die garantierte Grundmarge nicht mehr Vertragsbestandteil. Diese werde „bis auf Widerruf“ je nach Modellreihe 6 bis 13% betragen. Mit dem „Opel Vergütungssystem Neuwagen 2020“ wurden nunmehr beim „Zielerfüllungsbonus“ in den von Opel festgesetzten Planzahlen monatliche CO2-Grenzen festgesetzt. Die musste der Händler in seinem Verkaufsmix einhalten, um ab einer Zielerfüllung von 80% eine von 0,2 bis 4 Prozent gestaffelte Vergütung zu erhalten. Daneben wurde für die meisten Low-Emission-Modelle (unter 50 g CO2) ein LEV-Bonus von 2 Prozent eingeplant.
Kein Bonus ohne Kundenzufriedenheit
Anstelle der bis dahin gültigen „Qualitätsmarge“ trat nun ein kombiniertes Loyalitäts- und CSI-Bonus System mit maximal 1,5 Prozent. „Einstiegskriterium“ für den Loyalitätsbonus war, dass halbjährlich zumindest 70 Prozent aller Neuwagenkunden nach dem Kauf Auskunft über ihre „Kundenzufriedenheit“ geben. Für den CSI-Bonus wurde eine vierteljährliche Weiterempfehlungsquote von 90 bis 100 Prozent fixiert. All diese Regeln sollten bloß „bis auf Widerruf“ gelten.
Nachdem der Verband mit seinen Einwänden gegen dieses neue Vergütungssystem bei Opel auf taube Ohren stieß, wurde der Klageweg beschritten. Die Klage orientiert sich an dem gerade in Österreich anhängigen Peugeot-Kartellrechtsverfahren. Opel habe gegenüber seinen Vertragshändlern eine marktbeherrschende Stellung, da diese für Opel-Produkte auf keinen anderen Lieferanten ausweichen können. Dass Opel das gesamte Händler-Vergütungssystem in ein einseitig vorgegebenes jährliches Rundschreiben auslagert habe, führe zu einer unbilligen Behinderung – und sei somit kartellrechtswidrig.
Daran ändere auch nichts, dass Opel erklärt habe, das Vergütungssystem der „Commercial Policies“ sei kein Bestandteil des Händlervertrages. „Die Beklagte könne auch nicht 40 Prozent der gesamten Händlervergütung als freiwillige Bonuszahlung deklarieren“, rügt die Klage weiters. Noch dazu, da diese Regelung mit einseitigem Änderungsvorbehalt („bis auf Widerruf“) versehen sei und die Erreichung der Bonifikationsziele – etwa beim LEV-Bonus oder bei der Kundenzufriedenheit – teils nicht von den Händlern abhänge.
Den Verpflichtungen des Händlers müssen „unter dem Gesichtspunkt der Rücksichtnahme und Treuepflicht im Wesentlichen gesicherte Verdienstmöglichkeiten gegenüberstehen“. Hinzu kommen überzogene Verkaufsplanzahlen. „Mit den konkurrierenden Zielen „Volumen“ und „CO-Compliance“ werde die Pflicht zur Einhaltung der EU-CO2-Vorgaben einseitig von der Herstellerin auf die Händler verlagert“, rügt der Händlerverband.
Wie entschieden die Richter in Frankfurt?
Opel argumentierte, dass es sich bei den Bonifikationen um freiwillig gewährte Leistungen handle. Diese können daher jährlich einseitig neu festgesetzt werden. Die Ziele unterliegen somit auch keiner richterlichen „Billigkeitskontrolle“. Den Händlern werde mit dem Händlervertrag nur eine „Geschäfts- und Gewinnchance“ eingeräumt. Die Händler hätten jedoch keinen „Anspruch auf ein konkretes Vergütungssystem, das ihnen längere Zeit Planungs- und Kalkulationssicherheit biete“. Bei den Bonifikationen sei das einjährige Planungsziel völlig ausreichend. Bei den Grundmargen habe man sich sogar freiwillig zu einer Zweijahresbindung verpflichtet.
Wie bei der Peugeot-Entscheidung des österreichischen OGH kamen auch die Frankfurter Richter zum Urteil, dass die Opel-Vergütungsregelung „insgesamt eine unbillige Behinderung ihrer Vertragshändler“ sei. „Eine Klausel, die es der Beklagten (theoretisch) ermöglicht, die Handelsspanne ihrer Vertragshändler beliebig zu verringern, ohne an einschränkende Gründe gebunden zu sein oder einen angemessenen Ausgleich gewähren zu müssen, ist unbillig und benachteiligt die Vertragshändler unangemessen.“ Insbesondere, wenn diese Bonifikationen 40 Prozent der gesamten Händlervergütung ausmachen. „Die Händler müssen gemessen an ihren Investitionsverpflichtungen eine angemessene Renditechance haben.“
Angesichts der Strafdrohung hat Stellantis als Konzernmutter bereits im Jänner 2022 für den deutschen Opel-Vertrieb mit neuen „Commercial Policies“ reagiert wie auch in Österreich, wo aufgrund der Peugeot-Entscheidung bereits im Vorjahr einige Anpassungen vorgenommen wurden. Mit der Ankündigung, dass in Österreich, Holland und Belgien ab Juni 2023 – zum Ende der derzeit laufenden Vertragskündigungsfrist – sowohl für Pkws als auch für Nutzfahrzeuge ein Kommissionär-System eingeführt wird. Die restlichen Märkte – somit auch Deutschland – sollen dann 2026 folgen. Ob oder wie weit das mit den ab Juni 2022 bzw. 2023 geltenden neuen EU-Gruppenfreistellungsverordnungen verträglich ist, soll in den Testmärkten ausgelotet werden.