Nach den Marktaustritten von Ruhdorfer und Bruckmüller sowie der Übernahme von Reifen John durch Continental hat sich die Vertriebslandschaft in Österreich deutlich verändert. Während das Volumen von Ruhdorfer und Bruckmüller teilweise durch inländische Händler wie auch durch internationale Großhändler übernommen wurde, ist Reifen Johnnach wie vor präsent. Durch die Zusammenfügung mit Profi Reifen unter das Dach Conti Trade ist die Motivation anderer Reifenkonzerne naturgemäß rückläufig. Zwar kommt an der größten und der einzigen österreichweiten Reifenhandelskette keine Reifenmarke vorbei; das Geschäft mit anderen Partnern, deren Gewinne nicht in die Tasche des Mitbewerbers fließen, wird aber bevorzugt. So haben die jeweiligen Marken naturgemäß verschiedene Strategien und forcieren ihre Produkte bei unterschiedlichen Partnern. Durch die große Vielfalt kann kaum ein Händler alle Marken umfassend führen.

"Das alles hat dazu geführt, dass die Struktur mit regionalen Versorgern, also einer Handvoll Betrieben, die regional sehr gut aufgestellt sind, gestärkt wurde", erklärt Wilfried Fleischmann, Reifen-Urgestein, point-S-Mitglied und Marktmacht in Ostösterreich. "Es gibt heute eine gewisse Transparenz und Beruhigung, unddamit kann die Nahversorgung gesichert werden", so Fleischmann. "Die Meinung der Industrie, dass es uns auch geben darf, hat sich gefestigt. Dabei hatte es lange den Anschein, dass in Österreich alles aufgelassen wird, momentan ist ein Gegentrend zu spüren."

National und regional

Die angesprochenen Großhändler, im internationalen Vergleich eher als regionale Nahversorger zu sehen, haben sich in der neuen Situation stabilisiert, machen ihr Volumen und können auch gegenüber der Industrie wieder selbstbewusster auftreten. "Die B2B-Partner nutzen den Großhandel wieder mehr, weil negative Erfahrungen mit Internetportalen zunehmen und die Preise dort sehr volatil sind", weiß Mag. Klaus Kreisel von Gummi Kreisel Dass kleine Reifenhändler, freie Werkstätten und auch Autohäuser wieder mehr beim regionalen Reifengroßhandel kaufen, wurde durch die Covid-Sitution verstärkt. Während schon inden vergangenen Jahren die grenzübergreifende Logistik schwächelte, kam sie durch Corona teilweise gänzlich zum Erliegen. Die Logistik wird teurer, die Paketdienste haben keine große Freude mit den Reifen, den Plattformen fehlt teilweise die Ware.

Lieferunsicherheit

Die Lieferfähigkeit hängt aktuell wie ein Damokles-Schwert über der Branche. Faktum ist, dass die Werke in einer für den Winterreifen wichtigen Zeit geschlossen waren. Global gesehen ist der Winterreifen ja ein Nischenprodukt. Manche Insider vermuten, dass der Mangel eher bei den Quality- und Budget-Markender renommierten Hersteller auftritt, da bei Produktions-Engpässen der Premium-Brand den Vorrang bekommt. Die unsichere Liefersituation hat dazu geführt, dass die größeren Partner vorgesorgt haben. "Wir haben eingelagert bis unter die Decke, weil wir aufgrund der geschlossenen Werke mit schwacher Verfügbarkeit der Industrie rechnen", erklärt Mag. Klaus Kreisel für seine Betriebe. "Das Horrorszenario wäre, dass wir verkaufen können und die Ware nicht bekommen. Wenn die Großen zu schwächeln beginnen, dann ist der Markt in kürzester Zeit leer." Während die großen Händler zur Sicherung der Verfügbarkeit mehr eingelagert haben als üblich, haben die kleinen Betriebe aus kaufmännischer Vorsicht weniger bevorratet.

Mehr After-Sales-Geschäft

Die Neuwagen-Zulassungen sind deutlich unter dem Vorjahr, die Fahrzeuge werden also weitergefahren oder wechseln gebraucht den Besitzer. Das ist grundsätzlich eine gute Nachricht für den After-Sales-Bereich: Während das Winterreifen-Geschäft beim Neuwagen mittlerweile meistens am Reifenhandel vorbeizieht, profitiert der Reifenhandel von der aktuellen Situation. Auch die Tatsache, dass viele Kunden mit den Winterreifen durchgefahren sind, spricht für ein starkes Winterreifengeschäft. Gleichzeitig ist der Spargedanke bei Menschen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit, aber auch bei Flottenbetreibern nicht wegzudiskutieren. "Fuhrparks sind in finanzieller Hinsicht bedachter, das kann auch einmal ein Quality- statt dem Premium-Modell sein", registriert James Tennant, VRÖ-Obmann und Chef von Alpine Reifenhandel (Reifenzentrum Süd). "Es sind verschiedene Faktoren, die sich auswirken, insgesamt ist die Sparwelle spürbar."

Ein Thema, das in REIFEN&Wirtschaft mehrmals angesprochen wurde, hat mittlerweile seine Auswirkungen. "Wir haben das Selbstbewusstsein, nur das zu verkaufen, womit wir auch Geld verdienen können", sagt etwa Christoph Wondraschek. Jene Hersteller, die das internationale Preisgefüge nicht im Griff haben, werden vom etablierten Reifenhandel reduziert eingekauft. "Es ist Aufgabe der Industrie, dass der Preiskorridor nicht zu groß wird. Das hat sich bei den meisten Marken verbessert. Die anderen greifen wir einfach nicht an", ergänzt Mag. Klaus Kreisel. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben die Position des heimischen Reifenhandels gestärkt.