Als Chance hin zu wirtschaftlicher Vernunft betrachtet James Tennant, Reifenhändler in Klagenfurt (Alpine Groß- und Einzelhandel) sowie Langzeitpräsident des VRÖ (Verband der Reifenspezialisten Österreichs) die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in der heimischen Reifenwirtschaft.
Hört man sich in Lieferantenkreisen sowie im Groß- und Einzelhandel um, dann sind die meisten mit dem Geschäftsverlauf zufrieden. Der zweimonatige Lockdown und daraus resultierende Folgewirkungen ließen das Reifengeschäft um rund 20 Prozent absacken. Kaum einer, der sich - verbal zumindest - nicht mit der Pandemie arrangiert hätte.
Das Virus hat unbarmherzig offengelegt, wie sehr sich die Welt, in der wir leben, verändert hat. Sämtlich sind die Betriebe im ersten Halbjahr 2020 mit einem "blauen Auge" davongekommen, und die zweiten 6 Monate mit der Winterreifensaison im Fokus versprechen vielen Kompensation in Menge und Ertrag, was in der Sommerreifenperiode nicht zu halten war.
Einbruch befürchtet
Laut Tennants Analyse haben bislang rund 85 Prozent der Kunden ihre Winter-auf Sommerräder umgesteckt. Der Rest fährt wohl die Wintergummis zu Ende, um für die kommende kalte Jahreszeit neue Pneus aufzuziehen. Begleitet wird diese Entwicklung von der Erkenntnis, dass die Fahrzeughalter sparen, wo es nur geht. Alle vier Räder gleichzeitig wuchten wird ebenso vermieden wie die Räderwäsche. Wer kein "Reifenhotel" betreibt, gerät zusätzlich unter Druck. Der Kunde ist spröde geworden und rasch verloren -entweder an die Konkurrenz oder von Jobangst verjagt.
Augen zu und durch
Wir verzichten in diesem Aufsatz auf Aussagen Einzelner, denn nahezu jeder hat in öffentlicher Aussage nur den Markt positiv begleitende Worte. Offline hört sich das so an: Augen zu und durch!
Die Reifenindustrie pflegt weiterhin ihre eigenen Regeln und versucht mit Verfügbarkeit (v. a. in den HP- und UHP-Dimensionen) die Abnehmer bei der Stange zu halten. Jedoch stehen viele Lieferanten vor dem Problem, nicht verkaufte Ware (Sell-in) vom Reifenhändler wieder zurücknehmen zu müssen, um "frische" Winterware in Umlauf bringen zu können. Etablierte Reifenspezialisten und Autohäuser mit Markenkraftverstärkung finden sich darin rasch zurecht, glauben aber den Verlockungen der Lieferanten längst nicht mehr. Sparen ist angesagt, und die Verfügbarkeit ist im europäischen Versorgungsraster nur mehr für die wenigsten ein wirkliches Problem. Selbst die wie ein Damoklesschwert über dem lokalen Handel schwebende Direktvermarktung macht in rückläufigen Absatzmärkten immer weniger Reifenhändlern Angst. Konservativen Vertriebsmodellen wird unter dem Schlussstrich weiter die Treue gehalten. Jeder schaut ins Internet, die Sicherheitsansprüche an die Reifentechnologie machen aber rasch den Weg frei zum Reifenspezialisten. Wenn dieser nicht übermütig an der margenvernichtenden Mengenschraube dreht, kann er auch mit 80 Prozent des bisherigen Jahresvolumens sein Auslangen finden. Direktvermarktung und E-Commerce dynamisieren zwar die Absatzregeln, werden jedoch kaum über 15 Prozent Anteil hinauskommen, interpretieren die Vermarktungsprofis diese Szenerie.
Winterersatzbedarf vom NW-Verkauf abhängig
Erich Fric, neuerdings für den Consumermarkt in Deutschland, Benelux, Schweiz und Österreich verantwortlich, sieht im Mengengerüst keine gravierenden Veränderungen. So sich die Wirtschaft von COVID-19 wieder erholt, rechnet der Österreicher, bis 2022/2023 wieder das Niveau von 2019 erreichen zu können.
Während der Fintyre-Exitus konkurrierenden Großhandelsorganisationen ihre Verluste zu verringern half, hängt der Ausblick für das Winterreifengeschäft vom weiteren Neuwagenverkauf ab. Noch bewegen sich die Stückzahlen um rund ein Drittel hinter den Vorjahreswerten. Lieferantenkreise und auch der Reifenfachhandel rechnen - begleitet von anhaltendem Preisdruck - mit einer Verbesserung der Absatzlage. Alles unter der Voraussetzung, keine zweite Coronawelle zu erleben.
Winterreifen-Business unter Ertragsdruck
Das Lkw-Geschäft, erklärt Verkaufsprokurist Christian Fischer von der Reifen-Weichberger-Kette, gestaltet sich weiterhin schwierig, der Absatz mit LNfz-Rädern verzeichnet sogar den einen oder anderen Zuwachs. Fischer befürchtet künftig jedoch wettbewerbsbedingt eine weitere Verwässerung der Dienstleistungseinkünfte.
Alle Recherseaussagen gebündelt vermitteln uns eine Winterräder-Prognose leicht unter den Vorjahreswerten. Allerdings zeigt sich in den Dimensionen ab 20 Zoll eindeutig ein Trend nach oben. Das Reifenlabeling spielt dabei keine Rolle, stiehlt dem Reifenhandel jedoch Zeit und Geld. Die Erkenntnis zum Schluss: Auch mit 80 Prozent lassen sich erfolgreich Geschäfte machen.