Im Sinne eines Urteils des Altwiener Journalisten Alfred Polgar aus dem Jahr 1921 ist „die Lage hoffnungslos, aber nicht ernst“. Das Jahr 2019 hat zwar nur leichte Rückgänge gebracht; die Aussichten für 2020 werden jedoch europaweit trübe gesehen: Rückläufige Verkäufe bei den herkömmlichen „Verbrennern“ lassen sich bei Weitem nicht durch Zuwächse bei den neuen Antriebsformen ausgleichen.  

Die Vertreter des EDL-Netzwerkes (European Distribution Lawyers) sehen eindeutige Tendenzen der Hersteller, die von Brüssel beschlossene Pönale für CO2-Zielverfehlungen auf die Händler zu überwälzen. Durch die von den Autokonzernen initiierte Abschaffung der Kfz-spezifischen Wettbewerbsregeln der GVO 1400/2002 („Kfz-GVO“) sind auch den lokalen Wettbewerbsbehörden rechtlich die Hände gebunden. Einzig und allein Österreich ist dabei eine Ausnahme: Hier hat das österreichische Parlament zumindest -einige der abgeschafften EU--Kartellbestimmungen ins nationale Zivilrecht übernommen. 

„Alle Unternehmen mit bestimmten Kriterien“ 

Aufgrund einer Umfrage unter ihren Mitgliedern geht die ACEA 2020 von einem Absatzminus von 2 Prozent aus. Aus Sicht der EDL-Anwälte ist dies viel zu optimistisch. „2019 hatte Spanien ein Minus von 5 Prozent zu verzeichnen“, sagt Anwalt Alfredo Briganty. „2020 wird es zu weiteren starken Verschiebungen zwischen den Marken kommen.“ 

Völlig unklar ist, wie es mit der sogenannten „Werkstätten-GVO“ (EU Nr. 461/2010) weitergehen soll. Sie wurde als „Ersatz“ für die abgeschaffte branchenspezifische Kfz-GVO eingeführt. Sie regelt in erster Linie den freien Zugang zu Kfz-Ersatzteilen einschließlich Identteilen sowie technischen Informationen. Von besonderer Bedeutung sind die dazu erlassenen „Ergänzenden Leitlinien“, in denen die neuen, „überarbeiten Wettbewerbs-regeln“ definiert werden. In der Randzahl 70 erachtet es „die Kommission als wichtig, dass der Zugang zu den Netzen zugelassener Werkstätten im Allgemeinen allen Unternehmen offensteht, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen.“ 

Als Vertragswerkstätte weitermachen

Dieser freie Zugang zum Werkstättennetz ist den Herstellern ein besonderer Dorn im Auge. Er ermöglicht es schuldlos gekündigten Autohändlern, als Vertragswerkstätte den von ihnen geschaffenen Kundenstock für das Werkstättengeschäft weiter zu nutzen. Die Hersteller argumentieren, dass es sich bei diesen „Leitlinien“ um keine EU-Gesetze handelt, sondern nur um „soft law“. Ob sich ein Hersteller daran hält oder nicht, spielt für sein übriges Vertriebssystem keine Rolle. Die Verweigerung des Abschlusses eines Werkstättenvertrags kann aus deren Sicht keinesfalls dazu führen, dass ihr Vertriebsnetz unter das Kartellverbot des Artikels 101 des EU-Vertrages fällt.  

Wer kommt ins Markennetz – und wer nicht?

In der sogenannten „MAN-Entscheidung“ hat sich der deutsche Bundesgerichtshof im Jahr 2011 der Meinung der Hersteller angeschlossen. Im Jahr 2016 wurde diese Rechtsansicht revidiert. Das Urteil betraf einen Jaguar-Händler, dem sowohl der Vertriebsvertrag als auch der Werkstattvertrag gekündigt worden war. Dessen Anspruch auf neuerliche Zulassung als Vertragswerkstätte wurde auf Basis der „Leitlinien“ bestätigt. „In einem Mazda-Urteil kam das Oberlandesgericht Frankfurt zur Ansicht, dass das Jaguar--Urteil für ,normale Marken‘ wie Mazda nicht anwendbar sei“, berichtete Dr. Susanne Creutzig ihren Kollegen in Paris über die neueste Entwicklung.

Ähnlich sieht die Situation in Frankreich aus. „Zivilrecht hat Vorrang vor Wettbewerbsrecht“, skizziert der Pariser EDL-Gastgeber Christian Bourgeon die Folgen des wettbewerbsrechtlichen „soft law“. Derzeit sind dazu Verfahren mit Mazda, Land Rover und Hyundai bei verschiedenen Gerichten im Laufen. Nach deren Ansicht obliegt es der jeweiligen -Markenpolitik eines Herstellers, ob ein Interessent ins Markennetz kommt oder nicht. Die nationale Wettbewerbsbehörde möchte – um sich keine politischen Probleme mit der starken französischen Kfz--Industrie einzuhandeln – nach der Einschätzung von Bourgeon an der wettbewerbsrechtlichen Proble-matik „am liebsten gar nicht anstreifen“.

Die „Werkstätten GVO“ ist bis 31. Mai 2023 gültig. Den Herstellern geht es dabei darum, den „Aftersales“--Bereich stärker in das eigene Vertriebssystem einzugliedern. Weiters wollen sie verhindern, dass im Zuge der Neuregelung des Wettbewerbs der „Code of Conduct“ in eine rechtlich bindende Regelung umgewandelt wird. „Derzeit gehen Fragelisten an alle Marktteilnehmer, um sich dazu zu äußern“, sagt CECRA-Geschäftsführer Bernard Lycke. 

Bereits 60 Prozent Direktvertrieb in Spanien

Ein europaweites Problem ist der Direktvertrieb der Hersteller. In Spanien liegt die Quote bei 60 Prozent – Tendenz weiter steigend. Die einzige Chance ist wohl eine stärkere Solidarisierung der Händler untereinander – so könnten Zusammenschlüsse der Händlerverbände der PSA-Marken Peugeot, Citroën und Opel die Schlagkraft der Händlerverbände stärken.

Dass innerhalb der Händlerschaft die Interessen auseinander driften, liegt auch daran, dass der -Anteil privat  finanzierter Einzelverkäufe – die Domäne kleinerer, lokaler Händler – immer weiter sinkt. Dafür werden große Händler, die sich mit den Importeuren direkt arrangieren, größer. „In Holland sind das fünf bis acht Gruppen, alle mit Multibranding“, skizziert Peter Lodestijn die Situation. 

Diese Entwicklung hat aus der Sicht der Hersteller den Vorteil, dass die strittigen Rechtsfälle immer weniger werden. „Weil die kleinen Händler einfach aussterben“, betrachtet der belgische Anwalt Patrick Kileste die Situation nüchtern. 

Das ermöglicht den Herstellern, über diesen Umweg den gesamten Markt zu kontrollieren. Sein spanischer Kollege Briganty ist überzeugt, dass es zwischen diesen schon längst Absprachen und einen entsprechenden Informationsaustausch über Kosten, Preise und Margen gibt. 

Schließlich stehen alle Industriebosse vor dem Problem, die unerfüllbaren Brüsseler CO2-Vorgaben in den nächsten Jahren mit möglichst geringen Strafzahlungen zu meistern. Und sei es auf Kosten der ihnen wirtschaftlich ausgelieferten Händler. •