Momentan läuft eine EU-weite Erhebung, ob die derzeitige Regelung funktioniert -oder nicht. Dazu gibt es durchaus konträre Ansichten.
Generell sind vertikale Vertriebsbindungen -wie etwa jene im Autohandel -verboten. Diese Verbote wurden allerdings durch weite Schlupflöcher entschärft. Sie gelten z. B. nicht, wenn solche Vereinbarungen -z. B. Kfz-Händler-und Werkstättenverträge -"zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen". Oder wenn die Verbraucher "angemessen am Gewinn" derartiger Vertriebssysteme beteiligt werden.
Schlupflöcher zulasten der Mittelständler
Relativ zeitig hat die Europäische Union -damals noch die EWG -erkannt, dass durch diese Schlupflöcher mächtige Konzerne zulasten mittelständischer Betriebe immer mächtiger wurden. Was letztlich zur Aushebelung des von diesem Artikel 101 AEUV angestrebten freien Wettbewerbs führt. Um diesen Effekt in Grenzen zu halten, hatte die Europäische Kommission ein Netz branchenspezifischer Gruppenfreistellungsregelungen (GVO) entwickelt. Wer diese einhält, ist kartellrechtlich aus dem Schneider. Die Konzerne mussten den Wettbewerbshütern daher nachweisen, dass ihre Vertriebssysteme den Vorschriften dieser GVOs entsprechen. Sonst riskierten sie, kartellrechtlich bestraft zu werden.
Um das wettbewerbsrechtlich problematische Oligopol der Kfz-Produzenten in den Griff zu bekommen, wurde eine recht detaillierte Kfz-GVO ausgearbeitet. Mit der Bestrebung, das Machtgefüge zwischen gebundenen Händlern und Werkstätten einerseits und den bindenden Konzernzentralen anderseits im Interesse des Wettbewerbs in Balance zu halten. Auf Anraten der Kfz-Industrie kamen die Brüsseler Bürokraten jedoch auf die Idee, die bisher üblichen Vertragsüberprüfungen zwecks "Entbürokratisierung" abzuschaffen. Die Konzerne sollten laut der Freistellungsverordnung 1/2003 in Eigenverantwortung feststellen, ob ihre Vertragswerke die branchenspezifischen Kartellvorschriften der GVO berücksichtigen -oder nicht. Womit der Bock zum Gärtner gemacht wurde. Denn die Rechtsabteilungen der Konzerne waren schon bisher immer überzeugt, sämtliche kartellrechtlichen Beschränkungen der damals noch geltenden GVO 1475/95 berücksichtigt zu haben.
Ausbalanciertes System 2002
Um die Phantasie der Vertragsjuristen zu zügeln, wurde per 1.10.2002 die neue Kfz-GVO 1400/2002 erlassen. Mit ihr wurde im Sinne eines funktionierenden Wettbewerbs die zentrale Rolle der Händler für die Entwicklung eines funktionierenden EU- Binnenmarktes rechtlich verankert. "Ein fundamentaler Wechsel von der rigiden Regulierung des Marktes durch die Kfz-Hersteller zu einem ausbalancierten System, an dem alle wettbewerbsaktiv mitwirken können", erläuterte Wettbewerbskommissar Mario Monti am 6.2.2003 in Brüssel die Zielsetzung "seiner" GVO. Er betonte den neugeschaffenen Freiraum der Händler, ihre Geschäfte nach ihren eigenenVorstellungen zu führen. "Insbesondere werden mit der neuen Verordnung die Möglichkeiten der Hersteller und ihrer Importeure erheblich eingeschränkt, ihren Händlern Verpflichtungen aufzuerlegen, die für den Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge oder die Erbringung von Instandsetzung-und Serviceleistungen nicht unabdingbar sind", lobte auch die CECRA diese Neuregelung. Die mit einem ausführlichen Leitfaden die Möglichkeiten unfairer Vertragsklauseln stark einschränkten.
Einige Hersteller und Importeure versuchten, diese neuen Händlerschutzbestimmungen zu ignorieren - was prompt Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof und Kartellstrafen zur Folge hatte. Worauf sich die Kfz-Industrie beim Industriekommissar über das "unnötige Korsett" beschwerte, mit der die Kfz-GVO ihren Spielraum bei der freien Gestaltung des Kfz-Vertriebs behindert. Dieses Korsett würde überflüssige Kosten im Vertrieb verursachen.
Bei der neuen Brüsseler Führungsriege liefen die Industrie-Lobbyisten offene Türen ein. Schon im Mai 2008 verkündeten sie, die wettbewerblichen Spielregeln der Kfz-Branche müssen grundlegend auf den Kopf gestellt werden. 2009 nahm man in einem Arbeitspapier der "Kommissionsdienststellen"(SEK 2009-1053) vom 22.07.2009 "die aktuelle Wirtschaftskrise" zum Anlass, Abwägungen zwischen einer "wirksamen Überwachung der Märkte" und "einer vereinfachten Verwaltung und Reduzierung der Befolgungskosten" vorzunehmen. Mit dem Vorschlag, "die sektorspezifischen Regelungen auslaufen zu lassen und die allgemeinen Regeln für vertikale Beschränkungen anzuwenden".
2010 war es dann so weit. Im einem "Memo/10/217" hielt die EU-Kommission fest: "Eine Analyse ergab, dass für den Markt für den Verkauf neuer Kraftfahrzeuge starker Wettbewerb herrscht. Unter diesen Bedingungen haben die bisher speziell für den Kfz-Sektor geltenden Regeln die Hersteller unnötig eingeengt und sie daran gehindert, ihre Vertriebssysteme ihren Vorstellungen entsprechend zu organisieren.Die Kommission hat deshalb die für den Vertrieb von Kraftfahrzeugen geltenden Regeln an die für Vertriebsvereinbarungen in anderen Sektoren geltenden Regeln (VO 330/2010) der Kommission vom 20. April 2010 angepasst". Montis-GVO samt deren Händlerschutzbestimmungen war damit Geschichte.
Wesentlicher Inhalte beraubt "Die Kfz-GVO, die inüber 20 Jahren nach und nach zu einer Liberalisierung des Wettbewerbs, aber auch zu einem gewissen Machtausgleich zwischen Hersteller und Handel geführt hat, soll ihrer wesentlichen Inhalte beraubt werden", kommentierte Robert Rademacher, Präsident des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes, im November2010 in der Fachzeitschrift "kfz-betrieb" diesen Schritt der neuen "Wettbewerbshüter". Das Ergebnis hat ihm in den letzten acht Jahren Recht gegeben.
Die neue "Schirm-GVO" 330/2010 -deren Wirksamkeit derzeit "evaluiert" wird -hat sich für die Kfz-Branche als völlig zahnlos erwiesen. Nur die Kfz-spezifischen Sonderregelungen der GVO 461/2010 vom 27.05.2010, vor allem mit ihren "Ergänzenden Leitlinien" (2010/C138/05), haben für das Kfz-Gewerbe praktische Auswirkungen gezeigt. Sie garantieren weitgehend, dass Kfz-Werkstätten, welche die qualitativen Standards der Kfz-Hersteller erfüllen, auch zu Vertragswerkstätten autorisiert werden müssen. Was von manchen Kfz-Herstellern nach wie vor massiv bekämpft wird.
Das EU-Verbot vertikaler Vertriebsbindungen (gemäß Artikel 101 AEUV) ist durch die bis 31.05.2022 geltende GVO 330/2010 faktisch außer Kraft gesetzt. Vor allem, da die Kfz-Hersteller die Einhaltung dieser kartellrechtlichen Vorschriften ausschließlich selbst zu überwachen haben. Sie allein bestimmen, ob die den Händlern aufgezwungenen Vorgaben dem Sinne des Artikel 101 AEUV entsprechen. Ob sie "zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind".
Händlerschutzbestimmungen in Österreich
Den österreichischen Händlern ist es gelungen, einige der kartellrechtlichen Händlerschutzbestimmungen ins nationale Zivilrecht zu retten. Ein Austriacum, das bei den Konzernzentralen auf völliges Unverständnis stößt. Händlersprecher -wie zuletzt etwaBernhard Kalcher bei Peugeot -welche auf die Einhaltung dieser Schutzbestimmungen pochen, werden rigoros gekündigt. Das ist auch der Grund, warum Komm.-Rat Ing. Josef Schirak, Sprecher des österreichischen Kfz-Einzelhandels, angesichts der derzeitigen "Evaluierung" der GVO 330/2010 überzeugt ist, dass diese faktisch gar nicht mehr existiert. Deren Wettbewerbsbeschränkungen ändern nichts an der Übermacht und Willkür der Hersteller. "Die Praxis mit einseitig ausgelegten Knebelungsverträgen zeigt, dass viele Marken, die ihre Verträge nun erneuern, immer wieder dieselben Untergriffe darin aufnehmen." Der Meinung des ZDK, dass sich diese GVO für den Automobilhandel "grundsätzlich bewährt hat", werden sich Österreichs Händler daher nie anschließen können.