future mobility: Herr Gatterer, Sie verdienen Ihr Geld mit Zukunft – wie erstellt man intelligente Prognosen?

Insgesamt ist es unser Job, unterschiedliche wissenschaftliche Hintergründe zusammenzuführen. Ausgangspunkt ist immer eine solide Grundrecherche. Sie müssen wissen, was ist „State of the Art“, was passiert gerade jetzt. Dann finden wir heraus: Was machen die Vordenker und Vorreiter in den Labors, bei den Thinktanks gerade? Schon das ist nicht so banal, wie es klingt. Aus diesen Informationen versuchen wir, Muster zu erkennen, wir nennen das „pattern recognition“. So können wir sehen, aha, da entsteht ein neuer Trend. Insgesamt handelt es sich um intensive systemische Research-Arbeit, für unsere Prognosen ziehen wir dann nicht Modelle heran, die linear funktionieren, sondern gehen von zyklischen Verläufen aus. Es wäre ein klassischer Fehler, der oft gemacht wird, Trends einfach linear fortzuschreiben, also zu sagen: Es gibt die technische Möglichkeit, also wird das auch in Zukunft nur mehr so gemacht werden.

Wie ginge das etwa mit der Frage nach der ­E-Mobilität?

Wir würden nach Treibern einerseits und Gegenkräften andererseits suchen: Also steigendes Umweltbewusstsein, Trend zur Ressourcenschonung, aber auch z. B. hoher Digitalisierungsgrad. Hemmnisse sind bekanntlich Preis, Infrastruktur, aber auch bestehende Gewohnheitsmuster in der Mobilität. Aus dem Zusammenspiel von massiven Treibern und großen Gegenkräften könnte man ableiten, dass sich die E-Mobilität in nächster Zeit eher nicht explosionsartig entwickeln wird.

 

Wie weit kann man sinnvollerweise in die Zukunft blicken?

Prognosen werden klarerweise schwieriger, je weiter man in die Zukunft schaut. Aber im Grunde hängt das vom Thema ab. Bei der Frage nach dem Bevölkerungswachstum kann man aufgrund der großen Daten, die vorhanden sind, relativ leicht weit voraus prognostizieren – einen Peak von ca. 10 Milliarden Menschen im Jahr 2050, dann Rückgang. Andere Fragen, etwa die, welche von 2 möglichen Technologien sich durchsetzen wird, sind seriöserweise oft gar nicht zu beantworten. Da gibt es zu viele Faktoren, die niemand imstande ist zu überblicken.

Digitalisierung und Computertechnologie sind ja starke Treiber des Wandels. Wie stark hat sich die Zukunftsforschung selbst durch diese ­Entwicklungen verändert?

Was sich am meisten beschleunigt hat, ist die Informationsverarbeitung. Recherchieren ist Umgang mit Information, insofern hat das unsere Arbeit massiv verändert. Eine weitere Auswirkung ist meiner Meinung nach, dass sich heutzutage jeder irgendwie mit Zukunft beschäftigt und viele behaupten, sie wissen, wie die Zukunft aussieht. Überall, wo ein bisschen etwas Neues drin ist, steht groß „Zukunft“ drauf. Wir sind prophetisch verseucht, das ist meiner Meinung nach für den Normalbürger anstrengend. Für uns im Zukunftsinstitut eher nicht, wir arbeiten da sehr solide.

Sind Sie eigentlich eher Optimist oder Pessimist, und wie beeinflusst Sie das in Ihrer Arbeit?

Ich bin als Privatperson sicher Optimist, in meiner Arbeit kritischer Optimist. Wobei bei unserer Herangehensweise diese Frage eigentlich keine Rolle spielt. Wir erforschen die Möglichkeitsräume, die Entwicklungschancen. Grundsätzlich ist es in unserer Zeit schwieriger, Optimist zu sein als Pessimist. Die negativen Nachrichten kriege ich ja täglich serviert. Optimist zu sein, ist in unserer Zeit die unbequemere Position.

Was war bisher Ihre größte Fehlprognose?

Naja, wir sagen ja nicht: Ereignis X wird im Jahr Y sicher eintreten, das wäre Hellseherei. Wir versuchen, Muster zu erkennen, zu beschreiben, und treffen Aussagen über mögliche Zukunftsräume. In der Beschreibung dieser Korridore sind wir sehr gut. Wir überprüfen unsere Arbeit ja auch im Nachhinein, und da sind wir bisher recht zufrieden. Allerdings haben wir einmal vor 10 Jahren das Bevölkerungswachstum in den urbanen Gebieten viel höher eingeschätzt, als es dann eingetreten ist. Aus diesen Dingen versuchen wir dann zu lernen und besser zu werden.

Wie stark beeinflussen Utopien aus Film und Fernsehen die tatsächliche Entwicklung von ­Technologien?

Sehr stark. Große Filmereignisse zum Beispiel haben die Kraft, eine Vorstellung von Zukunft mitzuprägen. Zukunft ist etwas Abwesendes, existiert nur als Phantasie in uns. Was speist nun diese Fantasie? Sicherlich auch Filme. Ein bekanntes Beispiel ist der Tablet-Computer, der vorweggenommen wurde. Umgekehrt ist es aber auch so, dass sich manche Phantasien wie Chimären in unserer Vorstellung halten, obwohl sie völlig unrealistisch sind. Zum Beispiel das fliegende Auto, das alle 3 Jahre von irgendwem „erfunden“ wird, und zwar seit 30 Jahren, als es filmisch vorweggenommen wurde. Filme erzeugen Zukunftsfantasien, denen sich Menschen dann widmen. Allerdings hat auch der Filmregisseur die Idee nicht einfach aus der Luft gegriffen. Wenn in der neuesten Staffel von Star Trek ein mit Pilzsporen betriebener Hyperraum­antrieb vorkommt, sehe ich darin eine Reflektion der derzeit relevanten gesellschaftlichen Diskussion rund um Biofuels. Die der Filmemacher eben ins Extreme weitertreibt.

Unsere Generation hat mit der Digitalisierung und der Computertechnologie einen riesigen Umbruch erlebt. Was ist die Herausforderung für die nächste Generation?

Wir haben die Hype-Phase der Digitalisierung erlebt, das war irgendwie cool. Die jetzige Generation muss mit den Auswirkungen umgehen lernen: Wie verändert es unseren Umgang miteinander, wenn ein Großteil der Dialoge virtuell stattfindet? Man merkt ja, wie schwer uns das fällt, Stichwort Hasspostings. Das erfordert eine neue Art von Zukunftsvorstellung. Wir haben heute noch keine Vorstellungen von einer globaleren Welt, wollen die alte Ordnung so lange wie möglich aufrechterhalten. Unsere Kinder müssen an einer neuen Welt mitarbeiten, viel mehr, als wir das mussten. Es stellen sich neue Fragen von Zusammenleben, was ist wertvoll, was ist wichtig, müssen noch alle arbeiten, ...?

Abschließend muss ich doch noch fragen: Was wird sich denn nun durchsetzen, Diesel oder Elektro?

In den nächsten 30 Jahren wird es auf diese Frage keine eindeutige Antwort geben. Die vorhandenen Antriebstechnologien werden partielle Entwicklungsschübe erleben – größere Reichweiten bei Elektroautos, Umweltfortschritte bei den Verbrennern, aber auch Entwicklungen etwa bei Wasserstoff. Das primäre, dominierende System wird es in den nächsten 30 Jahren nicht geben. Über 2050 hinaus – was für viele uninteressant ist – wird sich wieder ein dominantes System durchsetzen.