Wenn es irgendwo um heikle Lackfragen geht, ist Norbert Hermann vom
Allianz Zentrum für Technik (AZT) die erste Anlaufstelle. Das gilt
nicht nur für Werkstätten, sondern auch für die Autoproduzenten und
die Lackindustrie.
Denn sie sind bei der Einführung neuer Produkte auf Hermanns
Expertisen angewiesen. Die von seinem Team ermittelten Daten fließen
letztlich in die Reparaturkalkulationen von Eurotax, DAT und Audatex
ein - und beeinflussen so die Abrechnung von Millionen von
Blechschäden. Bei den Münchner Unfallforschern geht es nicht nurum
Präventionsmaßnahmen zur Minderung der Unfallfolgen. Es geht mittels
Entwicklungen in der Fügetechnik, Werkzeugtechnik und
Verfahrenstechnik auch darum, die Reparaturkosten zu senken. Und
dabei spielt am Ende einer Reparatur die erforderliche Lackierung
eine wesentliche Rolle.
"Wir arbeiten da gemeinsam mit dem ZKF (Zentralverband Karosserie und
Fahrzeugtechnik), dem ZDK (Zentralverband Deutsches
Kraftfahrzeuggewerbe), der BFL (Bundesfachgruppe Fahrzeuglackierer)
und diversen Reparaturverbänden eng zusammen", schafft für Hermann
diese über den Lackierbereich hinausgehende Kooperation die Basis
seiner Zeitstudien und Datenermittlungen. "Da wiegen und messen wir
draußen und nicht im Laborbetrieb", ist er stolz auf die extrem hohe
Akzeptanz der praxisorientierten Forschungsergebnisse, die letztlich
in die allgemein anerkannte AZT-Lackierkalkulation einfließen.
300.000 Farbmöglichkeiten
"Bei uns sind heute 300.000 Farbmöglichkeiten hinterlegt", zeigt die
Allianz-Datenbank, wie sich die Farbenlehre seit Goethe
weiterentwickelt hat. "Das ergibt sich schon durch die verschiedenen
Effekte bei den Lackkompositionen", verweist Hermann in diesem
Zusammenhang etwa auf die weit verbreitete Perlmuttlackierung. Die
Phantasie der Lacktechniker kennt da kaum Grenzen. Immer öfter
bringen die Autobauer neue Modelle mit Sonderlackierungen auf den
Markt, um den damit verbundenen Hingucker-Effekt zu verstärken.
Landet so ein Wagen später in der Werkstatt, ist das Knowhow der
Lackierer gefordert.
Komplexe Farbtöne
Als Paradebeispiel prangt in Hermanns Labor ein wunderbar lackierter
roter Alfa Romeo Kotflügel, und zwar in Rosso Competizione. Im
Internet findet man dazu auch gleich eine Anfrage: "Hallo, ich suche
den Farbcode für Rosso Competizione, und vielleicht kann einer auch
sagen, wie der Lack aufgebaut wird. Silber als 1 Schicht?" Die
Antwort von Heiko Köster, Leiter Technischer Service beiStandox
Deutschland, lehrt ihn eines Besseren. Denn die Reparatur von Rosso
Competizione ist ein Fall für echte Profis: "Das Knifflige daran ist
die Farbtonbestimmung", erklärt er. "Denn der Farbton und der
besondere Tiefeneffekt hängen von vielen verschiedenen Faktoren ab:
vom Untergrundfarbton, von der farbgebenden Basislackschicht und von
der Schichtdicke der zweiten Basislackschicht und der Schichtdicke
des eingefärbten Klarlacks, der dem Farbton Tiefe und damit
zusätzliche Brillanz und Intensität verleiht."
Rosso Complicazione
"Wir nennen ihn einfach Rosso Complicazione", bringt Hermann diese
Lacktechnik auf einen kurzen Nenner. Die für diesen Lackton
erforderlichen fünf verschiedenen Lackschichten schlagen sich
natürlich auch in der Kalkulation nieder. "Auf den ersten Blick sieht
der Lackierer gar nicht, was auf ihn zukommt", warnt er vor
voreiligen Kostenschätzungen. Im Internet liefert Köster eine für
Laien plausible Erklärung des Reparaturaufwandes: "Farbmusterbleche
zur Bestimmung des Farbtons anzufertigen, das ist der wichtige erste
Schritt bei der Reparatur."
Schichtdicken sind entscheidend
"Die Schichtdicken der Basislacklasur und des eingefärbten Klarlacks
sind die Hauptfaktoren für Farbe und Anmutung der Lackierung am Ende;
deshalb müssen sie bei der Anfertigung der Musterbleche variiert
werden", so Köster. "So entstehen verschiedene Mustervarianten für
den Vergleich mit dem Ausgangston am zu reparierenden Fahrzeug." Er
empfiehlt weiters, die Musterbleche penibel zu beschriften -mit
Informationen zur verwendeten Pistole, zu den Einstellungen, zur
Anzahl der Spritzgänge.
Köster: "Bis zur Bestimmung des richtigen Farbtons können mehrere
Musterbleche nötig sein. Nur wenn alle Bedingungen stimmen, kann man
den richtigen Ton am Ende treffsicher nachstellen." Ist der Farbton
einmal bestimmt, gilt bei der Lackierung: extrem sorgfältig arbeiten!
"Die Reparatur muss vonder ersten Schicht an perfekt sein", so
Köster: "Schon ein minimaler Staubeinschluss in der ersten
Basislackschicht oder ganz leichte Wolken bleiben bis zum Schluss
sichtbar."
Kaskoersteinstufung und Nachprüfung
Kein Wunder, dass sich Kfz-Versicherer von solchen Lackierungen nicht
sonderlich begeistert zeigen. "Wir machen in solchen Fällen eine
Kaskoersteinstufung", kann Hermann durch die enge Zusammenarbeit mit
den Lackherstellern den Lackreparaturaufwand bei neuen Modellen vom
Start weg recht gut einschätzen. "Nach einem Jahr gibt"s dann eine
Nachprüfung", die zu einer Prämien-Nachjustierung führen kann.
Beim Rosso Complicazione ist diese Phase längst vorbei. Und Köster
hat für diese Sonderlackierung auch einige Tipps zur Hand: "Die
Applikation der Lasur in fünfmal 0,5 Spritzgängen ergibt ein
gleichmäßigeres und einheitlicheres Erscheinungsbild als die
Lackierung in 2,5 Spritzgängen. Bei der zweiten Basislackschicht
sollte besondersdarauf geachtet werden, nicht zu viel Material
aufzutragen. Sonst bildet die rote Farbe an den Kanten dunkle
Ränder."
Wer es noch genauer wissen will, kann eine ausführliche
Reparaturanleitung für Rosso Competizione metallic und weitere
exklusive Sonderfarbtöne bei Standox in der Standothek
"Sonderlackierungen" herunterladen (www.standox.de/service). Eine
Bibliothek, die recht deutlich zeigt, dass Hermann auch künftig nicht
an Unterbeschäftigung leiden wird.