Mit gezielter Datennutzung können vife Marken und Händler schon jetzt neue Kunden gewinnen. Zulasten jener, denen sie abgejagt werden. Für die Autobauer ist das letztlich ein Nullsummenspiel. Daher geht es ihnen darum, neue Geschäftsfelder für völlig neue Umsätze zu generieren. Das würde eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Handel und Industrie voraussetzen. Die ist nicht in Sicht -zur Freude von Datenkraken wie Google, Facebook&Co, die an völlig neuen Mobilitätskonzepten arbeiten.

Wo der Zug hinfährt, sieht man bei Alibaba, dem weltgrößten Internethändler in China. Der hat potenzielle Autokäufer aufgefordert, ihr neues Auto ohne Navi zu bestellen. Diese werden dann von Alibaba gratis nachgerüstet. Mit allen Alibaba-Apps, die unlöschbar am Navi vorinstalliert sind. Apps, mit denen Alibaba all jene Daten absaugt, die etwa Audi gerne selbst von den Kunden hätte. "Der Audi mutiert damit zur blechernen Hülle eines fahrbaren Konsumportals", bringt der ehemalige Springer-Chefredakteur Christoph Keese als Kenner des Silicon Valley die Stoßrichtung globaler Marketingstrategen auf einen kurzen Nenner.

Plattform als Herrüber Kundendaten

Nicht besser geht es Samsung mit seinem Android-Betriebssystem, das Google dem Elektronik- Konzern gratis zur Verfügung gestellt hat und das auf allen Samsung-Handys installiert ist. "Damit schenken die Koreaner Google alle vom Kunden generierten Daten", verweist Keese auf die Bemühungen der Amerikaner, das Handy auch als elektronischen Autoschlüssel oder als Einparkhilfe zu propagieren. "Damit wird diese Plattform zum Herr über alle Kundendaten." Er sieht der Kfz-Branche die Felle davonschwimmen.

Die vielfältigen Möglichkeiten einer derartigen Datennutzung zeigt Wolfgang Kopplin, deutscher Ford-Geschäftsführer für Verkauf und Marketing, mit seiner neuen "Ford Smart Mobility". Diese Daten-Plattform fasst alle Ford-Apps zu einem integrierten System zusammen. Mit dem elektronischen Autoschlüssel lässt sich etwa das Ford-Carsharing-System aktivieren. Mehrere Nutzer eines einzigen Autos können entsprechend dem individuellen Nutzungsvolumen die Betriebskosten untereinander aufteilen. Die Parkgebühr wird vom Bordcomputer aus getätigt, der den Kunden auch zu bevorzugten Parkplätzen dirigiert. Die Kasko-Versicherung lässt sich damit genauso buchen wie der nächste Servicetermin. Das Bordsystem informiert über den aktuellen Stand der Leasingfinanzierung. Und stoppt in fernerer Zukunft beim E-Auto die Batterieladung, falls der Kunde mit seinen Raten säumig wird.

Neue Geschäftsfelder auch für Autohändler

"Wer mit den Daten Kundengewohnheiten ermittelt, kann damit gezielte Angebote legen", sagt Kopplin. Er will damit neue Geschäftsfelder erobern, die mit dem Autokauf selbst nichts zu tun haben. Der Bordcomputer verrät dem Händler (oder Ford), wo und wie lange der Kunde auf Reise war. Verknüpft mit einem Portal wie AirBnB oder Booking.com lassen sich so auf der Ford-Plattform automatisiert individuelle Reiseangebote und die damit verbundenen Dienstleistungen präsentieren -und auch gleich buchen. "All diese Internetportale besitzen nichts außer Datenströme", sagt Kopplin.

Die Kfz-Händler hätten bei den für die Kfz-Branche neuen Geschäftsfeldern den Vorteil, näher am Kunden zu sein. Die Autokonzerne mit ihren Händlernetzen könnten sich durch die Nutzung der Kundendaten in virtuelle Kaufhäuser verwandeln -in denen unter anderem auch Autos verkauft werden. Rund um die Mobilität lassen sich zahlreiche neue Geschäftsideen entwickeln. 2.300 Milliarden Dollar macht derzeit das weltweite Kerngeschäft der Kfz-Branche -Autohandel und Service -aus. "5.400 Milliarden werden rund um dieses Geschäft erwirtschaftet", hieß es auf dem Kongress. Daher sollten aus der Sicht wichtiger Manager Hersteller und Händler gemeinsam versuchen, sich ein größeres Stück von diesem Kuchen abzuschneiden. Ins Schwärmen kommen die Konzernplaner, wenn es um die lenkerlose, autonome Mobilität geht. Dann ließen sich beim Carsharing die Autos ohne Rückholaufwand stets dorthin bringen, wo sie vom Kunden tatsächlich benötigt werden. Und zur Reinigung oder zum Service, das auch in Zukunft notwendig sein wird. Derzeit sieht es somit eher so aus, dass die Stärkeren -die Kfz-Konzerne -diese Datenströme allein nutzen wollen: nach dem Vorbild der Handy-Produzenten, die verlangen,dass sich ihre Kunden ihren Nutzungsbestimmungen -einschließlich der kompletten Datennutzung -komplett unterwerfen. Andernfalls können diese Geräte gar nicht in Betrieb genommen werden.

"Sonst ist der Zug abgefahren"

Aufgrund der "markanten Verschiebung der Wertschöpfung vom Produkt hin zu den damit generierbaren Dienstleistungen", muss für ZDK-Geschäftsführer Dr. Axel Koblitz der freie Datenzugriff der Kfz-Händler gesichert werden. Vor allem, da sich Handel und Industrie bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle als Wettbewerber gegenüberstehen. Weshalb auch für ADAC-Geschäftsführer Alexander Müller völlig klar ist, dass nur der Kunde entscheiden soll, wem er welche Daten zu Verfügung stellt. Eine Umfrage in Australien hat ergeben, dass dies auch die Ansicht von 90 Prozent aller Autofahrer ist.

Deshalb fordert auch CECRA-Geschäftsführer Bernard Lycke namens der europäischen Händlerverbände, dass sich Brüssel der strittigen Frage des freien Datenzugriffs annimmt. Im ZDK wurden einige IT-Tools entwickelt, die sich vom Händler in ihre eigenen Apps integriert lassen, etwa der Neuwagenkonfigurator mit individuell einstellbaren Rabattparametern und der Finanzierungskalkulator mit einer integrieren Ratenberechnung; oder das "Ankaufsversprechen" für Gebrauchtwagen, um Kunden und Händlern den Autoeintausch zu erleichtern; oder den Werkstattkalkulator, mit dem ein Kunde bei der Fahrzeugannahme binnen 30 Sekunden erfährt, was ihn der Werkstattbesuch voraussichtlich kosten wird. "Die Industrie fürchtet jetzt, dass die EU-Kommission die Datennutzung reglementiert", analysiert der deutsche Händleranwalt Dr. Christian Genzow das derzeitige Lobbying in Brüssel. Vordergründig geht es "nur" um das neue eCall-System und die damit verbundenen Möglichkeiten der Reparatur-und Servicesteuerung. Tatsächlich feilen aber laut ZDK-Präsident Jürgen Karpinski "alle Hersteller an neuen Geschäftsmodellen". An Plattformen zur Vermittlung neuer Mobilitätsdienstleistungen -mit und ohne Händlereinbindung. "Wenn sichdie beiden nicht bald einigen, ist der Zug abgefahren", ist Müller überzeugt, dass andernfalls branchenfremde Plattformen das Geschäft mit den Datenströmen machen werden. (KNÖ)