Sowohl die CECRA-Tagung der europäischen Kfz-Händlerverbände als auch
der deutsche Fabrikatshändlerkongress befassten sich Mitte Jänner in
Berlin mit der Digitalisierung der Kfz-Branche.
Mit gezielter Datennutzung können vife Marken und Händler schon jetzt
neue Kunden gewinnen. Zulasten jener, denen sie abgejagt werden. Für
die Autobauer ist das letztlich ein Nullsummenspiel. Daher geht es
ihnen darum, neue Geschäftsfelder für völlig neue Umsätze zu
generieren. Das würde eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von
Handel und Industrie voraussetzen. Die ist nicht in Sicht -zur Freude
von Datenkraken wie Google, Facebook&Co, die an völlig neuen
Mobilitätskonzepten arbeiten.
Wo der Zug hinfährt, sieht man bei Alibaba, dem weltgrößten
Internethändler in China. Der hat potenzielle Autokäufer
aufgefordert, ihr neues Auto ohne Navi zu bestellen. Diese werden
dann von Alibaba gratis nachgerüstet. Mit allen Alibaba-Apps, die
unlöschbar am Navi vorinstalliert sind. Apps, mit denen Alibaba all
jene Daten absaugt, die etwa Audi gerne selbst von den Kunden hätte.
"Der Audi mutiert damit zur blechernen Hülle eines fahrbaren
Konsumportals", bringt der ehemalige Springer-Chefredakteur Christoph
Keese als Kenner des Silicon Valley die Stoßrichtung globaler
Marketingstrategen auf einen kurzen Nenner.
Plattform als Herrüber Kundendaten
Nicht besser geht es Samsung mit seinem Android-Betriebssystem, das
Google dem Elektronik- Konzern gratis zur Verfügung gestellt hat und
das auf allen Samsung-Handys installiert ist. "Damit schenken die
Koreaner Google alle vom Kunden generierten Daten", verweist Keese
auf die Bemühungen der Amerikaner, das Handy auch als elektronischen
Autoschlüssel oder als Einparkhilfe zu propagieren. "Damit wird diese
Plattform zum Herr über alle Kundendaten." Er sieht der Kfz-Branche
die Felle davonschwimmen.
Die vielfältigen Möglichkeiten einer derartigen Datennutzung zeigt
Wolfgang Kopplin, deutscher Ford-Geschäftsführer für Verkauf und
Marketing, mit seiner neuen "Ford Smart Mobility". Diese
Daten-Plattform fasst alle Ford-Apps zu einem integrierten System
zusammen. Mit dem elektronischen Autoschlüssel lässt sich etwa das
Ford-Carsharing-System aktivieren. Mehrere Nutzer eines einzigen
Autos können entsprechend dem individuellen Nutzungsvolumen die
Betriebskosten untereinander aufteilen. Die Parkgebühr wird vom
Bordcomputer aus getätigt, der den Kunden auch zu bevorzugten
Parkplätzen dirigiert. Die Kasko-Versicherung lässt sich damit
genauso buchen wie der nächste Servicetermin. Das Bordsystem
informiert über den aktuellen Stand der Leasingfinanzierung. Und
stoppt in fernerer Zukunft beim E-Auto die Batterieladung, falls der
Kunde mit seinen Raten säumig wird.
Neue Geschäftsfelder auch für Autohändler
"Wer mit den Daten Kundengewohnheiten ermittelt, kann damit gezielte
Angebote legen", sagt Kopplin. Er will damit neue Geschäftsfelder
erobern, die mit dem Autokauf selbst nichts zu tun haben. Der
Bordcomputer verrät dem Händler (oder Ford), wo und wie lange der
Kunde auf Reise war. Verknüpft mit einem Portal wie AirBnB oder
Booking.com lassen sich so auf der Ford-Plattform automatisiert
individuelle Reiseangebote und die damit verbundenen Dienstleistungen
präsentieren -und auch gleich buchen. "All diese Internetportale
besitzen nichts außer Datenströme", sagt Kopplin.
Die Kfz-Händler hätten bei den für die Kfz-Branche neuen
Geschäftsfeldern den Vorteil, näher am Kunden zu sein. Die
Autokonzerne mit ihren Händlernetzen könnten sich durch die Nutzung
der Kundendaten in virtuelle Kaufhäuser verwandeln -in denen unter
anderem auch Autos verkauft werden. Rund um die Mobilität lassen sich
zahlreiche neue Geschäftsideen entwickeln. 2.300 Milliarden Dollar
macht derzeit das weltweite Kerngeschäft der Kfz-Branche -Autohandel
und Service -aus. "5.400 Milliarden werden rund um dieses Geschäft
erwirtschaftet", hieß es auf dem Kongress. Daher sollten aus der
Sicht wichtiger Manager Hersteller und Händler gemeinsam versuchen,
sich ein größeres Stück von diesem Kuchen abzuschneiden. Ins
Schwärmen kommen die Konzernplaner, wenn es um die lenkerlose,
autonome Mobilität geht. Dann ließen sich beim Carsharing die Autos
ohne Rückholaufwand stets dorthin bringen, wo sie vom Kunden
tatsächlich benötigt werden. Und zur Reinigung oder zum Service, das
auch in Zukunft notwendig sein wird. Derzeit sieht es somit eher so
aus, dass die Stärkeren -die Kfz-Konzerne -diese Datenströme allein
nutzen wollen: nach dem Vorbild der Handy-Produzenten, die verlangen,dass sich ihre Kunden ihren Nutzungsbestimmungen -einschließlich der
kompletten Datennutzung -komplett unterwerfen. Andernfalls können
diese Geräte gar nicht in Betrieb genommen werden.
"Sonst ist der Zug abgefahren"
Aufgrund der "markanten Verschiebung der Wertschöpfung vom Produkt
hin zu den damit generierbaren Dienstleistungen", muss für
ZDK-Geschäftsführer Dr. Axel Koblitz der freie Datenzugriff der
Kfz-Händler gesichert werden. Vor allem, da sich Handel und Industrie
bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle als Wettbewerber
gegenüberstehen. Weshalb auch für ADAC-Geschäftsführer Alexander
Müller völlig klar ist, dass nur der Kunde entscheiden soll, wem er
welche Daten zu Verfügung stellt. Eine Umfrage in Australien hat
ergeben, dass dies auch die Ansicht von 90 Prozent aller Autofahrer
ist.
Deshalb fordert auch CECRA-Geschäftsführer Bernard Lycke namens der
europäischen Händlerverbände, dass sich Brüssel der strittigen Frage
des freien Datenzugriffs annimmt. Im ZDK wurden einige IT-Tools
entwickelt, die sich vom Händler in ihre eigenen Apps integriert
lassen, etwa der Neuwagenkonfigurator mit individuell einstellbaren
Rabattparametern und der Finanzierungskalkulator mit einer
integrieren Ratenberechnung; oder das "Ankaufsversprechen" für
Gebrauchtwagen, um Kunden und Händlern den Autoeintausch zu
erleichtern; oder den Werkstattkalkulator, mit dem ein Kunde bei der
Fahrzeugannahme binnen 30 Sekunden erfährt, was ihn der
Werkstattbesuch voraussichtlich kosten wird. "Die Industrie fürchtet
jetzt, dass die EU-Kommission die Datennutzung reglementiert",
analysiert der deutsche Händleranwalt Dr. Christian Genzow das
derzeitige Lobbying in Brüssel. Vordergründig geht es "nur" um das
neue eCall-System und die damit verbundenen Möglichkeiten der
Reparatur-und Servicesteuerung. Tatsächlich feilen aber laut
ZDK-Präsident Jürgen Karpinski "alle Hersteller an neuen
Geschäftsmodellen". An Plattformen zur Vermittlung neuer
Mobilitätsdienstleistungen -mit und ohne Händlereinbindung. "Wenn
sichdie beiden nicht bald einigen, ist der Zug abgefahren", ist
Müller überzeugt, dass andernfalls branchenfremde Plattformen das
Geschäft mit den Datenströmen machen werden. (KNÖ)