Ihr Mechanismus ist, dass diejenigen, die an die Vorhersage glauben, sich so verhalten, dass sich die Prophezeiung letztlich erfüllt. Das amerikanische Soziologen-Ehepaar William und Dorothy Thomas hat das bereits 1928 als "Thomas Theorem" beschrieben: "Wenn die Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihrer Konsequenz real." Es geht um die Differenz zwischen subjektiver Wirklichkeit und objektiver Realität. Es kommt somit nicht darauf an, ob etwas wahr ist oder nicht.

Diese Theorie wurde später in einem klassischen Experiment in einer US-Volksschule verifiziert: Der Schulpsychologe überzeugte mit einem Scheintest das Lehrerkollegium, einige von ihm (zufällig) Ausgewählte seien hochintelligente "Aufblüher", die es zu hervorragenden Leistungen bringen werden. Die Intelligenzmessungam Ende des Schuljahres zeigte, dass sich bei den meisten der Probanden das Intelligenzniveau überdurchschnittlich verbessert hat. Dieser Test wurde seither mehrfach wiederholt, stets mit ähnlichen Ergebnissen.

Die Error-Herrschaft der veröffentlichten Meinung wird durch diesen Mechanismus zur Terrorherrschaft. Durch die Prognose, Alexander Van der Bellen wäre der bessere Präsident, wird dieser tatsächlich zum besseren Präsidenten. Neben diesem positiven "Campaigning" kennt das Thomas Theorem natürlich auch eine negative Variante. Wenn das (falsche) Gerücht auftaucht, eine Bank stehe vor dem Bankrott, kann diese kolportierte Finanznot tatsächlich zum Zusammenbruch der Bank führen. Dies völlig losgelöst davon, dass dieses Gerücht von einer völlig irrealen Ausgangssituation ausgegangen ist. Ein als Vorhersage getarntes Gerücht -Hofer werde international gemieden werden -kann eine Eigendynamik entfalten, die Hofer letztlich zum schlechteren Präsidenten macht.

Dieses Theorem gilt natürlich auch für Horoskope -so man daran glaubt: "Dir droht diese Woche ein Verkehrsunfall", kann das Verhalten eines Lenkers so verändern, dass er dann tatsächlich einen Verkehrsunfall hat. Was natürlich nicht heißt, dass das Horoskop "wahr" war. Eine Vorhersage-Angst kann zum tatsächlichen Versagen führen: So kann der Glaube, bei einem Leistungstest schlecht abzuschneiden, zu einem realen Leistungsverlust führen, obwohl der Betroffene objektiv in der Lage wäre, mit dieser Herausforderung angemessen umzugehen.

Die griechische Mythologie lehrt uns anderseits, was passiert, wenn man Prophezeiungen ignoriert. Da gab es die wunderschöne Kassandra, eine Königstochter in Troja. Der in sie verliebte Gott Apoll schenkte ihr die Sehergabe. Da sie ihn dennoch verschmähte, verhängte er den Fluch, dass niemand ihre Prophezeiungen glauben werde. Sie kannte als Seherin die Zukunft Trojas und warnte ihre Landsleute, das vom hinterlistigen Odysseus gebaute ("trojanische") Pferd in die Stadt zu lassen. Doch die Trojaner glaubten ihr nicht und wurden schlussendlich vernichtet.

Der siegreiche Agamemnon, der Anführer der Griechen, schleppte die versklavte Königstochter als Beute in seine Heimat. Kassandra kannte auch sein Schicksal, doch auch er glaubte ihr nicht: Er wurde von der ihn hassenden Ehefrau Klytämnestra und ihrem Geliebten ermordet. Kassandra verkündete der Mörderin, dass sie von ihrem denVater rächenden Sohn Orestes erdolcht werde -und wurde für diese Prophezeiung ebenfalls umgebracht.

Wir von AUTO&Wirtschaft sehen uns nicht als Seher. Wir wissen (gelegentlich resignierend), dass wir trotz des Thomas Theorem mit unserer Berichterstattung den Lauf der Dinge nicht verändern können. Wir wissen auch, dass uns viele unsere Prognosen und Warnungen nicht glauben. Es sollte uns daher auch niemand vorwerfen, dass wir mit den meist wenig erfreulichen Prognosen an der Misere der Kfz-Branche Schuld tragen. Daher haben wir die Gewissheit, dass wir trotz aller Kritik nicht so bald ein trojanisches Schicksal erleiden werden.