Vor dem Hintergrund standortpolitischer und globaler Ausstellerinteressen putzte sich ein letztes Mal die "Reifen Essen" heraus und mit der Asiaten Hilfe füllten sich die Messestände zu respektabler Größe. Das vor dem Hintergrund, dass die Reifenwirtschaft aufgrund rückläufiger Märkte im Ersatzbedarfsgeschäft mit ihren vielfältigen Vertriebsschienen in eine Sackgasse geraten ist.

Es wird zu viel produziert, worunter wiederum die Vertriebshygiene leidet und darunter vor allem der Reifenfachhandel, dem die Industrieseite nach Auslegung der Kritiker die kalte Schulter zeigt. Die Erkenntnis: Jeder muss sich selbst helfen. Am Ausleseprozess führt kein Weg vorbei und da sitzt die Lieferantenszene auf dem längeren Entscheidungsast.

Ursachenforschung und Neuorientierung

Daher wundert es nicht, dass so vieleösterreichische Branchenvertreter wie schon lange nicht mehr nach Essen gepilgert sind, um sich zu orientieren, mit wem man sich künftig partnerschaftlich einlassen will. Die aktuelle Ruhdorfer-Pleite war neben der Bundespräsidentenwahl Branchenthema in Essen.

Beim Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV), dem ideellen Träger der Messe, stand indes Ursachenforschung auf dem Programm. Verbandscapo Peter Hülzer adressierte sein Sündenregister gleichermaßen an die Mitglieder aus Industrie und Handel, bekam Zustimmung zur Situation, jedoch seitens der Lieferanten keine Antworten zur Besserung der Lage im Reifenersatzbedarfsgeschäft.

Daher erachtet Hülzer einen Tapetenwechsel von Essen nach Köln für sinnvoll. BRV-Expartner Messe Essen sucht sein Heil künftig unter dem Dach der Automechanika in Frankfurt. Ergo rittern im Mai und im September 2018 zwei Messen um die Aussteller- und Fachpublikumsgunst. In Essen war ein Trend zur eigenständigen "Tyre Cologne" spürbar, weil man sich unter der riesigen Werkstattmesse als Anhängsel um die Eigenständigkeit der Reifenbranche gebracht sieht.

Drängendere Fragen suchen Antwort

Abwarten! Bis 2018 fließt noch viel Wasser den Rhein und den Main hinunter. Also hat die Sanierung der Branche Vorrang. Die Distributionskanäle Autohaus, Kfz-Werkstätten sowie B2B-Plattformen expandieren zulasten des Reifenfachhandels. Zudem setzen die Hersteller unter dem Begriff "kontrollierte Distribution" auf eigene Vertriebsschienen, um den Markt beherrschen zu können.

Der Reifenfachhandel will sich seine Position als unverzichtbarer Industriepartner aber zurückerobern. Über das Wie sind sie sich völlig uneins.

Diese Schwäche wiederum macht sich die Industrie zunutze und wenn es argumentativ heikel wird, baut man unter dem Begriff "Compliance" gemeinsam eine Mauer des Schweigens auf.

In einer unter dem Slogan "Quo vadis Reifenfachhandel?" geführten Diskussionsrunde zeigten sich die D-A-CH-Vertriebsspitzen Wolfgang Thomale (Continental), Jürgen Titz (Goodyear) Anisha Taneja (Michelin) und Pirelli-Deutschlandchef Andreas Penkert alles andere als dialogbereit, speziell auf die Probleme des Reifenfachhandels einzugehen.

Österreichs einzige Teilnehmer an der Mitgliederversammlung des BRV, Ing. Walter Antosch (Hallein) und Mag. Klaus Kreisel (Hartberg), wurden Ohrenzeugen, dass es zu viele Anbieter bei einem weiter rückläufigen Ersatzbedarfsmarkt gibt. Daher sortiert die Industrie nach eigenem Belieben durch Mengenund Preisdiktat das Anbieterfeld aus .

Der Dialogbereitschaft wird zwar diplomatisch das Wort geredet, faktisch herrscht Stillstand. Auf beiden Seiten weiß keiner einen Ausweg aus diesem Patt, so wartet man darauf, dass der Konsument die Antwort zur Lösung aufbereitet.

Ganzjahresreifenstrategie und RDKS-Kostenfalle

Die traditionellen Geschäftsmodelle im Reifenvertrieb sind in Bewegung. Die Digitalisierung der Vertriebswege lässt B2B und B2C verschmelzen. Die steigende Komplexität der Reifenprodukte erfordert wiederum die Partnerschaft zwischen Industrie und Handel, denn nur die öffnet den Verkaufserfolg zum Kunden. Die Bevorratungspraxis orientiert sich mehr und mehr an der zunehmenden Digitalisierung in der B2C-Welt.

Ohne Ehrlichkeit in der Partnerschaft mit dem Reifenfachhandel, so das Credo der Industriesprecher, ist vieles in der Vermarktungsliteratur Makulatur und beschleunigt lediglich Verschiebungen in Zweit- und Drittmarken. Vom Mengenstreben abzurücken ist für sie aber auch wieder keine Alternative. Also wird der gnadenlose Verdrängungswettbewerb fortgesetzt: Die aktuelle Preis- und Distributionspolitik zum Beispiel, drückt den Konsumentenpreis im Internet mittlerweile auf Fachhändler-Einkaufsniveau und sogar darunter.

Ganzjahresreifen-Strategien beeinflussen das ohnehin rückläufige Sommer- und Winterreifengeschäft negativ. Wer - als weiteres Beispiel -auf die konsequente Berechnung der Dienstleistung RDKS verzichtet, mahnt der BRV, dem ist nichts mehr heilig und der probiert alles aus, ohne die daraus resultierenden Konsequenzen für sich und die Branche zu bedenken. Tendenziell ist der Anteil der Weiterverrechnung dieses Kostenfaktors an die Kunden rückläufig. Mehrkosten aus der RDKS-Bedienung nimmt der Reifenfachbetrieb teilweise oder ganz auf seine eigene Kappe. Hier werden, wohl auch aus Wettbewerbsdrucksgründen, neue Umsatzbringer schon im Anfangsstadium vernichtet.

Flucht ins Autoservice-Geschäft

Erkennbar ist die Konzentration vieler Reifenfachhändler auf das Geschäftsfeld Autoservice. Hier wird der Umsatz (Lohn und Ersatzteile) mit 10 Prozent Zuwachs ausgewiesen. Dennoch, so der Negativeffekt, liegt das Unternehmensergebnis bei vielen gerade noch im Plus. Zu wenig Rendite für die Weiterentwicklung der Händler und für Investitionen, wie VRÖ-Mitglied Mag. Klaus Kreisel vom gleichnamigen steirischen Groß- nd Einzelhandelsreifenhaus konstatiert.

Jedenfalls ist laut Hülzer die zunehmende Diversifizierung der Werkstattleistungen in Richtung Autoservice ein ernst zu nehmender Indikator für einen tiefgreifenden Strukturwandel in der Branche.

An dieser Entwicklung hält der BRV auch die Reifenindustrie für mitschuldig, die durch unverminderte Überproduktion und mangelnde "Markthygiene" ein Hightechprodukt mehr und mehr zur Massenware verkommen lässt. Ob sich das an einem anderen Messeort bessern wird, bleibt zu hoffen.