Im Wettbewerb mit freien Anbietern von Reifen und damit verbundenen
Produkt-und Dienstleistungen sind neue Ansätze gefragt. Ob es das
"Geschäftsmodell Zukunft" vom Beratungsinstitut Roland Berger bringt,
ist noch offen.
Die unter schwachen Marktzuständen stattfindende Neuverteilung von
Umsatz und Gewinn im Reifen( fach) handel hat zahlreiche neue
Wettbewerber angezogen. Trends zeigen sich besonders im
Konzentrationsprozess und wer nicht in der Lage ist, auf geänderte
Kundenbedürfnisse einzugehen, Stichwort Online, dem wird bei
Vernachlässigung seiner Zukunftsfähigkeit rasch die Luft ausgehen.
Neues Service für den Kunden steht im Zentrum aller Bemühungen. Die
kleine Meisterwerkstatt von nebenan wird sich neu profilieren müssen,
um gegen hochprofessionell auftretende Unternehmen, die z. B. über
Ketten-und Franchisekonzepte rasch expandieren, behaupten zu können.
Sie sichern sich vielfach mit Kampfpreisen Marktanteile, verstehen es
aber auch, auf sich ändernde Kundenbedürfnisse einzugehen.
Digitalisierung unumgänglich
Ein wesentlicher Treiber ist dabei die Digitalisierung, die -bei
sinkender Nachfrage -zu wachsenden Erwartungen an die Interaktion der
Kunden führt. Der klassische Reifen(fach)handel ist gefordert, mit
innovativen Services und der Kundenansprache über digitale Kanäle auf
die geänderten Gewohnheiten zu reagieren. Zudem gibt sich der Kunde
vom Heute ins Morgen nicht mehr mit Angeboten von der Stange
zufrieden, sondern verlangt exakt aufdiese Präferenzen
zugeschnittenen Service.
Für reaktionsstarke Werkstätten ist das eine große Chance, sich
derart in dem von einem brutalen Preiskampf dominierten Markt
abzuheben.
Druckmittel Preisbrecher
Solange die Märkte nicht wieder wachsen, bleibt der Preis ein
unumgängliches Kriterium für den Kunden. Das Wachstum der
unabhängigen Dienstleister beruht darauf, günstige Standardleistungen
zu offerieren, und das ist der Reifenwechsel -der Frequenzbringer
jeder Werkstatt. In den Köpfen der Kunden werden sie als Preisbrecher
wahrgenommen, auch wenn die autorisierten gegenüber freien
Werkstätten oft kaum Preisunterschiede zeitigen. Viele Kunden suchen
gezielt im Internet nach dem Bestpreisoffert, daher ist Transparenz
bei der Auswahl des Anbieters ein wichtiges Kriterium. Und exakt in
dieses Kampfsegment drängen nun die herstellerorganisierten Betriebe.
Wie sich das Kräfteverhältnis im Aftermarket in nächster Zeit
verschieben wird, ist völlig offen. Neue Technologien halten Einzug
in das Auto, die Karten im Kampf um den Kunden werden zwischen
Herstellern, Zulieferern und den nachgereihten Serviceanbietern neu
gemischt.
Träger Reifen(fach)handel
Exakt in diese Richtung zielt das von Roland Berger erarbeitete und
letztlich von der Industrie mitfinanzierte Projekt "Geschäftsmodell
Zukunft" für den Reifenfachhandel. Bundesverband-Geschäftsführer
Peter Hülzer hat das Projekt Anfang Juli 2015 in Abwesenheit des im
BRV korporierten Verbands der Reifenhändler Österreichs (VRÖ)
präsentiert (AUTO&Wirtschaft hat davon in der September-Ausgabe
berichtet), vor knapp
Themenrahmen zur Zukunftsfähigkeit des Reifen(fach)handels:
Zum einen sollen weitere Schritte der sogenannten Maßnahmenlangliste
(deren Priorisierung sich der BRV in Kooperation mit dem VRÖ von den
Mitgliedern gewünscht hätte) konkret ausgearbeitet werden. Derzeit
zeichnen sich folgende Themen ab:
dynamische Preisgestaltung, Fahrzeugservice, Optimierung
Kundenerlebnis im Wartebereich, Hol-und Bringservice, Auswertung von
Kundendaten mit externen Partnern, Außen-/Innendienst,
Stromtankstelle, Lkw-Flottenservice.
Zum anderen wirdüber die Bildung der von Roland Berger empfohlenen
Umsetzungs-Taskforce nachgedacht, die dem Händler dabei helfen soll,
die von ihm als realisierenswert empfundenen Maßnahmen vor Ort
konkret umzusetzen. Darüber und vieles mehr soll die in einer am 3.
Dezember 2015 in Bonn mit dem BRV-Vorstand anberaumten Sitzung der
Kooperations-/Handelssystem-Chefs beraten werden. 300 Mitgliedern in
Köln vorgestellt und zieht drei Monate später eine ernüchternde
Zwischenbilanz. Vielen war der Erwartungshorizont an das Projekt zu
groß, schreibt Hülzer in einer ersten Bewertung: "Sie hatten sich
wohl sofort umsetzbare Maßnahmen erhofft, die keine Vorbereitungszeit
benötigen." Andere wiederum wollen im Berger-Projekt "alten Wein in
neuen Schläuchen" entdeckt haben. Es gibt aber auch
Reifen(fach)händler, die im "Geschäftsmodell Zukunft" eine
Verbandsinitiative erblicken, dem nicht zu übersehenden
Strukturwandel erfolgreich begegnen zu können. "Aufgrund der
heterogenen Struktur der Branche", erinnert Projektleiter Philipp
Grosse Kleimann von Roland Berger, könne nicht erwartet werden, dass
ein auf alle Unternehmertypen passendes Füllhorn an Ideen und
Vorschlägen ausgeleert werde. "Die extreme Spreizung der
Mitgliederstruktur des BRV hat uns allerdings überrascht."
Schwache Resonanz
Der Widerhall der Mitglieder ist ernüchternd. Die Charts von Roland
Berger wurden Mitte Juli per Newsletter allen Mitgliedern zugänglich
gemacht. Einen Monat später hatten lediglich 14 Prozent der Empfänger
den Newsletter überhaupt geöffnet. Aufforderungen zur Bestimmung
weiterer Maßnahmen (siehe Kastentext links) fruchteten wenig.
Dennoch lässt sich der BRV-Vorstand davon nicht entmutigen und hat
eine Maßnahmenlangliste erstellt. Tatsache ist, dass es Händler auf
unterschiedlichen Entwicklungsständen gibt, die jeweils mit
unterschiedlichen Umsetzungsschritten agieren müssen, um ein
professionelles Niveau zu erreichen.
Das heißt, 2015 sollte -VRÖ aufgepasst! -zur Definition von
Mindeststandards genutzt werden, um bis 2018 Maßnahmen zur
Erweiterung der traditionellen Geschäftsfelder des
Reifen(fach)handels ergreifen zu können. 2020 sollte dann der
Zeitpunkt sein, in dem das tradierte Reifenersatzgeschäft zwar eine
nach wie vor dominante Rolle spielt, durch zusätzliche Optionen aber
eine stärkere, insbesondere wirtschaftliche Unabhängigkeit vom
Reifenersatzgeschäft sichtbar wird.
Die neuen Wege im Aftersales-Business orientieren sich rasend schnell
und sind vom digitalen Einfluss gezeichnet.
Der Reifen(fach)handel muss zur Schaffung einer professionellen und
zeitgemäßen Geschäftsbasis bereit sein.
Die Roland-Berger-Studie verfolgt einen ganzheitlichen Projektansatz
in Form eines Stufenmodells 2015 bis 2020. Ziel des Projektes ist,
dem Reifenfachhandel auf unterschiedlichsten Entwicklungsständen
dabei behilflich zu sein, sich angesichts des Strukturwandels
zukunftsorientiert fortzuentwickeln. 2015 sollte noch genutzt werden,
um z. B. Mindeststandards zu erfüllen, danach bis 2018 müssen die
traditionellen Geschäftsfelder erweiterungsfähig gestaltet werden
können, um 2020 damit imweiterhin dominanten klassischen
Reifenbusiness durch zusätzliche Optionen eine vom
Reifenersatzgeschäft stärkere Unabhängigkeit zu erlangen.