Wie haben sie sich gefreut, die Manager in der europäischen Autoindustrie, als die Talfahrt zwischen Lissabon und Danzig, zwischen dem Nordkap und dem Peloponnes im Herbst 2013 gestoppt wurde. Seither geht es bergauf und jedes Wachstum entlockt den Herstellern gleich wieder Jubelmeldungen. Dabei spielt die Musik längst anderswo: Die Rede ist nichtvon den USA, wo 5 Jahre nach dem Beinahe-Kollaps von General Motors und Chrysler neue Verkaufsrekorde purzeln. Und wir sprechen nur am Rande von den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China), in denen die Hersteller bereits jetzt stark präsent sind.

100 Millionen Neuwagen pro Jahr

Einer, der sich im Auto-Business sehr gut auskennt, ist Dr. Nikolaus Lang: Seit 17 Jahren berät der gebürtige Wiener Kunden der Boston Consulting Group in aller Welt. Auf jährlich rund 100 Millionen Neuwagen schätzt Lang den Neuwagen-Absatz im Jahr 2020: "Die größten Anteile entfallen mit 28 Millionen auf China, dazu kommen je 15 Millionen in Europa und den USA sowie 7 Millionen in Indien." Doch 20 Millionen werden auf jene Länder entfallen, die Lang unter der Bezeichnung "Beyond BRIC" zusammenfasst. Von diesen insgesamt 88 Ländern sind laut Lang 15 Staaten für jeweils (oft deutlich) mehr als 400.000 neue Autos pro Jahr "gut":"Zum Beispiel der Iran, wo es vollkommen veralteteAutos gibt. Es wäre für die Türkei sehr vernünftig, dort hineinzugehen, um das Ziel, von 1 Million produzierten Fahrzeugen auf 2 Millionen Stück zu wachsen, zu erreichen."

Allerdings müsste man davor auch auf politischer Ebene einige neue Regelungen schaffen, also z. B. das Embargo lockern. Grundsätzlich prophezeit der Experte der Türkei große Chancen als Herstellernation: "Nicht nur der Iran liegt vor der Tür, sondern es gibt auch die Option, zu geringen Zöllen nach Saudi-Arabien zu exportieren."

Wachstum im Mittleren Osten, in Afrika und Südamerika

Generell gehört laut Lang der Mittlere Osten zu den Wachstumsmärkten: "Der Vorteil für die Hersteller ist, dass man relativ wenig adaptieren muss: Denn die Leute wollen dort jene Autos fahren, die sie aus den USA und aus Europa kennen." Da es - beispielsweise in Saudi-Arabien -eine große Mittelschicht gebe,könne man mit relativ gut ausgestatteten Volumenmodellen auch Geld verdienen.

Wachstum prophezeit Lang aber auch Südamerika, und zwar auch abseits der großen Staaten Brasilien und Argentinien: "In Venezuela, Peru, Ecuador, Kolumbien und Chile sehe ich großes Potenzial." Diese Region sei quasi der "Hinterhof von General Motors". Generell sei die Region nicht unbedingt Richtung Asien orientiert, daher gebe esauch für europäische Hersteller dort einiges zu holen.

Zunehmend wichtiger wird laut Lang aber auch der "nordafrikanische Gürtel" werden, also die Länder zwischen Marokko und Ägypten: "Die Nachfrage ist da." Generell sei diese Region noch immer Richtung Frankreich orientiert (und vice versa). Das zeige sich daran, dass Renault ein großes Werk in Marokko eröffnet habe, in dem auch Dacia gebaut würden: "Jetzt baut man dort 30 Autos pro Stunde, hat jedoch Potenzial für 60."

Ein spezieller Fall sind die ASEAN-Länder: "Das ist für die Autohersteller das Meisterstück der Lokalisierung. Denn um niedrige Zölle zu zahlen, müssen sie möglichst viele Teile lokal produzieren." Außerdem seien die Erfordernisse in diesen Ländern total unterschiedlich. So sei Thailand (mit bis zu 1,5 Millionen Fahrzeugen imJahr 2020) der größte Pickup-Markt, während in Malaysia der Absatz von Stufenheck-Limousinen und in Indonesien (bis zu 1,8 Millionen Einheiten) jener von MPVs am wichtigsten sei. Nicht nur Toyota sei in dieser Region sehr stark, sondern auch andere japanische Hersteller wie Nissan, Mitsubishi undSuzuki.

Als "speziellen Fall" bezeichnet Lang Afrika südlich der Sahara: "Selbst in Nigeria wird man nicht 400.000 Autos verkaufen." Hingegen habe allein Toyota in dieser Region 20 Importeure, die sich ausschließlich um Gebrauchtwagen kümmerten. Der Hintergedanke: "Man bindet sein Publikum: Auch wenn sich die Kunden nicht 2020 einen neuen Camry kaufen können, wird es vielleicht 2030 der Fall sein, weil sie die Marke Toyota gewohnt sind."

Chancen für österreichische Zulieferer?

Doch wie kannÖsterreich von den neuen Möglichkeiten profitieren? "Die österreichische Zulieferindustrie hat sich bisher schon stark nach China bewegt", sagt Lang. Bedenken sollten die Unternehmen allerdings, dass man sich auf Lösungen fokussiere, die nicht Produkte der unteren Preisklasse beträfen: "Bei Billigstautos wird man sich Gedanken machen müssen, ob man als Lieferant nicht um 20-30 Prozent zu teuer ist." Große Chancen für Österreich sieht Lang vor allem im ASEAN-Bereich, wo eine lokale Fertigung definitiv Sinn mache. Aber auch in der Türkei könnte Potenzial gegeben sein; hingegen wärenNordafrika und Südamerika für die österreichische Zulieferindustrie weniger geeignet.

Noch ein Tipp von Lang für seine alte Heimat: Österreich sollte sich an den Arbeitszeitkonten der deutschen Industrie und der flexiblen Urlaubsregelung orientieren, um langfristig mithalten zu können.