Ein Händler, der beim Vertrieb der Produkte mitzureden hat? Der mehr tun kann, als bei Herstellerveranstaltungen die Entscheidungen "von oben" abzunicken? Bislang undenkbar im Autogeschäft, in dem das Mitspracherecht spätestens auf Importeursebene endet. In anderen Branchen ist die Lage umgekehrt: Welcher Wurstfabrikant hat Einfluss darauf, wie seine Ware im Supermarkt präsentiert wird? Welcher Uhrenhersteller kann dem Juwelier genaue Vorgaben zu Anzahl, Kleidung und Auftreten des Verkaufspersonals diktieren? Natürlich, der Autohandel wird immer ein Sonderfall sein. Doch die Machtverhältnisse, die lange Zeit für klare Hierarchien sorgten, geraten ins Wanken. Deutlich wurde das am 19. März in Darmstadt: Dort entschloss sich der deutsche Opel-Händlerverband, eine finanzielle Beteiligung an einer neu geordneten Herstellergesellschaft anzustreben.

Überlebensfrage für beide Seiten

Kern des Konzepts: Drei Jahre lang soll jeder Opel-Händler pro verkauften Neuwagen 150 Euro in einen geschlossenen Fonds einzahlen. Beteiligen sich alle 4.000 europäischen Betriebe, würden rund 400 Millionen Euro zusammenkommen. Dies dürfte für eine Minderheitsbeteiligung von 10 bis 20 Prozent ausreichen. Treibende Kraft ist die Händlervereinigung EURODA, geführt vom Niederländer Jaap Timmer. Vor allem aber trägt der Plan die Handschrift von Albert Still: Der stellvertretende EURODA-Vorsitzende und Gründer der AVAG Holding hat als weltweit größter Opel-Händler ein elementares Interesse am Überleben seines Herstellers. 48.000 Neuwagen hat die AVAG im Vorjahr an 110 Standorten in Deutschland, Österreich, Polen, Kroatien und Ungarn verkauft. Hierzulande zählen Opel&Beyschlag, dieÖFAG in Salzburg sowie die beiden Sulzbacher-Betriebe im oberösterreichischen Zentralraum zu ihrem Imperium. Rund 70 Prozent der Verkäufe entfallen auf die Marke mit dem Blitz. "Wenn Opel pleite geht, wird es auch für uns ganz schwierig", bringt Still seine Zwangslage auf den Punkt. Doch die Abhängigkeit beruht auf Gegenseitigkeit: Das zeigt die Nervosität bei Opel, als die AVAG -offiziell unbestätigt -im Zuge eines "Plan B" Gespräche mit Ford aufnahm.

Entscheidung in Wien

Nach dem eindeutigen Votum in Darmstadt, durchaus als persönlicher Erfolg von Still zu werten, scheint der Weg in den anderen europäischen Märkten vorgezeichnet. In Italien, Spanien, Holland und der Schweiz zeichnet sich eine breite Zustimmung ab. Die österreichischen Opel-Händler trafen sich am 2. April in Linz zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung -nach Redaktionsschluss, doch die Stimmung war im Vorfeld eindeutig: "Das deutsche Votum ist ein Signal für alle Länder", rechnete Verbandspräsident Helmuth Günther mit einem klaren Votum. Auch die internationale Letztentscheidung wird in Österreich fallen, wenn sich die EURODA am 15. Mai in Wien trifft. Aber können sich die Händler ihren finanziellen Ausflug an das andere Ende der Wertschöpfungskette überhaupt leisten? Immerhin liegen ihre Renditen seit Jahren auf oder unter dem mageren Branchendurchschnitt, die Überschuldung der Betriebe ist enorm. Die drastischen Restrukturierungen beim Vorarlberger Landeshändler Gerster oder die 10 Millionen Euro schwere Insolvenz des oberösterreichischen Partners Kirchberger dokumentieren, wie es um viele Betriebe bestellt ist. Dennoch will man sich die 150 Euro pro Fahrzeug vom Mund absparen. "Was bleibt uns anderes übrig?",fragt der steirische Leithändler Maximilian Braunstein. "Unsere Beteiligung allein wird Opel nicht wahnsinnig helfen, wäre aber ein ganz starkes Signal an unsere Politiker und an die EU", sagt selbst der ums Überleben kämpfende Georg Kirchberger.

Wagoner am Ende

Die derart in die Pflicht Genommenen zieren sich aber. Vor allem die deutsche Regierung lässt sich nicht zu konkreten Aussagen hinreißen. In den USA zögerte Barack Obama so lange, bis der chronisch erfolglose GM-Chef Rick Wagoner den Hut nahm. Sein Nachfolger, der ehemalige Europachef Fritz Henderson, nimmt sich kein Blatt vor den Mund: "Am Anfang des zweiten Quartals wird uns die Liquidität ausgehen", sagte er bereits in Genf. Fließt kein Geld von außen, sei das Überleben von GM Europe schon im April akut gefährdet. So weit wird es wohl nicht kommen: Immerhin stehen in Deutschland Wahlen an und diverse Bundesländer wie Hessen oder Nordrhein-Westfalen haben bereits ihre Hilfsbereitschaft bekundet. In Reaktion darauf ist Henderson gern bereit, den Konzernanteil an einer neuen Opel AG auf eine Minderheit zu reduzieren. Für mehr ist ohnehin kein Geld da und die eigenen Händler fordern mit Nachdruck die Trennung: "GM sollte in Zukunft lediglich mit einer Minderheitsbeteiligung vertreten sein", betont der deutsche Verbandssprecher Thomas Bieling. Rechtlich und wirtschaftlich müsse Opel künftig völlig unabhängig agieren: "Dafür bedarf es sehr bald eines eigenständigen Managements, das ausschließlich dieses Ziel verfolgt."

"Wesentlich mehr Einfluss"

Was passiert, wenn dem neuen Konzernchef der Schulterschluss mit Regierungen, Händlern und dem einen oder anderen Finanzinvestor gelingt? Wenn die Vision von Opel mit substanzieller Händlerbetreuung Wirklichkeit wird? Die EURODA macht klar, dass sie für ihr hart verdientes Geld Gegenleistungen sehen will. "Sicher werden wir wesentlich mehr Einfluss auf die Geschäftspolitikhaben", sagt Still, wenngleich er vor überzogenen Hoffnungen warnt: "Standards bei Schauräumen oder Vorführautos wird es weiterhin geben müssen." Günther erwartet ein weitreichendes "Mitspracherecht bezüglich Strukturen und Vertriebspolitik". Das sei schlussendlich auch für die Kunden von Vorteil: "Die Frontsoldaten wissen immer besser als der Generalstab, was draußen gerade passiert." Ein Hersteller, der zumindest zum Teil seinen Händlern gehört, wäre eine Premiere. Selbst die Erbmonarchie der Familien Piëch und Porsche bei VW ist weit von dem demokratischen Modell entfernt, dasden Opel-Händlern vorschwebt. Auf diese Weise wird die Krise zur Chance. An den fundamentalen Herausforderungen des Marktes ändert sich dadurch aber nichts: "Es muss ein Umdenken geben, damit Autos endlich wieder qualitativ verkauft werden", weiß Kirchberger aus leidvoller Erfahrung. Bleibt dieser Gesinnungswandel aus, kann das schönste Beteiligungsmodell die Existenzkrise der Händler nicht lösen.