Christian Klingler, Vertriebsvorstand der Marke Volkswagen, antwortet (trotzösterreichischer Wurzeln) mit deutschem Ernst: "Wir machen keine Prognosen." Andere Manager machen sich die Mühe, ihre Zurückhaltung zu begründen, doch die Quintessenz ist die gleiche: Die Branche ist im Blindflug unterwegs. Erfolg oder Scheitern hängt davon ab, wie gut die Flugbahn vorausberechnet wurde.

Überleben vor Profit

"Wir haben unser Budget für 2009 unter der Annahme geplant, dass der Markt in Europa um 25 Prozent und weltweit um 20 Prozent zurückgehen könnte", sagt Patrick Pélata, COO von Renault. Der französische Autobauer ist im Überlebensmodus: Eher lässt man eine Chance verstreichen, als dass man einen Fehltritt macht. So hat sich Renault aus dem mit Nissan und Mahindra geplanten Joint Venture im indischen Chennai zurückgezogen, den Start in China hat man schon im vergangenen Jahr aufgeben. "Wir führen unser Unternehmen, um sicher zu sein, und erst in zweiter Linie, um profitabel zu sein", bringt Pélata die aktuelleStrategie auf den Punkt. "Als 1995 die Verkäufe in Europa um 6 oder 7 Prozent zurückgegangen sind, hat es fünf Jahre gedauert, bis die Märkte wieder ihr altes Niveau erreicht haben. Heute gehen wir um 25 Prozent nach unten und sind noch nicht einmal sicher, dass wir die Talsohle erreicht haben", sagt Pélata. "Die Märkte werden sich nicht in zwei oder drei Jahren erholen, im besten Fall vielleicht in fünf."

Hilfe für die Händler

Der Allianzpartner Nissan, der im Vorjahr seine Verkäufe um knapp 1 Prozent auf 3,7 Millionen Autos verbessert hat, zeigt sich gleichermaßen ernüchtert. "Dass wir 2008 die Verkäufe noch steigern konnten, ist ausschließlich auf die sehr gute erste Jahreshälfte zurückzuführen. In der zweiten hat jemand ganz einfach das Licht abgedreht", sagt Carlos Tavares, bislang internationaler Vice President und künftig für das US-Geschäft verantwortlich. Von einem Ende der Talfahrt sei "nichts zu bemerken." Einige Nissan-Händler, befürchtet Tavares, würden die Krise nicht überleben. Man bemühe sich aber nach Kräften, das Netz zu unterstützen: "Beispielsweise reduzieren wir die Lagerbestände nicht nur bei uns, sondern bei allen Händlern weltweit dramatisch. Und wir achten darauf, dass wir keine Fahrzeuge in die Höfe der Händler hineindrücken." An einem Projekt hält Nissan unverändert fest: 2010 sollen die ersten Elektroautos inJapan und den USA ausgeliefert werden, Europa wird ein Jahr später folgen.

Kampf umsÜberleben

Auch bei General Motors geht es nicht um kurzfristige Rentabilität: Hier ist die Ursache aber kein strategischer Entschluss, sondern schlicht die katastrophale Situation. Dennoch würden keine Modellinnovationen dem Sparzwang zum Opfer fallen, versichert Opel-Chef Alain Visser: "Unser Produktplan steht immer noch." Wie auch immer die Zukunft von GM Europe aussieht, die nationalen Importstrukturen sollen ebenso erhalten bleiben wie das Multibranding im Vertrieb: "Wir müssen sehr auf die Ertragskraft unserer Händlerstrukturen achten und glauben, dass das immer noch eine profitable Alternative ist."

Kleine Autos, große Erträge

"Die Kunden wollen grün sein, aber sie wollen nicht Premiumbeträge zahlen", weiß Roelant de Waard, Verkaufschef von Ford of Europe. Dafür sei man mit der Econetic-Reihe gut gerüstet. Der Fiesta, mit dem Ford heuer den Golf als meistverkauftes Fahrzeug Europas ins Visier nimmt, und der Ka würden vom Trend zum Downsizing profitieren. Schrumpfen mit den Autos nicht auch die Margen?"Das ist eine Gefahr, es muss aber nicht unbedingt passieren", meint de Waard. "Unsere Verkäufe haben sich in den letzten Jahren von den Einstiegsmodellen weg verschoben, sodass wir mittlerweile schon über 50 Prozent der Fahrzeuge mit höherwertiger Ausstattung ausliefern." Vom Sinn staatlicher Abwrackprämien ist de Waard überzeugt. Dem schließt sich VW-Vorstand Klingler an: "Wir sind sehr für die Verschrottungsprämie, weil sie zu sehr günstigen Neuwagenpreisen führt. Der Staat hat in Summe nichts verloren, in Österreich gewinnt er sogar etwas dazu."

Erholung aus Asien

In einem Segment, auf das Verschrottungsprämien nur minimale Auswirkungen haben, bewegt sich Mercedes-Benz. Bis vor Kurzem das ungeliebte Mauerblümchen, konnte sich smart 2008 über den Verkaufsrekord von 134.700 Einheiten freuen. Bei Mercedes-Pkw gab es dagegen ein Minus von 5 Prozent auf 1,12 Millionen Stück. Für Dr. Klaus Maier, Vertriebs-und Marketingchef für Pkw, ist die Krise noch lange nicht ausgestanden: "Europa wird sich weiterhin schwer tun, weil wir den Boden noch nicht erreicht haben. Deshalb sehe ich 2009 als ganz schwieriges Jahr. Ob sich 2010 eine Erholung abzeichnet und wie schnell das dann geht, das ist die große Frage." Am schnellsten, meint Maier, werde sich Asien von der Krise erholen. Dem trägt man beispielsweise mit der lokalen Produktion der neuen E-Klasse in China Rechnung. Außerdem wird dort ebenso wie in Brasilien noch heuer der smart eingeführt. Das Reizthema GVO wird derzeit von der Wirtschaftskrise überdeckt. Dennoch ist es aktuell: Eine Entscheidung wird wohl noch heuer fallen. Laut Maier ist eine branchenspezifische Sonderregelung nicht mehr erforderlich: "Die Schirm-GVO würde und müsste ausreichen. Alles, was man separat regeln muss, könnte zwischen Herstellern und Händlerverbänden bilateral vereinbart werden." Anders wird das bei Volkswagen gesehen. "Das vorhandene Regelwerk funktioniert", so Klingler.

"Wie die Weltwirtschaftskrise"

Wie viele Autobauer werden die Kriseüberleben? Fiat-Chef Sergio Marchionne hat vor einiger Zeit mit seiner Prognose, dass es bald nur mehr zwei oder drei unabhängige Hersteller in Europa geben werde, für Aufsehen gesorgt. "Er hat klar gesagt, was jeder denkt", stimmt Pélata prinzipiell zu. Eines steht für ihn fest: "Diese Krise ist der großen Weltwirtschaftskrise aus den Dreißigerjahren viel ähnlicher als jede andere Krise, die wir bislang in unserer Branche erlebt haben. Es muss eine Restrukturierung in der Autoindustrie geben."