Jahrzehntelang haben die Autohändler um ihre Unabhängigkeit und
Selbstständigkeit gekämpft. Diese wurde zum Ärger der Kfz-Produzenten
in Artikel III der letzten Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung
verankert.
2010 ist es den Herstellern letztlich gelungen, die
Freiheit der Autohändler abzuschaffen: Ein Musterbeispiel für
erfolgreiches Lobbying in der EU.
Die Autohersteller haben sich dabei der Schützenhilfe
kartellrechtlicher Puristen bedient. Diese argumentierten, der
Artikel III dieser Kfz-GVO 1400/2002 habe mit dem Wettbewerbsrecht
nichts zu tun. Er sei lediglich ein zivilrechtlicher Schutz für den
Autohandel. Die zweijährige Kündigungsfrist, die Freiheit der
Markenauswahl, die verpflichtende Schiedsgerichtsbarkeit und
Ähnliches gehörten daher ins nationale Zivilrecht und nicht in das
EU-Wettbewerbsrecht.
Der Industrie ging es dabei nicht um mehr Wettbewerb, sondern um die
Kontrolle der Vertriebsnetze. Daher war ihr auch die mit der Kfz-GVO
eingeführte Freiheit des Mehrmarkenhandels ein Dorn im Auge. Eine
Regelung, die zweifellos dem EU-Wettbewerb dienlich ist. Aus diesem
Grund fand sich im Leitfaden zur sogenannten "Schirm-GVO", der
zahnlosen Nachfolgerin der Kfz-GVO, die Regelung, dass der
Mehrmarkenbetrieb auch in Zukunft nicht eingeschränkt werden darf.
Verankert war dies in einer kleinen Fußnote.
In den Entwürfen war diese Fußnote noch da. In der Endfassung war sie
plötzlich verschwunden. Die Legisten der Generaldirektion Wettbewerb
haben sie ganz einfach "vergessen". Das Europaparlament hatte dabei
nichts mitzureden. Es handelt sich bei der GVO um eine Verordnung,
die ausschließlich in die Kompetenz der EU-Kommission fällt -genauer
gesagt in die der damals amtierenden Wettbewerbskommissarin Neelie
Kroes und der ihr unterstellten Mitarbeiter der Generaldirektion IV.
Eine wichtige Kommissarin kann sich nicht um jede Fußnote kümmern. So
gab es auch keine Erklärung, wer das Verschwinden der Fußnote
veranlasst hat. Und wem dieses Verschwinden wie viel wert war.
Die jüngste Praxis hat gezeigt: Schon mit 100.000 Euro kann man in
Brüssel bei Abänderungen von EU-Gesetzen mitmischen. Wie der
Nationalbanker Tommy Lachs in der "Presse" hingewiesen hat, geht es
beim Lobbying meist nicht um das Endvotum einer Materie. Die wahre
Brisanz liegt in den Abänderungsanträgen. Das gilt natürlich nicht
nur für Gesetze und die damit befassten Parlamentarier. Das gilt
genauso für Verordnungen und die dafür verantwortlichen Beamten.
Wer weiß, wie viele Lobbyisten der Kfz-Hersteller am ersatzlosen Ende
der Kfz-GVO 1400/2002 mitgewirkt haben? Welche Budgets dafür zur
Verfügung standen, um die Herrschaft über die Vertriebskanäle wieder
voll in den Griff zu bekommen? Ausgaben, die sich dank der
Verminderung des Wettbewerbs in kurzerZeit rentieren.
Zweifellos hat auch die CECRA als europäischer Dachverband der
Kfz-Händler Lobbyarbeit geleistet. Österreichs oberste Händler
pilgerten nach Brüssel, um für die Beibehaltung der Kfz-GVO Stimmung
zu machen. Doch was hatten sie zu bieten? In einer Stadt, wo tausende
Lobbyisten mit stattlichen Budgets die Interessen ihrer Auftraggebervertreten? Wo "management by open hand" zum Tagesgeschäft zählt? Ohne
Budget war die Verlängerung um zwei Jahre bis Ende Mai 2013 schon ein
toller Erfolg.
Federführend bei der Eliminierung der Kfz-Händlerechte war Paolo
Cesarini, Namensvetter eines der berühmtesten römischen
Adelsgeschlechter. Eine Familie mit engen Kontakten zu den Farneses,
aus deren Reihen einst Papst Paul III stammte, der seine schöne
Schwester Giulia an Papst Alexander VI. verkuppelte -und für diese
Verdienste schon mit 26 Jahren den Kardinalspurpur erlangte: Lobbying
in einem Land, in dem erst kürzlich Berlusconi mit geschickter Hand
die Stimmen einiger Parlamentarier zu erwerben wusste. Keinesfalls
soll einem EU-Beamten unterstellt werden, gegen ein Bakschisch eine
Fußnote einer Verordnung verschwinden zu lassen. Allerdings hat es
nie eine Erklärung gegeben, wo diese letztlich verblieben ist. Waren
treffende und unwiderlegbare Argumente der Rechtsabteilungen der
Kfz-Konzerne dafür ausschlaggebend? Vielleicht gibt es einmal ein
"Wikileak", das uns erklärt, wiesoder Kfz-Handel im Jahr 2010 durch
eine EU-Verordnung unentrinnbar an die Kfz-Produzenten gekettet
wurde.