Anlässlich der Überarbeitung der Ö-Normen zur Bewertung und
Terminologie von Kraftfahrzeugen vor und nach Schadensereignissen
wurde - sicher nicht zum letzten Mal - über den Begriff "fabrikneu"
diskutiert. Die oft langen Transportwege, die Lagerhaltung über
längere Zeiträume und die sonstigen Manipulationen mit Neufahrzeugen,
die noch nicht dem Kunden übergeben wurden, lassen die
Wahrscheinlichkeit für Schadensereignisse ansteigen.
Es soll Kunden
geben, die aus Misstrauen grundsätzlich keine lagernden Fahrzeuge
kaufen und nur deshalb spezielle Sonderausstattungen bestellen.
Das Wort fabrikneu sollte darauf schließen lassen, dass das
auszuliefernde Fahrzeug so unversehrt ist, wie es das Fabriktor
verlassen hat. Nun muss man aber zugestehen, dass minimale
Beschädigungen auch innerhalb des Produktionsprozesses stattfinden
und Fahrzeuge bereits in der Fabrik nachgebessert werden. Die immer
weiter entwickeltenQualitätsüberwachungen der Werke können dies auch
veranlassen, ohne dass ein Schaden eingetreten wäre. In letzterem
Falle ist sogar von einer Wertsteigerung für den Kunden auszugehen.
Die Diskussion wäre nicht entstanden, wenn nicht Fälle vorgekommen
wären, wo nach massiven Hagelschäden größere Reparaturen durchgeführt
wurden, die entstandene Wertminderung von der Versicherung abgegolten
und der Kunde trotzdem nicht informiert wurde, geschweige denn in den
Genuss der Wertminderung kam.
Eine zentrale Bedeutung bei der Beurteilung des Problems kommt einer
anzunehmenden Wertminderung zu. Dabei ist zwischen dem technisch
funktionellen Gebrauchswert und dem eher fiktiven monetär zu
beurteilenden Verkehrswert ("merkantile Wertminderung") zu
unterscheiden. Klar ist, dass Minderungen des Gebrauchswertes nicht
akzeptabel sein können. Wenn nach einem Austausch der Fahrzeugtüren
laute Pfeifgeräusche auftreten, wird der Kunde zu Recht reklamieren.
Etwas schwieriger wird esbei Reparaturvorgängen, die technisch
gesehen am Originalzustand nichts verändert haben.
Der Kunde wird sich vor allem dann hintergangen fühlen, wenn er oft
durch Zufall Kenntnis über Reparaturen erlangt, die ihm nicht
mitgeteilt werden. Ich kann mich an einen gar nicht kleinen
Wutausbruch meinerseits erinnern, als ich anlässlich des Einbaus
eines Schiebedaches in ein Neufahrzeug bei der vermuteten Abholung
die lapidare Antwort bekam: "das Auto ist gerade beim Lackieren,
während des Einbaus wurde das Dach ein wenig eingedrückt". Ein
Mindestmaß an Transparenz scheint angebracht.
Bei Arbeiten wie ausrichten, schweißen oder löten ist allen an der
Diskussion beteiligten klar, dass damit der fabrikneue Zustand
verlassen ist. Lackiervorgänge können heute qualitativ äußerst
hochwertig durchgeführt werden, ja vielleicht sogar eine Verbesserung
des Korrosionsschutzes bewirken. Andererseits können Veränderungen
der Schichtdicke den Kunden beim Wiederverkauf in Schwierigkeiten
bringen, da ihm ein Vorschaden unterstellt wird. Derartige Vorgänge
sollten zumindest dokumentiert werden, um im Bedarfsfall darauf
zurückgreifen zu können. Verantwortungsvolle Hersteller haben das
Problem erkannt und genaue Reparaturanweisungen verfasst, die
sicherstellen, dass Garantie und Gewährleistung in vollem Umfange
bestehen bleiben können. In Hinblick auf Haftungsfälle gibt es
teilweise auch Dokumentationen der Fahrzeuggeschichte. Deren Qualität
hängt jedoch davon ab, ob Vertragspartner wie Transporteure undVertragshändler entsprechende Eintragungen vornehmen.
In unserem Nachbarland Deutschland ist der Begriff fabrikneu in
anderem Zusammenhang an die Gerichte herangetragen worden. Dort
wurden Kunden offenbar nicht ausreichend darüber informiert, dass
bereits ein Modellwechsel zu einem neuen Modelljahr stattgefunden
hat. Bei einem Luxusauto mit einem hohen Anteil an Prestigewert kann
so etwas schon eine Rolle spielen.
Wenn man sichüberlegt, was alles passieren könnte, kommt dem
Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Händler enorme Bedeutung zu.
Internet und sonstige moderne Verkaufsmethoden haben uns glauben
gemacht, ein Autokauf sei so einfach wie der Kauf einer Wurstsemmel.
Ein klarer Irrtum, denn eine unbedachte Vorgangsweise kann einige
Jahre Ärger kosten.