Statt Krisenstimmung prägte Euphorie den diesjährigen Pariser
Automobilsalon. Doch die Autoindustrie muss darauf achten, dass sie
auf dieser emotionalen Achterbahn nicht den Sinn für die
Marktrealität verliert.
Drastischer kann der Unterschied nicht ausfallen: Während 2008 von
Rezession, zusammenbrechenden Märkten und gar einer Wirtschaftskrise
"schlimmer als 1929" die Rede war, zeigen sich die Autobauer heuer
wieder bester Laune. Bescheidenheit ist schnell aus der Mode
gekommen, wie etwa die aufwändige Vorabendveranstaltung von
Volkswagen bewies.
Vorstandsvorsitzender Dr. Martin Winterkorn zeigte sich dabei stolz
auf die "einzigartige Stellung" seines Konzerns: "Größe allein ist
aber kein Selbstzweck." Dem ehrgeizigen Ziel, bis 2018 mit mindestens
10 Millionen Verkäufen zur Nummer 1 der Branche zu werden und eine
Umsatzrendite von mehr als 8 Prozent einzustreifen, stehen laut
Winterkorn keine unüberwindbaren konjunkturellen Hürden im Wege.
Am Weg zurück
"Die Krise ist auf jeden Fall vorbei, aber die Automobilindustrie ist
deshalb um nichts einfacher geworden", sagt Nick Reilly, CEO von
Opel. Die Entwicklung des europäischen Automarkts schätzt er eher
zurückhaltend ein: "Zumindest in den nächsten fünf Jahren rechnen wir
nicht damit, dass der Markt wieder auf das Niveau von 2007 oder 2008
zurückkehrt."
Dennoch sieht Reilly seine vor Kurzem noch strauchelnde Marke auf
gutem Weg. Die Vorjahresverkäufe von 1,2 Millionen Autos sollen
heuer, obwohl es am wichtigen deutschen Heimmarkt keine Abwrackprämie
mehr gibt, leicht übertroffen werden. Mittelfristig will Reilly den
europäischen Marktanteil von ehemals 6 auf 8 Prozent ausbauen.
Darüber hinaus nimmt er auch außereuropäische Märkte wie China,
Australien oder Argentinien ins Visier: "Mein Ziel innerhalb der
nächsten drei Jahre sind 100.000 Fahrzeuge außerhalb Europas", sagt
der toughe Amerikaner. Er ist davon überzeugt, dass die
Exportversuche diesmal erfolgreicher sein werden als in früheren
Jahren. Auch der ehrgeizige Sanierungsplan werde nachhaltig gelingen:
"Ich würde sagen, dass wir nächstes Jahr sehr nahe am Break-even sein
werden. Dann haben wir den größten Teil unserer Restrukturierungen
abgeschlossen."
Elektrisierende Aussichten
Beim Messeauftritt der französischen Autobauer spielte heuer die
Elektromobilität eine wichtige Rolle. Renault engagiert sich
diesbezüglich besonders stark und Vertriebsdirektor Jerôme Stoll kann
sich einen kleinen Seitenhieb auf die Kollegen von Peugeot und
Citroën nicht verkneifen: "Bei uns geht es nicht um Einzelprodukte
auf der Plattform irgendeines anderen Herstellers. Elektromobilität
ist kein Traum, sondern ein wirklich strategischer Schritt, der tief
in unserem Unternehmen verankert ist." In den ersten Märkten werden
schon 2011 die Modelle Kangoo, Fluence und Twizzy mit E-Motor
erhältlich sein. Der Zoe soll 2012 folgen, dann ist auch die
Einführung der gesamten Palette in Österreich geplant. Bis 2020 soll
zumindest ein Zehntel aller von Renault realisierten Verkäufe auf
Elektroautos entfallen. "Ich denke, weltweit kann die Krise als
vorüber betrachtet werden", so Stoll zum Marktzustand. "Von Region zu
Region" sei die Entwicklung aber unterschiedlich, Europa hinke hinten
nach: "Hier erwarten wir, dass der Markt 2010 um 7 bis 8 Prozent
zurückgehen wird."
Gegen den Golf
Der Enthusiasmus von Colin Dodge, bei Nissan für die meisten Märkte
außerhalb von Japan und den USA verantwortlich, stach selbst aus
optimistischen Pariser Grundstimmung hervor. "Es gibt überhaupt
keinen Zweifel daran, dass dieses Jahr weltweit mehr Autos verkauft
werden als je zuvor", sagt der Brite, der für seine Marke fix von
einem Produktionsrekord ausgeht: "Unsere offizielle Zahl lautet 3,8
Millionen, aber ich denke, es könnten noch mehr werden."
Dass auf den allgemeinen Jubel eine konjunkturelle Katerstimmung
folgt, ist für Dodge schwer vorstellbar: "Ich sehe überhaupt keine
Anzeichen dafür, dass wir uns vor einem neuerlichen Abschwung
befinden. In Schwierigkeiten könnten nur jene Länder kommen, die auf
die Krise überreagiert haben, sodass sie ihre Medizin jetzt schlucken
müssen anstatt früher." Nissan selbst hat auch in Europa viel vor.
Die Konzentration auf (profitable) Nische könnte zu Ende gehen,
deutet Dodge an: "Wir haben uns beispielsweise noch nicht
entschieden, direkt gegen den Golf anzutreten. Für die Zukunft denken
wir darüber nach."
Die schwedische Alternative
"Ein neues Kapital in der Automobilgeschichte" gestaltet Stefan
Jacoby mit: Seit Kurzem steht er an der Spitze von Volvo. Die
chinesischen Eigentümer hätten eine "klare Vision" für die
Schwedenmarke, versichert der Deutsche, der eine "schwedische
Alternative zu den etablierten Premiummarken schaffen" möchte.
"Die zukünftige Produktstrategie ist sehr wichtig, wir müssen an
unserer US-Strategie arbeiten und unsere China-Strategie realisieren.
Das sind die drei großen Prioritäten, die wir haben", sagt Jacobi.
Über das Handelsnetz von Volvo chinesische Fahrzeuge nach Europa zu
bringen, sei übrigens ebenso wenig geplant wie eine strikte Trennung
der Vertriebsstrukturen vom ehemaligen Eigentümer Ford.
"Mentaler Umschwung"
Billigautos aus Fernost sind einer der Faktoren, der Kia im Bemühen
um ein besseres Image bestärkt. "Wer früher nur wegen des Preises Kia
gekauft hat, wird bald zu chinesischen Herstellern oder vielleicht zu
Dacia wechseln. Wir werden aber oben mehr dazu gewinnen, als wir
unten verlieren", sagt der europäische Marketingchef Benny Oeyen. Bei
ihren Fahrzeugenhaben die Koreaner die angestrebte Aufwertung schon
zu einem Gutteil vollzogen. "Produkte können sich aber viel schneller
nach oben bewegen als ein Markenbild", weiß Oeyen, der daher auch die
Händler zu einem "mentalen Umschwung" auffordert: "Künftig müssen wir
Fahrzeuge nicht nur über den Preis, sondern vor allem über die
Produktqualität verkaufen."
Händlerrendite im Fokus
Auch Mazda sieht die Zukunft in einer höheren Positionierung. "Es
gibt einen vernünftigen Platz zwischen Premium-und
Volumenherstellern. Da wollen wir uns etablieren", sagt Martin
Benders, Vice President Sales Operations bei Mazda Motor Europe. "Wir
müssen die Händler auf diese Reise mitnehmen." Das bedeute keineswegs
höhere Standards oder die Trennung von kleinen Partnern. "Wir sind
auf die kleineren Händler angewiesen und haben daher auch die
Verpflichtung, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das für diese
Unternehmen möglichst gut funktioniert", visiert Benders eine
Durchschnittsrendite von mehr als 2 Prozent an.
Modellseitig ist ein kleineres SUV geplant, ansonsten will sich Mazda
aber auf die Erneuerung bestehender Baureihen konzentrieren. "Alles
für alle anzubieten, wie es große Hersteller versuchen, wäre für uns
nicht der richtige Weg", sagt Benders. "Wir müssen fokussiert
auftreten."
Wachstum in der Nobelnische
Fokussierung in Reinkultur war bis vor Kurzem bei Infiniti angesagt:
Der Luxusableger von Nissan ist ausschließlich mit Benzinmotoren in
Europa gestartet. Seit Juni gibt es aber auch einen V6-Diesel, was
das Absatzpotenzial laut Verkaufsdirektor Philippe Saillard "um das
drei-bis vierfache vergrößert" hat: "Im letzten Wirtschaftsjahr habe
wir 2.000 Einheiten ausgeliefert. Heuer gehen wir von 5.000 aus."Immerhin 15 Prozent davon sollen von Flottenkunden kommen, setzt
Saillard auf die gemeinsam mit Nissan und Renault betriebene
Großkundenakquisition.
Das westeuropäische Vertriebsnetz ist mittlerweile auf 42 Betriebe in
15 Ländern angewachsen. Neueröffnungen -wie Anfang nächsten Jahres
beim österreichischen Partner Spes -finden laufend statt, erklärt
Saillard: "Das Ziel lautet, bis 2013 in 27 Ländern aktiv zu sein."
"Den Aufschwung relativiert betrachten"
Schon längst in so gut wie allen relevanten Märkten präsent ist
Mercedes-Benz. "Wir sind in einer sehr guten Situation, leben derzeit
aber stark von Exporten in außereuropäische Märkte", sagt
Vertriebschef Dr. Joachim Schmidt. In Europa sei auch mittelfristig
nur mit einem moderaten Nachfragewachstumzu rechnen: "Wenn wir
wachsen wollen, geht das daher nur über zusätzliche Marktanteile."
Schmidt legt eine zurückhaltende, wenngleich von einer positiven
Grundstimmung getragene Markteinschätzung an den Tag. Seine Meinung
zum Pariser Wechselbad der Gefühle: "Man hätte vielleicht zuerst die
Krise und jetzt den Aufschwung etwas relativiert betrachten sollen."
Kein zweiter Abschwung
"Wir bei Daimler gehen nicht davon aus, dass es keinen neuerlichen
Abschwung geben wird", sagt Vorstandsvorsitzender Dr. Dieter Zetsche.
Zu erwarten sei lediglich "eine gewisse Retardierung" der
Marktentwicklung: "Nach einer gewissen Verlangsamungsphase wird es
auf vernünftigem Niveau weiter nach oben gehen." Zetsche betont, dass
man Lehren aus der Krise gezogen habe: "Wir haben beispielsweise ein
sehr breit definiertes Feld von Verwaltungskosten, das im Jahr 2008
rund 4,8 Milliarden Euro ausgemacht hat, im Vorjahr parallel zum
Umsatzrückgang um 20 Prozent reduzieren können. Heuer laufen wir
sogar noch unter diesem Level." Als -bislang noch nicht erreichtes
-Ertragsziel für Mercedes Cars gilt eine Marge von 10 Prozent.
Sportliche Ambition
Was Lotus vorhat, versetzt so manchen Branchenkenner in Staunen: "Bis
2015 werden wir 5 neue Autos einführen", sagt CEO Dany Bahar. Das
erste Modell soll im Oktober 2012 auf den Markt kommen, die weiteren
Einführungen sollen "alle 8 bis 12 Monate" folgen. Dafür investiert
der britische Sportwagenbauer nicht nur 800 Millionen Pfund, sondern
kündigt auch das gesamte Vertriebsnetz. Wer bekommt einenneuen
Vertrag?"Wir wollen uns von keinem Händler trennen. Viele werden aber
nicht in der Lage sein, das gewünschte Niveau zu erreichen", sagt
Bahar. Binnen vier Jahren, sagt der Manager, der seine Marke bereits
mit Porsche vergleicht, sollen sich die Millioneninvestitionen
rechnen. Auch sonst bewegt sich "New Lotus" gerne auf höchstem
Niveau: Zur Pariser Messe wurden Stars wie Naomi Campbell und Mickey
Rourke eingeladen.
Sieben Geschenke zum Hunderter
Von 2005 bis 2008 hat Chevrolet seine europäischen Absatzzahlen
verdoppelt. Den Spitzenwert von rund 500.000 Autos konnte man
krisenbedingt zwar seither nicht mehr erreichen, doch nun setzt sich
Europachef Wayne Brannon große Ziele: Die Millionenmarke sei
angesichts einer bemerkenswerten Modelloffensive, die vom neuen Aveo
bis zu Corvetteund Camaro reiche, durchaus realistisch. "In meinen
37 Jahren im Konzern habe ich noch keine Messe erlebt, bei der wir
vier Weltpremieren vorstellen und insgesamt sieben neue Produkte
ankündigen", so Brannon in Paris. Einer der Hoffnungsträger ist der
Volt: Das Elektromodell könnte pünktlich zumhundertsten "Geburtstag"
von Chevrolet, der am 3. November 2011 begangen wird, in Europa
starten.