Autor: Nicolas Frank Böhmer

Einer meiner Lieblingshändler und -werkstattbetreiber tut sich schwer. Der Antriebswandel, die Marktveränderungen und betriebliche Herausforderungen – das alles lastet auf dem Betriebsinhaber, möchte er doch seinem Sohn einen zukunftsfähigen Kfz-Betrieb übergeben.

Während des Strategie-Workshops im Betrieb ist den Beteiligten – wir haben bewusst alle 8 Mitarbeitenden mitwirken lassen, um das gesamte Wissen zu nutzen und eine breite Unterstützung der gefundenen Erkenntnisse sicherzustellen – selbst aufgefallen, dass sie der Transformation ausweichen.

Wissen schafft Klarheit

Recherchen im Markt waren früher Chefsache und wurden nur unregelmäßig durchgeführt. Jetzt teilen sich drei Leute die Aufgabe, was angesichts der Themenvielfalt, raschen und vielfältigen Veränderungen sinnvoll ist. Auf das Wissen und die Fachkompetenz der Mitarbeitenden zu setzen, hat auf beiden Seiten für Erleichterung gesorgt, der Betrieb ist an diesem Tag näher zusammengewachsen.

Während der Recherchen fällt auf, dass die Informationen und deren Interpretation auch in den Medien oft widersprüchlich sind. Beispielsweise in Berichten zu Verkaufs--Statistiken kann der Eindruck entstehen, dass der Wandel zum Elektroauto weniger schnell abläuft. In einer Disruption müssen einzelne Monate mit den gleichen Monaten im Vorjahr verglichen werden und ein weiteres Merkmal der Disruption ist der ungleichmäßige Verlauf. Deshalb müssen die Zahlen über einen Zeitraum und in Bezug zu den -Entwicklungen im Markt betrachtet werden. Dann frage ich während der Recherche im Workshop jeweils, wer was und warum geschrieben oder gesagt oder in den gefundenen Quellen veröffentlicht hat. Hinterfragen und Nachprüfen öffnen die Augen, denn da wird aus dem respektierten Titelträger in einem renommierten Medium schnell einmal ein vom Interessenverband bezahlter Plauderer und Faktenverbieger. Es geht um sehr viel Geld: über 150 Milliarden Euro werden weltweit allein in die Batterietechnologien investiert, aber nur noch ein Zehntel in Verbrenner und Hybride.

Fast in allen Betrieben, mit denen ich zu tun hatte, werden bei den Recherchen bevorzugt Medien und Quellen aus dem deutschsprachigen Raum herangezogen. Die Sprachbarriere wirkt wie eine Zensur, denn die Medien im EU/DACH-Raum haben so viel aus der Region zu berichten, dass globale Themen gerade auch aus Asien weniger Platz finden. Allerdings geschieht besonders in China für die Autobranche unglaublich viel, dass Recherchen in englischer Sprache sehr wichtig sind.

Politik als Irrlicht

Oft wird mir gesagt, dass im neu gewählten Europa--Parlament das missverständlich „Verbrenner-Verbot“ genannte Gesetz gekippt würde. Das zeigt vor allem eines auf: Die politischen Prozesse und die gegenseitige Bedingung der einzelnen Gesetze wurden nicht recherchiert. Denn auch wenn die strengeren Reglemente und Gesetze zu den Emissionen bei Automobilen aufgeweicht würden, gibt es eine Vielzahl weiterer Reglemente und Gesetze, welche dem Klimaschutz dienen. Diese greifen auch ohne weitere Abgasvorschriften: Die EU-Länder müssen den gesamten CO2-Ausstoß ihres Landes verringern, weil sonst hohe Strafzahlungen folgen. Das „Verbrenner-Verbot“ zu kippen bringt daher kaum etwas, außer eine höhere Steuerbelastung – das aber erfährt man erst aus eigener Recherche. 

Herausforderungen von unerwarteter Seite: Städte

In einer steigenden Anzahl Städte wird zum Gesundheitsschutz die Einfahrt von Fahrzeugen mit Auspuff eingeschränkt. Auch Elektroautos sind nicht gerne gesehen, denn nicht Autos, sondern Menschen gehen einkaufen. Dafür werden andere Mobilitätsangebote gestärkt, und das ist -interessant: Pfiffige lokale Kfz-Betriebe hat es dazu veranlasst, neben Autos noch andere Mobilitätsleistungen anzubieten, so entstehen Chancen: Ein Betrieb erwirtschaftet in der Stadt mit eLastenbikes pro Fahrzeug einen höheren Gewinn als mit Neuwagen. Der Inhaber meines Lieblingsbetriebs überlegt, sich mit Sharing-Angeboten die letzte Meile von der Tram-Endstation in der Nähe in die Wohnquartiere abzudecken. Ein anderer prüft die Investition in eine mobile Ladestation mit Batterie, die von Veranstaltern für Events angemietet werden kann.

Neuausrichtung = harte Maßnahmen?

Es braucht vor allem Kreativität und Entscheidungskraft. Der Lieblingshändler ist mittlerweile nur noch Servicepartner und konnte sich etwas Freiheit verschaffen. Der Junior, designierter Nachfolger und Petrolhead, informiert sich mittlerweile über Lehrgänge in Hochvolt-Technologien für Elektroautos. Selbst die Idee, chinesische Elektroautos zu verkaufen, wird diskutiert und der Kauf eines Elektroautos als täglich genutztes Fahrzeug für den Betrieb ist geplant, um sich sowie die Belegschaft an das Thema heranzuführen. Mittlerweile bringen alle Mitarbeitenden immer wieder Ideen ein, wie der Betrieb in die Zukunft geführt werden kann – dieses Engagement braucht es heute und ist eine gute Basis für den Wandel, in dem es um Wissensaufbau und starke strategische Entscheidungen geht.

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