Europas Autoproduzenten ist in politisch unsicheren Zeiten – Corona – Krise, Ukraine-Krieg, Inflation und Klima-Krise – eines zweifellos gelungen: mit der Umstellung ihrer Vertriebsmodelle die allgemeine Verunsicherung weiter zu befeuern. Autofahrer bezweifeln, sich ein neues Auto überhaupt noch leisten zu können; viele Autohändler wissen nicht einmal, ob sie in Kürze noch Markenhändler, Agenten oder überhaupt noch Markenpartner sein werden.
Beim Treffen der EDL-Händleranwälte (European Distribution Lawyer) in Madrid zeigte sich, dass -derartige Trends quer durch Europa spürbar sind: Strategisch auffällig ist die Gleichzeitigkeit dieser Systemumstellungen. Offenbar wollen alle Hersteller den derzeitigen Technologieumbruch gleich auch für ein neues, internetbasiertes Marketing nutzen. Händler spielen in diesem nur noch die zweite Geige. Geplant ist die Einführung eines dualen -Vertriebs- und Preissystems durch das Splitting in den Online-Vertrieb und den Fachhandel, der Direktvertrieb der Hersteller mittels Agentursystemen ist voll im Laufen.

Trend zu größeren Händlergruppen
Gleichzeitig besteht europaweit ein von den Herstellern forcierter Trend zu größeren Handelsgruppen, die bereits ein breiteres Marken-Portfolio haben. Diese gehen bei kleineren Autohäusern auf Shoppingtour, übernehmen deren Standorte. Manche Hersteller drängen mit Kündigungsandrohungen ihre Gerade-noch-Händler, ihr Autohaus an Netzpartner zu verkaufen. In Spanien wurden dafür -eigene Gesellschaften gegründet, um verkaufswilligen Unternehmern ihre Autohäuser abzukaufen oder solche Käufe zu vermitteln. Hersteller und die mit ihnen verbundenen Banken stellen das dafür -erforderliche Kapital zur Verfügung.

Österreich als Testmarkt
Mercedes hat als Erstes mit der europaweiten Umstellung auf einen echten Agenturvertrieb begonnen. Dieses wurde auch sauber umgesetzt. Im Testmarkt Österreich hat sich gezeigt, dass dies für die Hersteller durchaus keine billige Angelegenheit ist. Um den Partnern den wirtschaftlich erforderlichen Ertrag zu sichern, musste bei der Ausgestaltung der Verträge mehrfach nachgebessert werden.
Bei Stellantis ist keine europaweit einheitliche Strategie erkennbar. In Frankreich haben im Frühjahr die Citroën- und Peugeot-Partner die vom Konzern vorgesehenen Verträge nicht akzeptiert.

Welche Rolle haben die bisherigen Händler?
Als Ausweg haben sich die Händlerverbände entschlossen, die Verträge nur gemeinsam mit Vorbehaltsklauseln zu unterschreiben. Damit wurde die Lösung anstehender Probleme in die Zukunft verschoben. Auch deshalb, da Stellantis nicht in der Lage war, mit den neuen Verträgen auch das dafür erforderliche IT--System zur Verfügung zu stellen. Im neuen französischen Kommissionär-System ist der bisherige Händler EU-rechtlich eigentlich Agent. Er verkauft seine -Autos wie bisher im eigenen Namen, obwohl diese bis zur Auslieferung an den Kunden im Eigentum des Konzerns bleiben. Ihn treffen weiterhin die vollen Händlerpflichten, er trägt weiterhin den gesamten Aufwand der Fahrzeugaufbereitung, Fakturierung, Fahrzeuganmeldung und Auslieferung an den Endkunden, ist diesem auch direkt gewährleistungspflichtig.
Bei einem echten Agentursystem müsste Stellantis selbst die gesamte Abwicklung mit den Endkunden durchführen, was an den zentralen Stellen-einen erheblichen organisatorischen und finanziellen Aufwand erfordert. Dies betrifft  auch das bisherige Händlerlager. Die Händler haben im neuen System kein eigenes Lager mehr: Sie sind auf das im Eigentum von Stellantis verbleibende Lager angewiesen.

Zwischenvertrag bei Ford
Auch Ford wollte diesen Weg beschreiten, hat dafür das Händlernetz per April 2025 gekündigt. Offenbar wurde zwischenzeitig in Köln erkannt, welch organisatorischer Aufwand dafür erforderlich ist. Die Präsentation der künftigen Agentenverträge wurde abgeblasen. Es ist davon auszugehen, dass es ab Mai 2025 wiederum neue Händlerverträge geben wird – allerdings mit reduzierter Händlerspanne.
Generell erhebt sich für alle Händler die Frage, wie beim Übergang auf das Agentensystem die Ablöse für „alte“ Investitionen aussehen wird. Es scheint, dass die europäischen Hersteller für den Kundenstockverlust außer die bisherige „normale“ Abfertigung freiwillig nichts zahlen werden. Und auch dies nur auf der niedrigen Basis der verkaufsschwachen Corona-Jahre. Gekündigte haben daher größtes Interesse, diese frustrierten Investitionen für neue chinesische Marken zu nutzen. Damit laufen sie bei den preisaggressiven und expansionsgierigen Chinesen offene Türen ein.

Auch andere Hersteller überlegen 
Mit dem neuen Agentursystem möchte Stellantis einen Teil der bisherigen Händlermargen einsparen. Österreich, Holland und Belgien dienen dafür als Testmärkte für das neue Vertriebssystem, für das gleichzeitig auch neue Werkstätten-Verträge ausgegeben wurden – neuerdings getrennt für Pkws und leichte Nutzfahrzeuge (in Deutschland bis zu 4,5 Tonnen).
Auch bei Hyundai wurden in einigen Ländern neue Service-Verträge verteilt. Bis 24. August waren sie in Deutschland zu unterschreiben. Kalkulationen haben dabei ergeben, dass sich diese – ohne Neuwagenhandel – nicht rechnen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass jene Partner, die nicht unterschreiben, im nächsten Jahr unter dem Titel einer Umstrukturierung mit Einjahresfrist gekündigt werden.
Die Loyalität vieler Autohäuser ist aufgrund der Rücksichtslosigkeit der Hersteller vielfach verloren gegangen. Marken wie Cupra, Mercedes, BMW und Audi sind mit ihren Systemumstellungen gut unterwegs. VW scheint bei unechten Agenten zu bleiben – eine Umstellung auf ein echtes Agentursystem dürfte wegen der damit verbundenen IT-Anforderungen derzeit nicht umsetzbar sein.