Sie wissen, dass massive Änderungen im Vertriebssystem auf sie zukommen. Sie wissen nur nicht welche. Und überlegen daher, ob es nicht besser wäre, aus dem Neuwagenvertrieb ganz auszusteigen. Die sogenannte Kfz-GVO, die noch bis 30. Mai 2023 läuft, räumt durch ihr „qualitativ-selektives Vertriebssystem“ allen Kfz-Werkstätten, welche die qualitativen Vorgaben des Herstellers erfüllen, das Recht ein, einen entsprechenden Markenwerkstätten-Vertrag zu ­bekommen. Derzeit sieht es aus, dass diese Kfz-GVO ohne nennenswerte Veränderungen verlängert wird. Wegen der Ungewissheiten des technischen Umbruchs dürfte sie jedoch auf fünf Jahre begrenzt werden.
Unabhängig davon prüfen die Hersteller derzeit, wie sie die seit 1. Juni geltende neue vertikale Vertriebs-GVO für ihr Marketing optimal nützen können, wie sich der Wechsel vom herkömmlichen Vertragshändler zum „Agenten“ am besten bewerkstelligen lässt.
Für jene, die jetzt aussteigen, gelten nach nationaler Judikatur die Ausgleichsbestimmungen des Handelsvertretergesetzes. Das heißt, sie haben einen „Abfertigungsanspruch“ für den Verlust ihres Neuwagen-Kundenstockes. Daneben gibt es gemäß dem UGB noch den Ersatz für fremd veranlasste und noch nicht amortisierte – frustrierte – Investitionen. Und das Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz ermöglicht es dem Händler, unverkaufte Vertragsware an den Lieferanten zurückzuverkaufen. Das gilt auch für das Ersatzteillager, wenn er auf die Weiterführung des Werkstätten-Vertrages verzichtet.

Wer sich entschließt, auch im neuen Vertriebssystem als „Agent“ seinen Marken treu zu bleiben, dem bleiben die Ausgleichsansprüche für den Fall einer späteren Vertragskündigung jedenfalls gewahrt. Der deutsche Bundesgerichtshof hat bereits 2016 in einer Kfz-fernen Branche entschieden, dass auch für einen Kommissionsagenturvertrag die Ausgleichsregelung des deutschen § 89b HGB gilt. Auch bei der Berechnung des Ausgleichsanspruches ist es unerheblich, ob der Kfz-Betrieb nun mit einem Händlervertrag oder einem Agenturvertrag tätig ist.
In Österreich ist die Situation nicht anders. Da wurde in § 383 UGB ausdrücklich klargestellt: „Auf das Verhältnis zwischen Kommissionsagent und Kommittent sind die Rechtsvorschriften des Handelsvertretergesetzes anzuwenden.“ Für Hersteller ist es durchaus reizvoll, sich für das Agentursystem zu entscheiden. In diesem Fall sind sie von all den kartellrechtlichen Beschränkungen des Artikels 101 Absatz 1 des EU-Vertrages befreit, können somit auch die Endverkaufspreise bindend festlegen. Ein eleganter Weg, den Intrabrand-Wettbewerb zwischen den Vertriebs­partnern bei den Neuwagen zu eliminieren.
Wie sich schon derzeit zeigt, haben sich einige Hersteller für eine „hybride“ Vertriebsstrategie entschieden. Das heißt, der Hersteller hat sich für eine Kombination aus Handelsvertretung und Händler entschieden. Für einen Teil der Ware – etwa für die herkömmlichen „Verbrenner“ – gelten weiterhin die Regeln eines Händlervertrages. Für einen anderen Teil – etwa für die neuen E-Antriebe – agieren diese Vertriebspartner als Agenten des Herstellers.
Für die Hersteller ist die Versuchung groß, dieses Wirrwarr zu nutzen, um den „Agenten“ rechtswidrig markenspezifische Investitionen aufzubürden, die in einem Agentursystem eigentlich der Geschäftsherr selbst zu tragen hätte. Sie werden ganz einfach fälschlicherweise dem Händlerbereich zugeordnet. Das ist auch der Grund, warum sich die Erläuterungen der neuen GVO in den Punkten 29 bis 46 sieben Seiten lang mit der Abgrenzung dieser beiden Bereiche auseinandersetzen. Die Praxis wird zeigen, ob diese Vorschriften auch eingehalten werden.

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