Ja, es war eine langsamere Zeit im grauen Wien, als Tschernobyl und Mikrowellenprodukte erstmals in aller Munde waren. Am Wochenende musste man Glück haben, ein offenes Lokal zu finden. Formel 1 musste genauso wie die Skirennen geschaut werden, wenn einmal der Fernseher vor der ZIB aufgedreht werden durfte. Aber es gab ja noch die Autohefte, der analoge Blick in die bunte Welt der Mobilität. Ja, und da war er damals erstmals zu sehen. Ein Auto mit 16 Ventilen, das über 7.000 dreht und 260 am Tacho geht, muss einfach toll sein. Natürlich bleibt so was hängen bei einem Achtjährigen aus Favoriten, womit die Frage geklärt wäre, ob frühe Markenbindung funktionieren kann.

Elf Jahre später habe ich meinen GTI 16V dann gekauft. Keinen neuen, sondern genau den aus der Urserie -gebaut wie die Erstauflage von A&W im Oktober 1986, mit 139 PS und ohne Schiebedach für 25.000 Schilling. Für viele der letzte echte GTI, der vom Yuppie-Spielzeug über den Schrecken besorgter Eltern ("Du hast was gekauft?") und dem Misshandeln durch die Generation Wörthersee langsam den Weg zum Klassiker fand. Und der nach wie vor auf der damals schon klassischen Technik basierte: keine Elektronik. Alles mechanisch geregelt, und die einzigen verbauten E-Motoren dienten der Spritversorgung und den Scheibenwischern. Gewissermaßen das letzte Aufbäumen einer Autogeneration, die mit der Kat-Pflicht ab 1987 der Vergangenheit angehören sollten.

Zum Vergleich: Bei einem Restwert von 10 Prozent müsste der 300 PS starke ID.4 GTX 2032 keine 5.000 Euro mehr kosten, und das Einzige, was bei ihm mechanisch geregelt sein dürfte, sind die Blinker-und Wischerhebel.Kurz: All das, was sich technisch getan hat, seit A&W auf dem Markt ist, spiegeln diese zwei Autos wider. Nicht nur bei der Mobilität. Sondern auch im Journalismus, und eigentlich im ganzen Leben. Der lange Weg vom analogen Kompromiss zur digitalen Leichtigkeit. Ich gebe zu, dass die Gegenüberstellung natürlich einen gewissen Spagat darstellt.

Und dennoch: Was seinerzeit die Kompaktklasse, stellt heute das Kompakt-SUV dar. Der Unterschied geht ja schon beim Aufsperren los. Damals noch mit einem echten Schlüssel, der ein mechanisches Schloss betätigte, wobei man sofort hörte, was alles in Gang gesetzt wurde: Relais klickten, Spritpumpen bauten Druck auf, das mechanische Wesen hatte etwas Lebendiges. Spätestens, als man über Kupplungsseil und Schaltgestänge einen Gang einlegte. Can BUS? Steuerkastl? Sogar die optionale Zentralverriegelung arbeitete pneumatisch, Kabel dienten eigentlich nur zur Stromversorgung, und Dinge wie Navi, Sprachsteuerung oder Displays gab es damals nur beim Knight Rider.

Beim GTX ist das alles Serie, ebenso Keyless Go. Alles ist vernetzt, Sensoren gibt es sonder Zahl. Der ID.4 weiß genau, was man macht. Ein wenig wie HAL vielleicht, der Computer aus "2001" - Odyssee im Schauraum, wobei man ihm das nicht zum Vorwurf machen kann.

Die Aufrüstung der Kontrollelemente startete schließlich 1987 mit dem ominösen Motorkontrolllamperl. Und dank des Smartphones istdas mittlerweile ja überall so, selbst beim Zeitungmachen. Schriftsetzer, die an riesenhaften Maschinen die Bleiplatten für den Druck erstellten, galten 1987 als Koryphäen im Medienwesen und sind heutzutage genauso wenig gefragt wie Motorenflüsterer, die am Lauf hören konnten, woran es beim Vierzylinder kränkelt. Heute würde für beide Handwerke ein Laptop reichen, wobei Autos als Kinder ihrer Zeit immer perfekt in ihre Epoche passen. In den Achtzigern scheuchte man eine Heerschar von Jungredakteuren durchs Land, um irgendwelchen Pressekonferenzen beizuwohnen oder besonders wichtige Seiten von der Druckerei zurück in die Schreibstube zu bringen. Da war es nicht unpraktisch, dass man bei 180 km/h im 16V erst in die Fünfte schaltete -da, wo der ID.4 GTX schon elektronisch abregelt.

Ist aber heutzutage völlig wurscht, denn selbst das höchstauflösende Titelblatt verschickt man über den internen Server, und dank eingebautem WLAN empfängt man alles im ID.4 in Sekundenschnelle. Der GTX ist nicht schneller, weil es keinen Grund mehr dafür gibt. Überhaupt, die Performance, daran lässt sich am schönsten der Wandel unserer Gesellschaft ablesen. 139 PS waren beim 16V eigentlich nie allesamt vertreten. Es war ein stetes Spiel aus Drehzahl, Gaspedalstellung und Gangwahl. Der Gemischaufbau funktionierte rein auf Basis von Unterdruck, unter 4.000 ging im Prinzip nix, wenn's zu feucht war, auch nicht. Wenn man den zweiten Gang nicht bis 100 drehte, gab es nie einen schönenAnschluss an den dritten, und eigentlich war irgendetwas nie gut genug, seien es die Bremsen, das Fahrwerk oder eben die Leistung. Findige Händlerbetriebe verdienten sich an diesem ewigen Verlangen ein schönes Zubrot, hatten von Nockenwellen über Sportfahrwerke so ziemlich alles im Programm, was gut und teuer war. Es gab heiß begehrte Anlaufstellen im Süden und Norden der Stadt, und der Elvis mit dem Zwei-Liter-Umbau, der war sowieso der Ärgste.

Im GTX sind mehr als doppelt so viele Pferde quasi auf Tastendruck wie bei Google jederzeit abrufbar und vollständig versammelt, was das Fahrerlebnis zwar beeindruckend, aber auch irgendwie austauschbar macht. Es gibt keinen Drehzahlmesser, weil diese Informationen egal sind. Es gibt kein Warmfahren mehr, weil der E-Motor das nicht braucht. Und es gibt kein Verlangen, irgendetwas verbessern zu wollen. Leistung, Lenkung, Fahrwerk -alles wirkt wie ein perfekt eingeschenktes Krügerl: Man bekommt genau das, wofür man bezahlt hat. Man muss ja nicht einmal mehr kuppeln können, geschweige denn im Gespür haben, wann das Heck in Kurven auszubrechen beginnt, was wieder eine schöne Parallele zum Schreiberhandwerk bietet. Die elektronische Textverarbeitung ist wie das ESP des Schreiberlings. Jederzeit kann man Fehler korrigieren und das Manuskript umändern. In den Achtzigern indes musste jedes Wort sitzen, Rechtschreibfehler galt es tunlichst zu vermeiden, wenn man nicht alles neu abtippen wollte oderdas Tipp-Ex leer war. Die Geschichte schon fertig im Kopf zu haben ist heutzutage genauso unnötig geworden wie das Gespür für Schlupf und Traktion. Der Computer macht das schon, was auch der Grund ist, warum sich der ID.4 in vielen Situationen so leichtfüßig anfühlt wie der um 1,3 Tonnen leichtere Zweier-Golf.

Sport im Speckmantel
Entsprechend hat man auch nie das Verlangen, das letzte Quäntchen aus den Akkuzellen herauszuquetschen. Das Fahren mit Messer zwischen den Zähnen ist längst dem gepflegten Pflügen über die Autobahnen gewichen. Man hält sich großteils ans Tempolimit, weil es eh keinen Sinn ergibt, zu schnell zu fahren. Der GTX macht alles richtig. Er raucht nicht, trinkt nicht, ist freundlich, leise und umweltbewusst. Nie würde er zwischen den Mahlzeiten einen Schokoriegel verdrücken. Und dennoch gibt es immer wieder Momente, da würde man am liebsten seinem perfekt gezogenen Scheitel durchs Haar fahren, um alles ein wenig zu verwuscheln. Aber für ein Quäntchen Anarchie ist in der heutigen Zeit kein Platz mehr. Zumindest, wenn man vier Räder trägt. Und wenn einmal etwas kaputt ging? Einen Golf konnte jeder reparieren, gleichwohl es in den Neunzigern schon schwer war, jemanden aufzutreiben, der sich mit der mechanischen Einspritzung noch wirklich auskannte. Die Straße war der Fehlerspeicher, und je nachdem, wo welche Flüssigkeit heruntertropfte, konnte man sich schon gezielt auf die Fehlersuche begeben. Einen ID.4 auszulesen gelingt nur mehr den echten Spezialisten, ja, und ihn reparieren, das dürfen überhaupt nur eine Handvoll Leute. Ein Motorschaden warbeim 16V zwar ärgerlich, der Zylinderkopf (sogar bei Nieselregen) in zwei Stunden aber komplett mit einer Basisbestückung an Werkzeug demontiert. Dass das mit dem Akku des GTX nicht mehr ganz so einfach sein dürfte, man Unmengen an Spezialwerkzeug benötigt, dabei vielleicht gegrillt wird und imAnschluss nicht alles problemlos wieder in Gang bringt, lässt sich aber leicht verschmerzen. Schließlich wird der Spieltrieb des geneigten Enthusiasten bei der heutigen Perfektion nicht mehr wirklich gefördert. Man traut sich ja nichts mehr anzugreifen, so exakt, wie die Spaltmaße aussehen. Schraubenköpfe sind nirgendwo mehr zu finden, man hat eher die Angst, etwas zu ruinieren, wenn man irgendetwas zerlegen wollen würde. Andererseits: Wozu auch? Alles sitzt makellos, die Materialien sind fein, die Technik top. So gibt man wenigstens nicht unnötig Geld für Zubehör aus, was manche Beziehung retten könnte. All das wirft jedoch die Frage auf, ob der GTX jemals das Zeug zum Klassiker haben wird? Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, hieß es noch vor wenigen Jahrzehnten. Gut möglich, dass dieser Spruch bald für aktuelle Fahrzeuge gelten könnte. Aber so blöde Sprüche habe ich mir vor 25 Jahren auch von meinen Schulkollegen über meinen Golf anhören müssen. Somit erübrigt sich auch, diesen Vergleich zu werten. Die ewige Evolution hat aus AUTO&Wirtschaft in 35 Jahren ja auch ein völlig anderes Produkt gemacht, das in der Grundfunktion zwar gleich geblieben ist, den Job aber um Welten besser macht. No na ist das bei den Autos ähnlich, und so ehrlich muss man sein: Autos wie der 16V machen nur Spaß, solange man damit nicht täglich fahren muss. Schnell weicht die romantische Verklärtheit ewiger Jugend der bleiernen Realität des mittelalterlichen Vorstadtbewohners, und spätestens im Sommer reicht es einem endgültig, wenn man auf einmal merkt, wie cool jetzt eine Klimaanlage wäre. Vielleicht geht das einher mit einer generellen Verweichlichung, die wir alle in denletzten 35 Jahren durchlebt haben, aber einmal ehrlich: Wer würde sein Handy gegen einen Viertelanschluss tauschen wollen? Oder ESP gegen ein ausbrechendes Heck? Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal von der guten alten Zeit schwärmen, die Mikrowelle benützen und nebenbei E-Mails empfangen,während das Auto over the air serviciert wird. 13