AUTO-Information: Wie lief der Verkauf bei Volkswagen in den ersten 8 Monaten weltweit?
Klaus Zellmer: Wir sind mit den ersten 8 Monaten sehr zufrieden: Das gilt vor allem auch für Österreich, wo wir unseren Marktanteil stark ausgebaut haben.

Wie stark wurde das Geschäft heuer durch den Halbleitermangel beeinträchtigt?
Zellmer: Wir haben die Produktionsausfälle aufgrund des Chipmangels minimiert und planen, weiterhin die Auslieferungszahlen des Vorjahres zu übertreffen, auch wenn wir weltweit eine sechsstellige Zahl an Autos nicht ausliefern konnten. Der Halbleiter- Engpass hat sich zeitlich vor allem in das 3. Quartal verschoben, in dem die Versorgungslage sehr angespannt war und ist. Bis Jahresende hoffen wir allerdings auf eine schrittweise Erholung.
Das bedeutet vollere Auftragsbücher: Wie unterscheidet sich die Situation von jener vor einem Jahr? Zellmer: Der Auftragsbestand ist doppelt so hoch wie im August 2020, wir haben hohe Auftragsbestände bei allen Modellen und liegen überall deutlich über dem Vorjahr. Das heißt, uns bremst der Nachschub -und nicht die Nachfrage. Doch vielen geht es ähnlich.

Wie wollen Sie diesen Rückstand bewältigen?
Zellmer: Eine dauerhafte Entspannung der Versorgungslage hängt maßgeblich von der Halbleiterindustrie selbst ab. Denn dort fehlen rund 10 Prozent an Produktionskapazitäten für Auto-Chips. Chip ist dabei nicht gleich Chip. Manche sind austauschbar, andere nicht. Wir wollen den Produktionsrückstand im 2. Halbjahr so weit wie möglich aufholen und dabeiden hohen Auftragsbestand von mehr als 400.000 Autos abarbeiten. Zum Beispiel planen wir dort, wo es möglich ist, Zusatzschichten in der Produktion.

Gibt es Prognosen, wie sich dieses Problem in den kommenden Monaten entwickeln wird?
Zellmer: Das wird uns auch 2022 noch beschäftigen.

Wie lang sind die Wartezeiten auf die einzelnen Modelle?
Zellmer: Am kürzesten sind sie derzeit bei unseren Elektroautos, denen gilt unsere Priorität. Die Länge der Wartezeiten hängt generell auch von der Ausstattung ab: Manche sind stärker betroffen, weil gewisse Sonderausstattungsumfänge im Moment nicht möglich sind.

Wie reagieren die Kunden auf die Lieferprobleme?
Zellmer: Wir beobachten bei den meisten Kunden eine gewisse Flexibilität, aber gern wartet natürlich niemand. Doch aktuell betrifft es ja die gesamte Branche. Wem die Wartezeit auf das neue Auto zu lang ist, der kann sie auch mit einem Auto-Abo überbrücken -ab drei Monaten kann man jetzt in Deutschland und Österreich Autos abonnieren.

Wie wird sich in den nächsten Jahren der Anteil der E-Autos entwickeln?
Zellmer: Er wird schnell weiter steigen. In den ersten 8 Monaten des Jahres konnten wir mit 140.000 unsere Auslieferungen von vollelektrischen Fahrzeugen fast verdreifachen. In Deutschland ist derzeit bereits jeder vierte Neuwagen ein E-Auto -und jedes vierte vollelektrische Auto trägt hier ein VW-Logo. Wir sind auch in Europa die Nummer 1. In Österreich sind wir mit dem ID.3 und ID.4 Marktführer: Für Österreich wird auch der allradgetriebene ID.4 GTX sehr wichtig, den wir jetzt ausliefern. Der ID.5 GTX kommt voraussichtlich im Frühjahr 2022 nach Österreich.

Wie wichtig sind die Händler für VW? Und wie läuft das Agentursystem bei den E-Autos?
Zellmer: Ein starkes Händlernetz ist ein echter Wettbewerbsvorteil. Wir haben in Österreich gute, erfahrene Handelspartner und eine herausragend gute Organisation. Sie kennen die Kunden und betreuen sie perfekt. Für den Agenturvertrieb ist es gut, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt. Die Kunden sehen, dass siekeine Preisdiskussion führen müssen, da ohnehin jeder den gleichen Preis bekommt. Daher sind wir mit dem Agenturmodell gut unterwegs.

Werden Autos künftig komplett online angeboten?
Zellmer: Ja. Aber auch wenn die Transaktion komplett online läuft, werden die Händler mit einer Provision beteiligt. Wir sind in Deutschland heuer so weit, dass es Leasing oder Kauf für ein vom Kunden spezifiziertes Fahrzeug online geben wird. Das ist ein Novum,das kann noch kein anderer Hersteller. Ab 2022 wollen wir das dann auch in anderen Märkten anbieten, aber nur für Elektroautos und für Neu-und Gebrauchtwagen aus dem Lager. Beim Vertragsabschluss muss der Kunde nur ausfüllen, wer sein betreuender Händler ist. Unser Online-Angebot ist eine Antwort auf das sich rasant ändernde Kaufverhalten vieler Kunden, die zum Beispiel die Probefahrt beim Händler machen wollen, aber die Zahlung online abwickeln wollen. Die Übergänge zwischen online und offline sind nahtlos.

Wie wird die VW-Modellpalette in 5 oder 10 Jahren aussehen?
Zellmer: Wir haben das Ziel, dass 70 Prozent unserer verkauften Fahrzeuge in Europa im Jahr 2030 batteriebetrieben sein werden. Das ist natürlich eine massive Transformation. Wir planen derzeit nicht für jedes Derivat eines Verbrenners ein Nachfolgemodell, um die Komplexität beherrschbar zu halten. Während auf der einen Seite die Zahl der E-Modelle jedes Jahr weiter ansteigt, sinkt andererseits mittel-und langfristig die Zahl der Verbrenner-Modelle. Wie bei einem Schieberegler. Aber wir brauchen den Verbrenner noch auf bestimmte Zeit, und zwar so effizient wie möglich. Deshalb bekommt die nächste Generation unserer Kernprodukte auch die neueste Generation der Plug-in-Hybrid-Technik mit einer elektrischen Reichweite bis zu 100 Kilometern.

Sie sind auch für Aftersales zuständig: Wie hat sich dieser Bereich seit den ersten Lockdowns entwickelt?
Zellmer: Wir sehen nach wie vor, dass die ein bis drei Jahre alten Fahrzeuge mit geringerer Laufleistung zum Service kommen. Es gibt auch weniger Unfälle und weniger Reparaturen. Dennoch haben wir ein sehr gutes Ergebnis im Aftersales erzielt. Wir werden die Pandemie auch noch in zwei oder drei Jahren bemerken, weil wegen COVID und der Halbleiterkrise der Absatz geringer war und weniger Fahrzeuge im Fuhrpark sind. Für die drei bis sechs Jahre alten Fahrzeuge, bei denen 50 Prozent noch in unsere Vertragswerkstätten kommen, müssen wir attraktive Angebote machen. Hier hat die Porsche Holding in Österreich für zeitwertgerechte Reparaturen tolle Angebote. Viele Händler machen das auch herausragend, aber einige verlassen sich darauf, dass die Kunden ohnehin kommen.

Wie werden Werkstätten in einigen Jahren überleben, wenn immer mehr wartungsarme Elektroautos auf dem Markt sind?
Zellmer: Es ist klar, dass es durch die batterieelektrischen Fahrzeuge im Bereich Antrieb künftig weniger Servicepotenzial geben wird: Oder wann haben Sie zuletzt Ihren Elektro-Rasenmäher zum Service gebracht? Aber ich sehe durchaus Zusatz-Potenzial und auch neue Möglichkeiten für Händler -etwa durch das Abo-Modell, wo wir den Handel noch enger einbinden werden und wo die Werkstätten Wartung, Reifen etc. übernehmen sollen. Aber trotz allem: Auch die Händler werden sich wandeln müssen. Und wir müssen den bestehenden Markt noch besserausschöpfen.

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