Ziel der Vertikal-GVO (Verordnung (EU) Nr. 330/2010) war insbesondere, gesteigerte Rechtssicherheit für Unternehmen zu schaffen. Und zwar deshalb, weil alle Vereinbarungen, die sich auf das Angebot und den Vertrieb von Waren und Dienstleistungen beziehen, sofern sie die Voraussetzungen der Vertikal-GVO erfüllen, also wettbewerbsrechtlich freigestellt sind, nicht mehr der zweistufigen Prüfung des Artikel 101 AEUV standhalten müssen. Vereinfacht gesagt: Was der Vertikal- GVO entspricht, ist wettbewerbsrechtlich unbedenklich.
Der Teufel liegt dabei jedoch oftmals im Detail und so zeigte sich das in der Branche erwartete Ergebnis, dass der Kfz-Vertrieb mit seinen vielen ganz speziellen Usancen und Kundenerwartungen, insbesondere in Sicherheitsfragen, eben nicht mit beispielsweise dem Lebensmittelhandel vergleichbar ist, weshalb die Vorgängerregelung Nr. 1400/2002 auf Händlerseite schon bald schmerzlich vermisst wurde.
War ursprünglich bereits für das 2. Halbjahr 2020 mit dem ersten Entwurf einer neuen Regelung spekuliert worden, steht die Vorstellung des neuen Modells nunmehr unmittelbar bevor und die bisher bekannten Entwürfe stellen für den Kfz-Handel zwei zentrale Themen in den Vordergrund, die schon zuletzt im Fokus umfangreicher Neugestaltungen von Kfz- Vertriebsverträgen standen: der Direktvertrieb und der Online-Handel!
Direktvertrieb und Onlinehandel
Beim Direktvertrieb setzt der Importeur nicht einen unabhängigen Vertragshändler dazu ein, seine Fahrzeuge zu verkaufen, sondern etabliert einen hauseigenen Retailbetrieb, der, so wollen es die noch in Geltung stehende Vertikal-GVO und auch das nationale Kartellrecht, von seinem eigenen Konzern gegenüber den Vertragshändlern nicht bevorzugt werden darf.
Dass diese gesetzlichen Regelungen nicht immer überzeugend eingehalten werden, zeigte die "Peugeot"-Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zuletzt deutlich auf. Umso mehr überrascht die Einschätzung der Europäischen Kommission, wonach hinsichtlich eines dualen Vertriebssystems auf Händlerseite nur wenige Bedenken bestehen sollen. Als problematisch wurde jedoch moniert, es wäre nicht klar, welcher Informationsaustausch zwischen den Vertragspartnern in einem dualen System notwendig ist. Während die Importeursseite verhindern möchte, die ihr zur Verfügung stehenden Daten mit den Vertragshändlern teilen zu müssen, erwartet sie durch die Erhebung von Daten wie Preisen oder zu Verbraucherprofilen durch ihre Händler die Möglichkeit, ihre Produkte effektiver zu vertreiben und damit den Wettbewerb zwischen den Marken zu verbessern. Auf die höchst problematische Ausgestaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen in den neuen Vertriebsverträgen habe ich bereits an anderer Stelle mehrfach hingewiesen.
Duales Preissystem
Mit dem dualen Vertriebssystem soll in der neuen Gruppenfreistellungsverordnung auch ein duales Preissystem geschaffen werden. Die Kommission anerkennt dabei grundsätzlich, dass die Kosten eines stationären Vertriebshändlers deutlich höher sind als die Kosten eines Online-Vertriebshändlers und weisen dabei auf die Personalkosten hin, die online 2 bis 5 Mal niedriger sind als in traditionellen Einzelhandelskanälen. Auch das Investitionsvolumen ist bei einem Offline-Händler deutlich höher und könnte aus wirtschaftlicher Sicht nach Meinung der Kommission sogar gerechtfertigt sein, den Lieferanten in solchen Situationen eine Differenzierung der Netto-Großhandelspreise zwischen Offline- und Online-Verkäufen zu erlauben.
Weshalb die Kommission jedoch auf der anderen Seite erwartet, dass Mehrleistungen wie Probefahrten und Kundenberatungen im stationären Handel gegenüber den Online-Anbietern eingepreist werden, das offenbart sich nicht. Ganz im Gegenteil muss befürchtet werden, dass der Kunde sich zunächst vom Händler im Ort kostenintensiv umfassend beraten lässt, nur um dann günstiger im Internet zu kaufen.
Mit der Neuregelung der im nächsten Jahr auslaufenden Vertikal-GVO droht eine weitere Verschiebung der Machtverhältnisse hin zum Importeur, der wirtschaftliche Spielraum für die Händler wird weiter dezimiert.
Kündigungen zu erwarten
Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Monaten zahlreiche Hersteller ihre Händlerverträge europaweit kündigen werden, Stellantis hat es bereits vorgemacht. Bei ordentlichen Kündigungen muss dabei im Regelfall eine zweijährige Kündigungsfrist eingehalten werden, wobei die dem Importeur dann drohenden Ausgleichszahlungen einen wirtschaftlichen Anreiz schaffen könnten, das Haar in der Suppe zu suchen, um damit eine fristlose Kündigung zu begründen, die den Ausgleichsanspruch des Händlers vernichtet. Für die Händler heißt es nun in erster Linie für den Fall, dass Vertragskündigungen ausgesprochen werden, alle vertraglichen und gesetzlichen Fristen eingehend zu prüfen und vor allem die neuen Händlerverträge auf ihre wirtschaftliche Machbarkeit im Lichte des eigenen Betriebes umfassend zu prüfen.