Die Beispiele für Umbrüche in verteilten Märkten sind zahllos. Sofern es sich nicht um eine günstigere Produktion gehandelt hat, die in etablierte Märkte eingedrungen ist, war ein Technologie-Bruch, eine tiefgreifende Innovation für den Markteintritt neuer Player und die Veränderung verantwortlich: egal ob der Wechsel der Dampf- zur Diesel-Lok, von der Analog- zur Digitalfotografie oder vom Tastentelefon zum Smartphone.

Eine eher untypische und wohl einzigartige Erfolgsgeschichte gibt es hingegen im margenarmen und (bislang) verteilten Markt der Kinderfahrräder. „Es ist keine Revolution, die Zeiten haben sich einfach geändert“, gibt sich Marcus Ihlenfeld, ehemaliger Marketingleiter bei Opel und einer der beiden Gründer, bescheiden. Er erzählt von gesellschaftlichen Veränderungen, die es ihnen erlaubt haben, diese Nische zu besetzen. Er berichtet davon, dass sich Väter heute zehnmal mehr Zeit für ihre Kinder nehmen als vor 20 Jahren und dass wir heute viel mehr in unseren Nachwuchs investieren. „Wir wollen, dass unsere Kinder Freude haben an dem was sie tun. Und je mehr Freude etwas bereitet, desto mehr sind wir bereit zu investieren.“

Das Angebot nicht akzeptieren
Damit hat Ihlenfeld sicher Recht. Aber dennoch ist es nicht die einzige Wahrheit hinter der Erfolgsgeschichte. Vielmehr ist es die Unzufriedenheit mit dem Vorhandenen; nicht zu akzeptieren, dass es nicht besser geht, dass es die Industrie nicht schafft, wirklich gute Räder für die eigenen Kinder zu bauen.

„Man braucht bestimmt eine gewisse Unwissenheit, man muss ganz unbefleckt sein, was ­Limitationen betrifft“, erklärt es Ihlenfeld mit seinen Worten. Es braucht also etwas Blauäugigkeit oder Naivität, um nicht zu wissen, welche Herausforderungen, welche Schwierigkeiten es gibt, um diesen Markt aufzurollen. Dabei war es vermutlich gar nie der Wunsch, einen Markt zu revolutionieren, sondern vielmehr nur das väterliche Ziel, den eigenen Kindern bessere Räder anbieten zu können.

Hey, das geht doch besser
Und dieses Ziel, einfach gute Kinderräder zu bauen, hat offenbar bislang niemand der bestehenden Anbieter verfolgt. Vielmehr ist bei den bestehenden Firmenkonstellationen der Hersteller das Kinderfahrrad oftmals ein notwendiges Übel, das man haben muss, samt unattraktiver Margen für die gesamte Vertriebskette. „Mit unserem Fokus aufs Kinderrad haben wir ganz andere Ressourcen“, erklärt Ihlenfeld. Anders ausgedrückt: Es hat sich noch niemand in dieser Tiefe damit beschäftigt und gesagt: „Hey, das geht doch besser.“

Alles selbst entwickelt
Dafür werden 95 Prozent der Komponenten von Woom selbst entwickelt, unter der Führung von Co-Gründer-Besitzer ­Christian ­Bezdeka, einem Industrial Designer mit Erfahrung und Affinität zum Rad. „Wir sagen unsere Produzenten exakt, wie das auszusehen hat.“ Dabei war der hohe Grad an Eigenentwicklung vielmehr Notwendigkeit als Programm. „So führt ein anderes Design der Kurbel dann bis zur kompletten Neukonstruktion der Achse“, beschreibt der Gründer. Weil es die Teile in der Dimension und Ausführung am Markt einfach nicht gibt. Die Basis ist dabei immer der Blick auf das Kind, auch wissenschaftlich. Die Größe eines Rades kann weder nach oben noch nach unten skaliert werden, weil sich ein menschlicher Körper nicht proportional entwickelt. „Ein Beispiel ist die Relation der Finger zur Handwurzel, das sieht bei einem Erwachsenen ganz anders aus als bei einem Kind.“ Und so entwickelt Woom entsprechend den Proportionen und der Ergonomie für jedes Alter ein eigenes, besonderes Rad. Und das spüren die Kinder ebenso wie ihre Eltern.

Hoher Wiederverkaufswert
Preislich sind Woom Bikes, die anfangs nur online verkauft wurden, deutlich teurer als herkömmliche Kinderfahrräder. Die Eltern sind bereit, für die hohe Qualität entsprechend zu bezahlen – und der Wiederverkaufswert ist sehr hoch. „Das ist er deshalb, weil wir keine Überkapazitäten produzieren und weil wir keine Rabatte geben“, erklärt Ihlenfeld. Onlinehandel ist aus seiner Sicht nur dann eine Gefahr, wenn Black-Friday-­Konditionen angeboten werden. „Es entsteht immer nur jener Druck, den das Netzwerk selber erzeugt“, so der erfahrene Automanager.

35 Prozent Marktanteil
Heute verfügt Woom über 50 Händler in Österreich, mehr sollen es auch nicht werden. „Die Partner sollen Spaß daran haben“, sagt Ihlenfeld, der den Ö-Marktanteil auf 35 Prozent schätzt. Insgesamt gibt es 270 Händler in ganz Europa, Großhändler in Russland, USA und Skandinavien. „Unser Ziel sind nicht Stückzahlen, sondern wir wollen die beliebteste Kinderfahrradmarke der Welt werden.“ Das klingt bescheiden: Nach dem Start mit 500 Rädern in Jahr 2013 werden es heuer 142.000 sein. Zum Vergleich: Bei KTM Fahrrad werden 200.000 Räder (ohne ­E-Bikes) produziert.