Mittlerweile emeritiert, forscht Dangschat nach wie vor u.a. über das Mobilitätsverhalten und die Energienutzung von Menschen, über die Auswirkung künftiger Technologien auf die (Stadt-)Gesellschaft – und stellt sich Fragen wie: „Warum staut sich einer tagtäglich in die Innenstadt hinein, obwohl das doch völlig irrational ist?“

Change!: Sie sprechen von Rebound-Effekten in der Mobilität – also unerwarteten und gegenteiligen Effekten von Steuerungsmaßnahmen. Was bedeutet das und welche Schlüsse müssen bzw. können Verkehrsplaner, Autobauer, etc. daraus ziehen?
Jens Dangschat: Wir müssen immer damit rechnen, dass Menschen weniger rational handeln, als es von den Ingenieuren gedacht wird. Wir kennen direkte und indirekte Rebound-Effekte. Ein Beispiel für einen direkten Rebound-Effekt ist jemand, der sich ein sparsameres Auto kauft, und dann öfter und weiter damit fährt als mit seinem alten Spritfresser. Indirekt wäre: Das durch den niedrigeren Verbrauch eingesparte Geld gibt er für eine Flugreise aus.
Der Fehler ist, dass oft ausschließlich von einem rationalen Verhalten der Menschen ausgegangen wird – fälschlicherweise. Denn der Mensch ist eben nicht so rational, da spielt Spontaneität eine Rolle, da spielen Vorurteile eine Rolle, und gerade beim Verkehrsverhalten spielt es eine Rolle, dass wir in Routinen denken.

Wird diese Irrationalität auch bei der Akzeptanz von autonomem Fahren – wenn ich gewissermaßen auch im eigenen Auto als Lenker verdrängt werde – eine Rolle spielen?
Ich meine, das Thema „Autonomes Fahren“ ist zuletzt ein bisschen verblasst. Im Moment berührt das die Menschen noch recht wenig. In Österreich oder Deutschland gibt es große Vorbehalte dem autonomen Fahren gegenüber, in China ist man davon begeistert. Die erste Gegenfrage hierzulande ist: Wozu braucht’s das eigentlich? Die Leute meinen, selber fahre ich besser als der Roboter.

Der Gesetzgeber soll bzw. muss ja diesen Wandel einleiten. Wie kann man Menschen Vorschriften machen, die auch akzeptiert werden?
Zwei eher einfache Möglichkeiten sind, durch Vorschriften direkt auf die Techniksysteme oder auf betriebliche Abläufe einzuwirken, die für den Verbraucher nicht sehr relevant oder vorteilhaft sind.
Der dritte Weg ist die direkte Verhaltensänderung, und die ist ganz, ganz schwierig. Dafür haben wir aus den Sozialwissenschaften auch kaum Werkzeuge anzubieten, dafür braucht man einen extrem langen Atem. Ich denke, das wird nur in Kombination damit gehen, den Menschen bei seinem wichtigsten Körperteil – dem Portemonnaie – zu treffen. Es ist aber auch eine Frage der Alternativangebote.
Allerdings: Ist in unserem demokratischen System Politik überhaupt in der Lage, etwas umzusetzen, was in der Bevölkerung nicht breit akzeptiert wird? Parteien wollen wiedergewählt werden. So ist es nachvollziehbar, dass Dinge nicht umgesetzt werden, auch wenn sie rational noch so vernünftig und sinnvoll sind. Dazu kommt, dass wir beim Verkehr derzeit eine starke Polarisierung in der Gesellschaft sehen: Sowohl das Segment der überzeugten Fahrradfahrer als auch das der SUV-Fahrer wächst.
Dennoch glaube ich, je mehr Erkenntnisse über den vom Menschen beeinflussten Klimawandel da sind, desto stärker werden wir uns ändern, weil wir uns ändern müssen.

Warum werden Debatten um Mobilität so hitzig geführt?
Wir alle sind in der Automobilität groß geworden, und das Auto war für die meisten gleichbedeutend mit persönlichem und wirtschaftlichem Erfolg. Die Automobilität war eine absolute Erfolgsstory, in gewissem Sinn das Rückgrat des Wirtschaftswunders. Und weil das so tief drinsitzt, ist ein angekündigter Wandel eine Bedrohung für unsere eigene Existenz.
Man verlangt jetzt von uns, unser Verhalten zu ändern. Aber warum sollten wir, wir haben uns doch so schön eingerichtet? Nicht zu vergessen ist auch das Interesse der Industrie – inklusive der damit verbundenen Arbeitsplätze bei Herstellern und Zulieferern.

Ist der viel zitierte Mobilitätswandel – hin zu Elektromobilität oder autonomem Fahren – eher Chance oder eher Gefahr?
Eine Gefahr ist es auf keinen Fall, allein schon aus Umweltsicht müssen sich Antriebstechnologien verändern. Neben der Frage, wie wir ein moderneres, zeitgemäßes Auto bauen, steht auch die Frage: Wozu brauchen wir noch ein Auto? Oder muss die Automobilität ein Stück weit zurückgedrängt werden?
Die beginnende Veränderung sehen wir heute bei vielen Organisationen, vom ÖAMTC angefangen bis hin zu den Automobilherstellern, die sich als Dienstleister der Mobilität positionieren wollen. Es ist allerdings leichter gesagt als getan, dieses ingenieurgetriebene Selbstbewusstsein zu verändern. Der Schwenk vom Verbrennungsmotor zum E-Motor ist ja nur die Spitze des Eisberges der Veränderung.

Wie versuchen Sie, das Mobilitätsverhalten von gesellschaftlichen Gruppen zu erforschen?
Klassisch versuchen wir Verhalten anhand Faktoren wie Geschlecht, Alter, Bildungsstand, etc. zu erklären. Diese Gruppen – „Die Über-Sechzigjährigen“ zum Beispiel – werden immer inhomogener, dadurch werden die Forschungsergebnisse schlechter.
In der Mobilität ist man so zu den Mobilitäts-Stilen gekommen: also etwa den überzeugten Fahrradfahrer, den Multimodalen, etc. – da kommen dann aber nur vordefinierte, also erwartbare Ergebnisse.
Dazwischen liegen die so genannten Sinus-Milieus. Die berücksichtigen 12-15 verschiedene Dimensionen – Karriere-Orientierung zum Beispiel, Umweltbewusstsein oder Traditionsbewusstsein – die abgefragt werden und als Ergebnis „realweltliche Cluster“ zeigen. Die sind eingeordnet nach sozialem Status in der Gesellschaft auf der einen und „konservativ oder progressiv“ auf der anderen Achse. Die Marktforschung hat mit Sinus-Milieus große Erfahrung und weiß viel über die einzelnen Cluster. Man kann zum Beispiel mit großer Treffsicherheit sagen, wer welche Marken bevorzugt. Und auch wir in der Mobilitätsforschung haben damit gute Erfolge gehabt.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Wohnort und Mobilität, und wie sehen Sie den prognostizierten Mobilitätswandel in den Städten?
Momentan sehe ich eine große Dynamik in der Veränderung zwischen großen Städten, Kleinstädten und dem ländlichen Bereich. Wobei mit Stadt das Zentrum gemeint ist, die Randbereiche sind eher wie das suburbane Umland. Die Haltung zur Mobilität prägt auch ein Stück weit die Wahl des Wohnstandorts, und davon wird wiederum das Verkehrsverhalten beeinflusst.
Die derzeit viel diskutierte Mikromobilität wird, so glaube ich, sehr stark auf die Zentren und die Leute, die dort wohnen, begrenzt sein. Das gilt für alle Sharing-Angebote, und zwar weil sie von kommerziellen Anbietern kommen. Denn damit ist klar, dass nur der Raum abgedeckt wird, der dicht genug ist, um mit dem Angebot Geld verdienen zu können.
Im Hype um Mikromobilität wird derzeit der klassische Fehler gemacht, dass der Anfangstrend linear hochgerechnet wird. Und auch Carsharing wird sich an jemandem die Zähne ausbeißen, der denkt: „my car is my castle“ und ich nicht mal seine eigene Frau ans Steuer lässt.
Für den ländlichen Raum hingegen ist die Veränderung ebenfalls schwierig. Selbst wenn die Taktzeiten des Öffentlichen Verkehrs verdichtet werden, heißt das noch lange nicht, dass die Leute dann öffentlich fahren.

Im Moment findet aber doch eine Einstellungsveränderung in der Öffentlichkeit statt. Der Klimawandel ist in aller Munde. Wird das den Mobilitätswandel beschleunigen?
Man muss unterscheiden: Verändert sich die Einstellung einzelner Leute, oder ist die Veränderung generationenbedingt? Das ist sehr schwierig festzustellen bzw. zu untersuchen. Bisher werden sehr oberflächliche Befragungen durchgeführt und so eine Veränderung „festgestellt“. Interessant wäre: Wer hat sich verändert, und warum? Wo liegt Veränderungspotenzial?

Warum boomen Umweltbewegungen gerade in den Städten?
Das lässt sich schön über die Milieus beschreiben. Die typische urbane Bevölkerung ist für Umweltthemen sehr aufgeschlossen. Allerdings gilt das auch für die traditionell eingestellte Landbevölkerung, also jene aus dem konservativen Lager. Das hat dann oft mit Tourismus, aber auch mit Lebensstil zu tun: Man fährt die ganze Woche mit dem Auto, und am Wochenende schwingt man sich aufs Rad oder geht wandern. Am Land ist die Umwelt Lebensqualität und wirtschaftliche Basis. Man sägt den Ast nicht ab, auf dem man sitzt.