Angelehnt an den Begriff Industrie 4.0 spricht man von Autowerkstatt 4.0 als Bezeichnung für die Digitalisierung in der Werkstatt. Basis ist die Vernetzung der Softwaresysteme, der Werkstattausrüstung und der Fahrzeugdaten. In der Werkstatt 4.0 werden die Daten zwischen Fahrzeug, Fachbetrieb, Hersteller und Kunde drahtlos in Echtzeit ausgetauscht.
Im Internet der Dinge verbinden sich greifbare physische und virtuelle Gegenstände und arbeiten mittels Informations- und Kommunikationstechniken zusammen. Das Auto ist ein wichtiger Bestandteil davon: Es kommuniziert jetzt schon mit verschiedenen Systemen. In den nächsten Jahren werden sich diese Datenströme zwecks Softwareupdates, Diagnose, Analyse der Teileabnutzung oder des Fahrerverhaltens vervielfachen. Autonome Fahrsysteme werden es ermöglichen, dass Autos zu bestimmten Zeiten selbstständig in die Werkstatt fahren.
Da die Digitalisierung ein rasantes Tempo aufgenommen hat, sollte man sich jetzt mit den neuen Technologien beschäftigen, um sich auf nahende Veränderungen vorzubereiten.
Von der Annahme bis zur Auslieferung
So geht die Digitalisierung in der Annahme: Fährt ein Kundenauto auf das Werkstattgelände, wird das Kennzeichen von einer Kamera digital erfasst und die Auftragsunterlagen automatisch vorbereitet.
Alle führenden Werkstattausrüster passen ihre Geräte und die Software für die digitalisierte vernetzte Werkstatt an. So war das Thema „Werkstatt der Zukunft“ der Schwerpunkt der jüngsten Automechanika.
Maha demonstrierte beispielsweise einen netzwerkfähigen Rollen-Bremsprüfstand der MBT Connect Serie, der zur Prüfstraße erweitert werden kann. Die vorinstallierte und webbasierte Software ist in der Prüfstandssteuerung integriert, sodass die Messwertanzeige auf jedem netzwerkfähigen PC oder mobilen Geräten ausgegeben werden kann. Durch einen Online-Zugang können Messwerte und Auftragsdaten auch an das Digitale Autohaus übergeben und verarbeitet werden. Das Digitale Autohaus von Maha ist eine webbasierte Online-Suite zur Planung relevanter Prozesse im Automotive- und New-Mobility-Sektor.
Vorbereitung auf autonome Autos
Die bereits am Markt befindlichen Fahrerassistenzsysteme erfordern professionelle Kalibrierung nach Service- und Reparaturarbeiten. Das Angebot an Systemen für die Justierung reicht von kompakten mobilen Tools bis zu umfassenden Kalibriervorrichtungen. Für die kommenden autonomen Fahrzeuge werden spezielle Prüfstände notwendig sein, um das gesamte System von leistungsfähigen Sensoren zu prüfen, einzustellen und zu kalibrieren.
Auch die Zahl der Elektroautos in der Werkstatt wird erheblich steigen. Die Werkstattausrüstung – Mess- und Diagnosetechnik oder Spezialwerkzeuge – wird man an Elektrofahrzeuge anpassen müssen.
„Alternative Antriebsmethoden und E-Mobility werden in den kommenden Jahren zu einem noch wichtigeren Thema“, so Gerald Lackner, CEO von AVL DiTest. Das österreichische Unternehmen setzt den Schwerpunkt auf Messtechnik, besonders auf Hochvoltmesstechnik für Elektrofahrzeuge. Für die Entwicklung der akustischen Kamera zur Ortung und Auswertung von Fahrzeuggeräuschen ACAM wurde AVL DiTest der Automechanika Innovation Award 2018 in der Kategorie Repair & Diagnostics verliehen. Die innovative Technologie ermöglicht es, Innenraumgeräusche zu lokalisieren, Dichtheitsprüfungen durchzuführen und im Motorraum erhöhte Lager- oder Kettengeräusche festzustellen. Die ACAM kommt besonders bei Hybrid- und Elektrofahrzeugen zum Einsatz, bei denen Störgeräusche wegen der geringen Geräuschemission stärker wahrgenommen werden.
Erweiterte Realität im Kfz-Betrieb
Augmented Reality (AR oder erweiterte Realität) hält Einzug in alle Lebensbereiche – Produktion, Medizin, Vertriebswesen, Marketing, Bedienung und Wartung von technischen Einrichtungen, Logistik, Schulung und vieles mehr. Ihre Funktionsweise lässt sich einfach erklären: Computergenerierte Informationen werden über das reale Bild, das von der Kamera eines Smartphones, Tablets oder Brillenglases erfasst wird, gelegt. Diese Informationen in Form von Text, Grafiken, Videos oder anderen Daten überlagern und ergänzen das reale Bild in Echtzeit. Meist wird dieser Prozess über mobile Apps gesteuert.
Lexus Deutschland testet zurzeit die erweiterte Realität in der Werkstatt von Lexus-Forum Osnabrück. Die Techniker sind mit einer AR-Brille mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher ausgestattet. So kann ein Mitarbeiter Aufnahmen an andere Geräte im Haus oder direkt an einen Experten senden, um von ihm Live-Support zu erhalten. Die Brille eignet sich weiters für die Kundenkommunikation. Das Sichtfeld des Servicetechnikers wird nämlich direkt auf das Tablet des Kunden übertragen, der gerade bei einem Kaffee im Warteraum des Autohauses sitzt. Möglich wäre auch – Hol- und Bringservice vorausgesetzt –, dem Kunden Live-Bilder aus der Direktannahme ins Büro oder nach Hause zu senden.
Geräte für erweiterte Realität
In der Werkstatt 4.0 kann die erweiterte Realität bei Servicearbeiten, Reparaturen, Diagnose, in der Direktannahme oder im Kundengespräch zum Einsatz kommen. Es gibt bereits ausgereifte Lösungen am Markt, die ständig optimiert werden. So hat Bosch die Common Augmented Reality Platform (CAP) entwickelt, um die Varianten- und Produktvielfalt in der modernen Kfz-Technik möglichst schnell, einfach und mit geringen Kosten umsetzen zu können. CAP greift auf die vorhandene Datenbank zu und zieht die passenden Daten heraus. Neben Informationen und Erklärungen in Textform können Video-Einspielungen, Bilder, Sicherheitshinweise mit Audio-Einspielung, 3D-Daten, Schaltpläne, technische Zeichnungen und Marker eingebunden werden.
Hella Gutmann Solutions hat eine digitale Multifunktionsbrille mit integrierter Kamera in Verbindung mit einer App für Echtzeitsupport entwickelt. Damit kann sich der Werkstattmitarbeiter mit Experten im technischen Callcenter austauschen.
Auch das neue Werkstatt-Support-System von WOW! Würth Online World basiert auf der erweiterten Realität. Werkstatt-Techniker können ihre Problembeschreibungen und Lösungsversuche live per Kamera an die Experten des WOW!-Serviceteams übertragen und erhalten live Hilfestellungen. Das Lösungsbild wird virtuell über das Problembild in der Live-Werkstattsituation gelegt.
Das Unternehmen HaynesPro, das sich auf technische Daten für den europäischen Automobil-Aftermarket spezialisiert, hat eine App der erweiterten Realität entwickelt. Sie zeigt die Fahrzeugidentifizierung, wenn man die Kamera auf eine Markierung richtet, zum Beispiel ein Kennzeichen. Danach werden die Daten von HaynesPro mit dem jeweiligen Fahrzeug abgeglichen und Rückrufdaten, technische Wartungsmitteilungen oder allgemeine Helpdesk-Lösungen angezeigt.
Training mit erweiterter Realität
Die Digitalisierung des Handwerks verändert nicht nur die Arbeitsweise, sondern auch die Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung. Interaktives Lernen macht es möglich, die Inhalte flexibel zu gestalten. So gibt es Entwicklungen von virtuellen Simulatoren für verschiedene Berufe, zum Beispiel eine virtuelle Spritzpistole für Maler und Lackierer.
Bosch wurde für den Einsatz von Augmented Reality bei technischen Trainings auf der Automechanika 2018 mit dem Innovation Award in der Kategorie Alternative Drive Systems & Digital Solutions ausgezeichnet. Die Teilnehmer der Bosch-Trainings richten die Kamera ihres Tablet-Computers auf ein Fahrzeugbauteil oder blicken durch eine Datenbrille darauf. Ins reale Bild bekommen sie zusätzliche Erläuterungen, 3D-Objekte oder Videos eingeblendet. Durch AR-Anwendungen können unterschiedliche Trainings-Szenarien realisieren werden, da der Trainer die Endgeräte der Teilnehmer steuern und entscheiden kann, welchen Fall diese auf ihren Geräten sehen.
Digitalisierung des Handwerks
Die Digitalisierung verspricht mehr Effizienz, Zeitersparnis und Erhöhung der Kundenzufriedenheit.
Die digitale Welt eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, um schneller und genauer Fahrzeuge instand zu
setzen und Fehler zu finden, doch entscheidend bleiben die Menschen, die an den Geräten stehen oder durch die Datenbrille schauen. Unternehmer werden in den nächsten Jahren weiterhin gefordert sein, Spezialisten zu finden, die dem zukünftigen Berufsbild entsprechen.