future mobility: Herr Professor Visser, wird es die klassischen Autohändler 2030 noch geben?

Alain Visser: Ich glaube, die Autohändler wird es noch sehr lang geben, allerdings wird es auch Alternativen und Varianten geben. Aber: Es wird sehr viel weniger Händler geben und nur die besseren, die gute Dienstleistungen bringen, werden überleben.   

Wie müssen die Händler also ihr Geschäftsmodell verändern?

Sie müssen mehr als Dienstleister und nicht als reine Verkaufsstelle auftreten. Die Kundenbedürfnisse haben sich heutzutage verändert und sind gestiegen, das Businessmodell in der Autoindustrie hingegen ist seit Jahrzehnten gleich geblieben. Absolute Kundenzufriedenheit steht heute an oberster Stelle und dazu wird in Zukunft mehr gehören, als einfach ein Auto anzubieten, es auszuliefern und zu reparieren.   

Konkretisieren Sie das bitte …

Der Druck der Hersteller auf die Händler ist sehr groß, viele machen den Fehler, die Händler mit großen Investitionen in Verkaufsräume unter Druck zu setzen. Das macht wenig Sinn. Es geht nicht darum, Paläste zu bauen, sondern besser in guten Service zu investieren. 

Das klingt nach einer expliziten Aufforderung an die Hersteller …

Ja. Denn es kann passieren, dass die Händler aufgrund dieses Investitionsdrucks in „Hardware“ nicht mehr entsprechende Software finanzieren können und eine Verbesserung der Dienstleistungen somit schwieriger wird. Weiters kann dieser Palastbau kontraproduktiv wirken, weil der Kunde das – durchaus richtige – Gefühl bekommt, dass er für all das auch bezahlt … 

Was verlangen und erwarten denn die Kunden von heute?

Totale Transparenz, Ehrlichkeit und Mobilität. Wenn wir die Trends bei den Millennials (Anmerkung: auch Generation Y genannt; die Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis frühen 2000er-Jahre geboren ist) weltweit betrachten, dann wollen die gute Marken, eine Superqualität und sie wollen es einfach haben. Aufs Auto bezogen: Die Kunden sind durchaus bereit, etwa 500 Euro pro Monat für Mobilität, zum Beispiel für Taxi, Uber et cetera auszugeben. Aber sie sind nicht bereit, 20.000 Euro für ein Auto zu bezahlen. Und wenn man ihnen sagt: Okay, wir geben euch das Auto für 400 Euro pro Monat, bis es abgezahlt ist, machen die das dennoch nicht. Die Leute leben von Tag zu Tag. Sie wissen, was sie dieses Monat machen, aber nicht, was nächstes Monat ist. Zusammengefasst: Sie wollen Mobilität, Dienstleitung und lieben coole Marken, aber sie wollen nicht unbedingt das beste Auto kaufen. 

Österreich tickt oft ein wenig anders, trifft das also auf Österreicher auch zu? 

Österreich ist sehr speziell, was die Geografie betrifft, ähnlich wie die Schweiz. Es gibt hier sehr viele lange Wege für sehr kurze Abstände. Weniger Großstädte und Urbanisierung – auch wenn Wien nicht klein ist und dort diese Trends schon zu bemerken sind – und mehr ländlicher Raum. 

Hat der klassische Autohändler am Land also noch mehr Überlebenschancen?

Am Land sind die Mobilitätsbedürfnisse anders. Dort gibt es weder Parkplatz- noch Stauproblem, auch keine so extreme Bevölkerungsballung. Dort hat der Kunde noch mehr persönlichen Kontakt zum Händler, daher wird das traditionelle Geschäftsmodell länger funktionieren als in einer Großstadt. Und die Grundstückspreise sind ebenfalls niedriger, weshalb das traditionelle Modell einfacher zu finanzieren ist. 

Kommen wir zu Lynk&Co. Sie setzen auf „Mobilität abonnieren, statt Auto kaufen“. Erklären Sie uns das bitte kurz …

Ich sag immer: Wir sind das Netflix und Spotify der Automobilindustrie. Sie kaufen ja auch keine DVD oder CD, sondern Unterhaltung. Bei uns kaufen Sie kein Auto, sondern Mobilität. Für mindestens einen Monat, nach oben hin gibt es kein Limit, sind Sie Mitglied bei Lynk&Co und haben ein Fahrzeug inklusive aller Dienstleistungen und Services zur Verfügung. Das Auto wird gebracht beziehungsweise abgeholt – ein sehr einfaches und transparentes Konzept. 

2017 sind Sie mit diesem Abo-Modell in China gestartet. Wie sind Sie zufrieden? 

Sehr. Die Marke ist beliebt und trendy. Unser sehr ambitioniertes Ziel von 100.000 Verträgen werden wir wahrscheinlich übertreffen, wir rechnen bis Ende des Jahres mit etwa 130.000. Für eine Marke, die neu gestartet ist, gerade mal das dritte Auto ausgeliefert hat … das ist schon außergewöhnlich. Wenn wir mehr Autos gehabt hätten, hätten wir vielleicht noch mehr Verträge abgeschlossen, aber die Wartezeiten sind relativ lang und wir sind schlicht und einfach ausverkauft.   

2019 wollten Sie in Europa starten, derzeit wird 2020 kolportiert. Bleibt’s dabei? 

Wir planen einige Produktänderungen, die dann auch in China umgesetzt werden, und wollten nicht mit einem Auto starten, wenn es nach zwei, drei Monaten schon wieder eine Änderung gibt. Deswegen beginnen wir ein bisschen später, bereits mit dem upgedateten Produkt, und das wird Anfang 2020 sein. 

Läuft das Businessmodell in Europa genauso ab wie in China?

In China verkaufen wir online und klassisch über den Autohändler, in Europa werden wir unsere eigenen Brand- und Pop-up-Stores betreiben, wo man die Autos sehen und angreifen kann, und online sein. In jedem Land wird es einen Brandstore geben, die Pop-up-Stores werden durch Europa touren und etwa 700 Stops pro Jahr absolvieren. Services und Wartung sind über die Volvo-Niederlassungen geplant. Die Autos sind Hybrid- oder Plug-in-Hybridfahrzeuge, zu Beginn wird der 01 zu abonnieren sein. Innerhalb der Eurozone wird es überall den gleichen Preis geben, ohne Preisnachlass oder Preisdiskussion. 

Lynk&Co positioniert sich als „Premiummarke für jeden“ . Was wird denn ein 01-Abo kosten?

Wir können derzeit noch keine Preise kommunizieren. 

Was gehört alles zum Abo?

Die Autos sind alle voll ausgestattet, es gibt sechs bis acht Varianten und man kann zwischen Farbe und Hybrid oder Plug-in-Hybrid wählen. Ähnlich wie beim iPhone, bei dem man sich zwischen Schwarz, Gold und Silber und 64 oder 132 GB entscheidet. Service und Wartung, Versicherung, Pannenhilfe sind komplett inkludiert. Sehr wichtig für den Kunden zu wissen, denn wir verkaufen nicht ein Auto, um danach mit einer Dienstleistung daran Geld zu verdienen, sondern wir haben unseren monatlichen Betrag, unabhängig davon, wie oft das Auto serviciert wird. Bei einer Reparatur wird das Auto abgeholt, wir bringen ein anderes mit, das Auto wird repariert und wieder zurückgebracht. Das heißt, dass die Logistik bei uns sehr wichtig ist. Und dann wird es auch noch einige weitere Dienstleistungen geben, die wir noch nicht kommunizieren können. Das werden ein paar interessante Goodies sein, denn wir wollen uns mehr als Lifestyledienstleistungsmarke denn als Automarke profilieren. 

Und was, wenn sich jemand in „sein“ Auto verliebt und es behalten will? 

Wenn der Kunde es unbedingt will, kann er das tun, auch wenn er ein komplett Neues haben will. Aber das werden wir nicht kommunizieren. 

„Sharing“ ist ein weiteres Stichwort, heute kann man vieles teilen, auch den 01. Was bringt das und wie funktioniert’s? 

Unser Auto ist das einzige, das serienmäßig einen Share-Button hat. Das heißt, der Kunde kann entscheiden, wenn er beispielsweise 500 Euro pro Monat zahlt und eine Woche davon verreist, sein Auto in dieser Zeit zum Sharing zur Verfügung zu stellen und dadurch Geld zu sparen, angenommen 30 Euro pro Tag, dann kostet ihn das Abo diesen Monat entsprechend weniger. Wichtig: Der Kunde entscheidet, ob er sein Auto zur Verfügung stellen will oder nicht. 

Auch andere Hersteller bieten Auto-Abos an, was machen Sie anders?

Stimmt, seit wir unser Businessmodell 2016 kommuniziert haben, sind es mittlerweile neun Hersteller, die eine Art Abo anbieten. Allerdings glauben wir, dass dieses Wort falsch benützt wird, weil es eigentlich Leasingmodelle sind, die angeboten werden. Also über einen längeren Zeitraum hinweg, bei uns muss sich der Kunde nur 1 Monat binden. Und: Wir haben auch wirklich ein eigenes Produkt, ein eigenes Auto im Gegensatz zu jenen Unternehmen, die wie Rent-a-Car-Companies Autos vermieten. Wir liegen eigentlich zwischendrin. 

Abschließend: Welche Chancen stecken in dieser „Neuordnung des Mobilitätsmarktes“?

Unser Ziel ist – und das ist der fundamentale Unterschied zu anderen Mobilitätsdienstleistern oder Herstellern –, nicht so viele Autos wie möglich auf die Straße zu bringen, sondern diese Autos so viel wie möglich zu benützen. Das heißt, wir gehen davon aus, dass wir zukünftig weniger Autos brauchen und diese besser genutzt werden.    

Link: www.lynkco.com