Kfz-Händler waren in der Frühzeit der Mobilität selbstständige Kaufleute. Autos waren teuer und reparaturanfällig. Bis in die Sechzigerjahre war die Autoindustrie daher daran interessiert, mit tüchtigen Mechanikern ein funktionierendes Werkstättennetz auf die Beine zu stellen. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Autos aber immer besser. Die Kfz-Technik verlor an Bedeutung. In den Konzernzentralen übernahmen Kaufleute und Marketingstrategen das Ruder. Unabhängige nationale Importorganisationen wurden durch Konzerntöchter ersetzt. Die nahmen ihre Vertriebspartner immer stärker an die Kandare.

Die Markenbetriebe hatten sich zu Autohäusern gemausert. Sie wurden straff in die vertikalen Kartelle der Autoproduzenten eingegliedert. Mit der ursprünglichen Vertragsfreiheit ging es kontinuierlich bergab. Bereits 1985 wurde den Herstellern das Recht eingeräumt, auf Markenexklusivität zu bestehen -die Händler mussten daher auf denVertrieb mehrerer Marken verzichten. So wurden sie immer stärker von dieser Marke abhängig. Die Händlerverträge mutierten inhaltlich zu Franchiseverträgen. Die Produzenten waren schon deshalb in einer viel stärkeren Verhandlungsposition als ihre Vertriebspartner, da sie Händlern kündigen konnten. Auf nationaler Ebene hat der Oberste Gerichtshof das bereits 1989 berücksichtigt. Den Durchbruch brachte das sogenannte Honda-Urteil (2Ob 692/89). In diesem kam der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung, dass einem schuldlos gekündigten Autohändler vom Importeur ein Ausgleich zu zahlen ist.Begründet wurde dies damit, dass der Vertragshändler im Grunde wie ein Handelsvertreter in die Vertriebsorganisation des Herstellers eingegliedert ist. Deshalb sind auf diese Zusammenarbeit in rechtlicher Analogie die Schutzbestimmungen des aus dem Jahr 1921 stammenden Handelsvertreterrechtes anzuwenden.

Auch auf EU-Ebene erkannten die Politiker, dass die rechtliche Knebelung des Autohandels den freien Wettbewerb behindert. 1995 wurde eine Gruppenfreistellungsverordnung (GVO 1475/95) erlassen, die den Händlern den Mehrmarkenvertrieb gestattete. Was sich in der Realität aber kaum durchsetzte, da die Hersteller von Händlern verlangen konnten, Verkaufsräume zweier Marken räumlich und personell zu trennen. Überdies wurde den Herstellern weiterhin erlaubt, selektiv ausgewählten Händlern exklusive Verkaufsgebiete zuzuteilen. Ohne Markenvertrag hatten Händler keine Chance auf Belieferung. Diese Vertriebsstrategie wurde und wird von der gesamten Autoindustrie praktiziert und durch Verbote von Fahrzeugverkäufen an Händler außerhalb des eigenen Vertriebsnetzes durchgesetzt. Im Ergebnis führte die GVO 1995 jedoch zu keiner wesentlichen Einschränkung der Marktmacht der Hersteller oder zu einer größeren unternehmerischen Freiheit der Händler.

Einen beachtlichen Fortschritt brachte erst die GVO 1400/2002 mit ihrer Zielsetzung der Einschränkung der Marktmacht der Hersteller. Die Koppelung von Werkstätten-und Handelsgeschäft wurde ihnen untersagt, ebenso die Koppelung eines exklusiven mit einem selektiven Vertriebssystem. Jeder Markenhändler konnte somit seine Ware in ganz Europa ein-und verkaufen. Im Fall der Zuteilung exklusiver Verkaufsgebiete wurde es den Händlern erlaubt, ihre Autos auch an freie Händler zu liefern. Die Rechte und Möglichkeiten der freien Werkstätten wurden gestärkt, der Abschluss von Werkstättenverträgen durfte nur noch durch qualitative Kriterien beschränkt werden. Der Mehrmarkenvertrieb wurde von allen Beschränkungen befreit. Die Möglichkeiten der Vertragskündigung wurden eingeschränkt und die Kündigungsfrist auf zwei Jahre verlängert.

In Brüssel gab es mit dem Ausscheiden von Mario Monti als Wettbewerbskommissar einen Paradigmenwechsel. Seine Nachfolgerin Neelie Kroes erachtete die im europäischen Wettbewerbsrecht verankerten Händlerschutzbestimmungen als überflüssig. Die Industrielobby bekam dank ihrer Hilfe Rückenwind. Die bisherige Kfz-GVO 2002 wurde durch die völlig zahnlose GVO 461/2010 ersetzt. Die Bemühungen des europäischen Händlerverbandes CECRA, die EU-Handelsvertreter-Richtlinie auch auf die Kfz-Händlerverträge auszuweiten, um so den bisherigen Händlerschutz der GVO europaweit zivilrechtlich zu verankern,scheiterten.

Aufösterreichischer Ebene waren derartige Bemühungen erfolgreicher. Im Zuge einer Neufassung des Handelsgesetzbuches wurden die Hersteller verpflichtet, dem gekündigten Händler seine frustrierten Investitionen zu ersetzen. Einen weiteren Erfolg konnten die Branchenvertreter 2013 mit dem Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz (KraSchG) verbuchen. Mit ihm wurden einige der nicht mehr existenten EU-Händlerschutzregelungen der GVO 2002 nunmehr auf nationaler Ebene im österreichischen Zivilrecht verankert.

Auf EU-Ebene musste die Autoindustrie bisher aufpassen, mit ihren vertikalen Vertriebsbindungen bei der Abfassung ihrer Händlerverträge und deren Handhabung nicht gegen Artikel 101 des EU-Vertrages und dem dort verankerten Kartellverbot zu verstoßen. Mit der Kfz-GVO 2002 und den zugehörigen Erläuterungen war genau festgelegt, welche Klauseln vom Kartellverbot freigestellt sind. Seit deren Ende zeigt die Entwicklung der Händlerverträge, dass die Bindung der Kfz-Händler immer weiter voranschreitet. Der Händlerschutz zum Schutz des Wettbewerbs ist gestorben -Artikel 101 ist faktisch tot.

Geblieben ist nur noch Artikel 102 AEUV mit dem darin verankerten Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat auf Anregung des Bundesgremiums nunmehr die Angemessenheit vertraglicher Regelungen bei der Ausgestaltung der Händlerverträge analysiert. Sie hat aufgezeigt, welche Verhaltensweisen der Hersteller/Importeure als missbräuchlich einzustufen wären. Etwa die Möglichkeit zur willkürlichen Festsetzung von Zielwerten oder die Verwendung dynamischer Zielwerte, die sich nicht an der objektiven Erreichung fixer Zielgrößen orientieren; oder die Abfrage der Kundenzufriedenheit unter Verwendung unüblicher Bewertungsschemata; oder eine fehlende Transparenz und Rückmeldung über dasZustandekommen jener Ergebnisse, die bei der Bonifizierung von Relevanz sind.

In den kommenden Jahren wird es an den Händlern und ihren Verbänden liegen, die Spielregeln der Hersteller an diesen BWB-Beurteilungskriterien zu messen, um allfällige Missstände durch das Kartellgericht überprüfen zu lassen. Vielleicht kann Artikel 102 auf diese Weise helfen, den Wegfall der Händlerschutzbestimmungen der GVO wirkungsvoll zu kompensieren.