Vor etwas mehr als 30 Jahren wurde den Herstellern die
Markenexklusivität ermöglicht. Ein Rückblick auf Vertriebsgesetze,
Händlerverträge und die GVO.
Kfz-Händler waren in der Frühzeit der Mobilität selbstständige
Kaufleute. Autos waren teuer und reparaturanfällig. Bis in die
Sechzigerjahre war die Autoindustrie daher daran interessiert, mit
tüchtigen Mechanikern ein funktionierendes Werkstättennetz auf die
Beine zu stellen. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Autos aber immer
besser. Die Kfz-Technik verlor an Bedeutung. In den Konzernzentralen
übernahmen Kaufleute und Marketingstrategen das Ruder. Unabhängige
nationale Importorganisationen wurden durch Konzerntöchter ersetzt.
Die nahmen ihre Vertriebspartner immer stärker an die Kandare.
Die Markenbetriebe hatten sich zu Autohäusern gemausert. Sie wurden
straff in die vertikalen Kartelle der Autoproduzenten eingegliedert.
Mit der ursprünglichen Vertragsfreiheit ging es kontinuierlich
bergab. Bereits 1985 wurde den Herstellern das Recht eingeräumt, auf
Markenexklusivität zu bestehen -die Händler mussten daher auf denVertrieb mehrerer Marken verzichten. So wurden sie immer stärker von
dieser Marke abhängig. Die Händlerverträge mutierten inhaltlich zu
Franchiseverträgen. Die Produzenten waren schon deshalb in einer viel
stärkeren Verhandlungsposition als ihre Vertriebspartner, da sie
Händlern kündigen konnten. Auf nationaler Ebene hat der Oberste
Gerichtshof das bereits 1989 berücksichtigt. Den Durchbruch brachte
das sogenannte Honda-Urteil (2Ob 692/89). In diesem kam der Oberste
Gerichtshof zur Entscheidung, dass einem schuldlos gekündigten
Autohändler vom Importeur ein Ausgleich zu zahlen ist.Begründet
wurde dies damit, dass der Vertragshändler im Grunde wie ein
Handelsvertreter in die Vertriebsorganisation des Herstellers
eingegliedert ist. Deshalb sind auf diese Zusammenarbeit in
rechtlicher Analogie die Schutzbestimmungen des aus dem Jahr 1921
stammenden Handelsvertreterrechtes anzuwenden.
Auch auf EU-Ebene erkannten die Politiker, dass die rechtliche
Knebelung des Autohandels den freien Wettbewerb behindert. 1995 wurde
eine Gruppenfreistellungsverordnung (GVO 1475/95) erlassen, die den
Händlern den Mehrmarkenvertrieb gestattete. Was sich in der Realität
aber kaum durchsetzte, da die Hersteller von Händlern verlangen
konnten, Verkaufsräume zweier Marken räumlich und personell zu
trennen. Überdies wurde den Herstellern weiterhin erlaubt, selektiv
ausgewählten Händlern exklusive Verkaufsgebiete zuzuteilen. Ohne
Markenvertrag hatten Händler keine Chance auf Belieferung. Diese
Vertriebsstrategie wurde und wird von der gesamten Autoindustrie
praktiziert und durch Verbote von Fahrzeugverkäufen an Händler
außerhalb des eigenen Vertriebsnetzes durchgesetzt. Im Ergebnis
führte die GVO 1995 jedoch zu keiner wesentlichen Einschränkung der
Marktmacht der Hersteller oder zu einer größeren unternehmerischen
Freiheit der Händler.
Einen beachtlichen Fortschritt brachte erst die GVO 1400/2002 mit
ihrer Zielsetzung der Einschränkung der Marktmacht der Hersteller.
Die Koppelung von Werkstätten-und Handelsgeschäft wurde ihnen
untersagt, ebenso die Koppelung eines exklusiven mit einem selektiven
Vertriebssystem. Jeder Markenhändler konnte somit seine Ware in ganz
Europa ein-und verkaufen. Im Fall der Zuteilung exklusiver
Verkaufsgebiete wurde es den Händlern erlaubt, ihre Autos auch an
freie Händler zu liefern. Die Rechte und Möglichkeiten der freien
Werkstätten wurden gestärkt, der Abschluss von Werkstättenverträgen
durfte nur noch durch qualitative Kriterien beschränkt werden. Der
Mehrmarkenvertrieb wurde von allen Beschränkungen befreit. Die
Möglichkeiten der Vertragskündigung wurden eingeschränkt und die
Kündigungsfrist auf zwei Jahre verlängert.
In Brüssel gab es mit dem Ausscheiden von Mario Monti als
Wettbewerbskommissar einen Paradigmenwechsel. Seine Nachfolgerin
Neelie Kroes erachtete die im europäischen Wettbewerbsrecht
verankerten Händlerschutzbestimmungen als überflüssig. Die
Industrielobby bekam dank ihrer Hilfe Rückenwind. Die bisherige
Kfz-GVO 2002 wurde durch die völlig zahnlose GVO 461/2010 ersetzt.
Die Bemühungen des europäischen Händlerverbandes CECRA, die
EU-Handelsvertreter-Richtlinie auch auf die Kfz-Händlerverträge
auszuweiten, um so den bisherigen Händlerschutz der GVO europaweit
zivilrechtlich zu verankern,scheiterten.
Aufösterreichischer Ebene waren derartige Bemühungen erfolgreicher.
Im Zuge einer Neufassung des Handelsgesetzbuches wurden die
Hersteller verpflichtet, dem gekündigten Händler seine frustrierten
Investitionen zu ersetzen. Einen weiteren Erfolg konnten die
Branchenvertreter 2013 mit dem Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz
(KraSchG) verbuchen. Mit ihm wurden einige der nicht mehr existenten
EU-Händlerschutzregelungen der GVO 2002 nunmehr auf nationaler Ebene
im österreichischen Zivilrecht verankert.
Auf EU-Ebene musste die Autoindustrie bisher aufpassen, mit ihren
vertikalen Vertriebsbindungen bei der Abfassung ihrer Händlerverträge
und deren Handhabung nicht gegen Artikel 101 des EU-Vertrages und dem
dort verankerten Kartellverbot zu verstoßen. Mit der Kfz-GVO 2002 und
den zugehörigen Erläuterungen war genau festgelegt, welche Klauseln
vom Kartellverbot freigestellt sind. Seit deren Ende zeigt die
Entwicklung der Händlerverträge, dass die Bindung der Kfz-Händler
immer weiter voranschreitet. Der Händlerschutz zum Schutz des
Wettbewerbs ist gestorben -Artikel 101 ist faktisch tot.
Geblieben ist nur noch Artikel 102 AEUV mit dem darin verankerten
Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Die
Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat auf Anregung des Bundesgremiums
nunmehr die Angemessenheit vertraglicher Regelungen bei der
Ausgestaltung der Händlerverträge analysiert. Sie hat aufgezeigt,
welche Verhaltensweisen der Hersteller/Importeure als missbräuchlich
einzustufen wären. Etwa die Möglichkeit zur willkürlichen Festsetzung
von Zielwerten oder die Verwendung dynamischer Zielwerte, die sich
nicht an der objektiven Erreichung fixer Zielgrößen orientieren; oder
die Abfrage der Kundenzufriedenheit unter Verwendung unüblicher
Bewertungsschemata; oder eine fehlende Transparenz und Rückmeldung
über dasZustandekommen jener Ergebnisse, die bei der Bonifizierung
von Relevanz sind.
In den kommenden Jahren wird es an den Händlern und ihren Verbänden
liegen, die Spielregeln der Hersteller an diesen
BWB-Beurteilungskriterien zu messen, um allfällige Missstände durch
das Kartellgericht überprüfen zu lassen. Vielleicht kann Artikel 102
auf diese Weise helfen, den Wegfall der Händlerschutzbestimmungen der
GVO wirkungsvoll zu kompensieren.