Wie sindÖsterreichs Familien mobil? Wofür brauchen sie ein eigenes
Auto? Lesen Sie in unserer großen Reportage, wie junge Familien am
Land (Michelle&Xaver, l.) und in der Stadt (Viola&Florian, r.) ihre
Alltagswege zurücklegen.
Wären Xaver und Michelle mit ihre kleinen Tochter Aileen und dem
Gepäck tatsächlich via Bus nach Wiener Neustadt und von dort per Bahn
auf Urlaub gefahren, hätten sie an diesem Freitag um 15:15 Uhr Pech
gehabt. An jedem anderen Freitag übrigens auch. Denn von ihrer rund
2.900 Einwohner zählenden Heimatgemeinde Kirchschlag fährt nur vier
Mal am Tag der Postbus in die zweitgrößte Stadt Niederösterreichs,
der letzte um 14:33 Uhr. Wochentags, wohlgemerkt. Samstags und
sonntags gibt es nur ein Mal die Möglichkeit, sowohl hin als auch
retour.
Für die junge Familie nicht weiter schwierig. Zum einen war die
Situation nur inszeniert, zum anderen wissen die beiden um den dünn
gesäten Fahrplan bestens Bescheid, für den Fall, dass sie doch einmal
den Bus benutzen wollen.
Das kommt jedoch kaum vor, im Haushalt gibt es zwei Autos, mit denen
Einkäufe, Urlaube, Verwandtschaftsbesuche und auch die Fahrt ins Büro
absolviert werden. Ausgenommen kurze Strecken, die Xaver und Michelle
je nach Saison zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigen, bewältigen die
beiden 80 Prozent aller Wege per Pkw.
Nicht wirklich verwunderlich, denn um beim Busbeispiel zu bleiben:
Dieöffentliche Fahrt nach Wiener Neustadt dauert eineinhalb Stunden.
Mit dem Auto sind es 25 Minuten. Und müsste Marketingleiter Xaver die
Fahrt ins Büro, das im 120 Kilometer entfernten Klosterneuburg liegt,
mit Bus und Bahn absolvieren, wäre er auf einer Strecke statt einer
Stunde 30 Minuten saftige drei Stunden unterwegs, das wären insgesamt
sechs Stunden pro Tag, fünf Mal die Woche reine Fahrtzeit in den Job
Im Minutentakt
Zwischen 7 und 19 Uhr fährt der 13A im Vier-bis Fünfminutentakt von
der Haltestelle Laudongasse in Wien weg. Von 20 Uhr bis Mitternacht
kommt er alle 10 Minuten, in der Früh geht"s zwischen 5:00 und 7:00
Uhr im Sieben-bis Zehn-Minuten-Rhythmus dahin. Die Busstation liegt
23 Meter oder umgerechnet etwa 46 Schritte von Florians und Violas
Haustor entfernt. Die jungen Eltern des zweieinhalbjährigen Sebastian
und zehn Monate alten Maximilian erledigen etwa 90 Prozent ihrer Wege
zu Fuß und mit dem Bus. Oder mit Bim oder U-Bahn, deren
Einstiegsstellen ebenfalls ums Eck liegen.
Ein Familienauto gibt"s auch, allerdings ist dies (fast immer) weiter
entfernt geparkt als die Haltestelle und wird aus genau diesem Grund
-mangelhaft bis gar nicht vorhandener freier Autostellplatz -maximal
für einen Ausflug ins Grüne oder einen Schwimmbadbesuch herangezogen.
Das sei öffentlich ein wenig mühsam, schildern die Eltern, mit
Kindern und Kinderwagen und Badesachen, und auch in einem Taxi wegen
fehlender geeigneter Kindersitze ziemlich umständlich. De facto
"kommen wir aber aus unserem Grätzel hier kaum raus", schildert der
Architekt, "wir haben inklusive Spielplatz und Park alles vor der
Haustür, der Großteil unserer Freunde lebt hier und die Familie ist
in Vorarlberg und wird daher auch nicht jedes Wochenende besucht."
Stadt-Land-Gefälle
Michelle und Xaver und Viola und Florian repräsentieren geradezu
perfekt die Lebensweise und das Mobilititätsverhalten der rund 2,42 »
Millionen Familien, die 2016 in Österreich in Privathaushalten gelebt
haben und zu jeweils der Hälfte laut Statistik Austria in der Stadt
beziehungsweise auf dem Land zu Hause sind: Die urbane Familie istaufgrund eines flächendeckenden Netzes an öffentlichen
Verkehrsmitteln so gut wie gar nicht auf ein eigenes Auto angewiesen.
Abgesehen davon verleiden Stau und 30er-Zonen einem das Autofahren in
der City ohnehin.
Und wenn man dann das Vehikel doch einmal auspackt, muss man - so
nicht ein bezahlter Garagenplatz vorhanden ist -oft viel früher als
gewollt vom Ausflug oder Besuch wieder heimkehren, um einen halbwegs
naheliegenden Parkplatz zu finden.
Auch den Weg in den Job legen Menschen, die in der Stadt wohnen, ausähnlichen verkehrsund parkplatzbedingten Gründen immer seltener mit
dem Privat-Pkw zurück. Wer öffentlich unterwegs ist, spart nicht nur
Nerven, sondern meist auch Zeit und Geld. Ein eigenes Auto ist teuer
-um die Anschaffungs-und Erhaltungskosten lassen sich einige
Fahrscheine und Taxifahrten bezahlen.
Lieber Smartphone als Schlitten Der urbane Trend "Weg vom eigenen
Auto" lässt sich auch an der Führerscheinprüfungsstatistik ablesen.
Seit 2011 sinkt die Anzahl der jährlich ausgestellten Führerscheine:
91.774 abgelegten Lenkerberechtigungen aus dem Jahr 2011 stehen
57.790 aus dem Jahr 2016 gegenüber. Tendenz weiter fallend. Früher
wurde das erste verdiente Geld ins Auto investiert, heute fließt es
ins neueste Smartphone. In Österreich hat sich dieser Trend erst in
den letzten Jahren durchgesetzt, im Ausland wird das Phänomen schon
seit einigen Jahren beobachtet. Aufgefallen ist die Entwicklung
erstmals 2008 in Japan. In den USA und Deutschland war der Rückgang
bei den jungen Führerscheininteressenten erstmals vor vier Jahren ein
Thema.
In einer US-Studie gaben Jugendliche bereits 2012 in folgender
Reihenfolge an, worauf sie am wenigsten verzichten können: Computer
(35 Prozent), Mobiltelefon (30 Prozent), Auto (28 Prozent). Eine in
diesem Zusammenhang interessante Statistik gibt es auch von der
Cambridge University. Dort werden die Neuankömmlinge jedes Jahr
gefragt, was die wichtigsten Dinge seien, die sie in den nächsten 24
Monaten erreichen oder kaufen wollten. Bis 2011 war das Auto dabei
immer auf Platz 1 oder 2 -seit 2012 ist es nicht einmal mehr unter
den Top Ten!
Die Statistik Austria bezeugt ebenfalls: Die meisten Haushalte, und
zwar 42 Prozent, kommen in Wien ohne eigenes Auto aus -die wenigsten
dagegen, nur 12 Prozent, in Oberösterreich.
Viel Geld fürs Auto
Dies schlägt sich auch im Konsumverhalten nieder. Die jüngste
Erhebung der Statistik Austria (2014/2015) hinsichtlich der Ausgaben
der privaten Haushalte, die alle fünf Jahre ermittelt werden,
bestätigt: Österreichweit entfallen 26,1 Prozent der
Pro-Kopf-Ausgaben auf "Wohnen und Energie", bereits an zweiter Stelle
mit 14,2 Prozent folgt "Verkehr". Die Ausgaben sind im
Stadt-Land-Vergleich gesamt betrachtet etwa gleich hoch -mit einigen
Ausnahmen, besonders im Bereich Verkehr. In ländlichen Gemeinden
werden für Anschaffung, Erhalt und Versicherung der Fahrzeuge
monatlich 545 Euro ausgegeben, in Wien dagegen nur 270 Euro. Bei den
Kosten für den öffentlichen Verkehr ist es genau umgekehrt: Monatlich
15 Euro auf dem Land stehen 41 Euro in Wien gegenüber.
Jedem seine Lebensqualität
Für Xaver und Michelle, die bis kurz vor der Geburt der kleinen
Aileen im Großraum Wien gewohnt haben, um die Wege in die Jobs so
kurz wie möglich zu halten, war die Nähe zu den Großeltern und der
deutlich günstigere (und mit Kind größer benötigte) Wohnraum
ausschlaggebend für den Umzug aufs Land. Dass für
Freizeitvergnügungen Theater, Kino und Restaurants, früher sozusagen
vor der Haustür, nun jedes Mal eine kleine Reise unternommen werden
muss und sich Xavers Weg in die Arbeit deutlich verlängert hat, haben
die beiden in Kauf genommen. Unterm Strich machte für die beiden die
höhere Lebensqualität mitten im bewaldeten Hügelland das Rennen.
Florian und Viola wiederum, beide aus Studienund im Anschluss
Berufsgründen vor etlichen Jahren in die Großstadt gezogen, schätzen
am Stadtleben die generell kurzen Wege, egal wohin. Sämtliche
Geschäfte sind, wie eingangs erwähnt, in wenigen Gehminuten
erreichbar, sogar den Weg ins Büro absolviert Florian zu Fuß. Für
acht Minuten per pedes ist wirklich wederÖffi noch Töffi notwendig.
Dennoch haben sich die beiden ab dem ersten Kind für ein eigenes Auto
entschieden, da -wie ebenfalls zu Beginn bereits angesprochen -einige
Ziele mit Kind ganz ohne eigenes Fahrzeug beziehungsweise
vorgeschriebenen Kindersitz nur sehr beschwerlich zu absolvieren
wären.
Gut für die Autoindustrie -aber auch gut und anregend für Politik und
bestehende beziehungsweise zukünftige Mobilitätsanbieter, sich
dahingehend einiges einfallen zu lassen. Angefangen von passenden und
geeigneten Kindersitzen in Taxis, Tool-und Share-Cars, mehr Toleranz
und Familienfreundlichkeit inden öffentlichen Verkehrsmitteln
(Stellen Sie sich eine Straßenbahnfahrt von drei zweifachen Müttern,
jede mit einem Kinderwagen vor!) und Lösungen für "die letzte Meile"
- immerhin wohnt nicht jede Wiener Familie so wie Viola und Florian
in einem belebten Grätzel.
Mobilität morgen
Fakt ist: Mobil sein wollen wir alle, ob als Single oder Familie.
Angesichts enden werdender fossiler Ressourcen und im Sinne
klimaschonender Fortbewegungsarten gilt es, die bestehenden
Mobilitätsvarianten zu überarbeiten und neue Lösungen zu finden, die
im Einklang der Interessen von Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft
stehen.
Wer sich dafür interessiert, wie viele und welche Ideen
beziehungsweise bereits bestehende Modelle es bereits gibt, kann sich
auf der Seite mobilotse.at einen guten Eindruck verschaffen. Die
Plattform bietet einen Überblick über verfügbare Apps und
Web-Anwendungen für Mobilitätsdienste in Österreich -sowohl solcher,
die bereits am Markt verfügbar sind als auch gerade in Entwicklung
befindliche neue Dienste, jeweils mit kurzen Beschreibungen,
Kommentaren und Bewertungen. - Schauen Sie einmal hinein!
120 km beträgt die Distanz zwischen Haus und Büro, die Xaver zwei Mal
täglich fährt.
664 m misst die Strecke zwischen Florians Wohnung und seinem
Arbeitsplatz.
48 % der Gesamtfläche Österreichs sind mit Wald bedeckt, das sind
etwa 4 Mio. Hektar.
50 % der Fläche Wiens sind Grünflächen -nicht gleichmäßig verteilt
und nicht immer öffentlich zugänglich.
0€ kostet Parken in und rund um Kirchschlag. Mit wenigen Ausnahmen
wie beispielsweise vor dem Kaufhaus existieren nicht mal
Kurzparkzonen.
1,05€ kostet eine halbe Stunde Parken in den Kurzparkzonen in Wien.
Für Bewohner mit Parkpickerl ist es, mit Ausnahme von
Geschäftsstraßen, gratis (dort sind 1,5 Stunden gratis)
1.328 Haushalte gibt es in Kirchschlag in der Buckligen Welt auf
einer Fläche von 57,97 km².
856 Spielplätze mit insgesamt 657.277 Quadratmetern gibt es in Wien.