Der legendäre "Elchtest" sorgte vor 20 Jahren für eine
Sicherheits-Revolution in der Pkw-Kompaktklasse.
Im Oktober 1997 unterzog die schwedische Zeitschrift Technikens Värld
die neu auf dem Markt gebrachte A-Klasse von Mercedes-Benz (Baureihe
168) dem damals in Skandinavien üblichen Fahrdynamik-Test. Es
handelte sich dabei um ein Fahrmanöver, das das Ausweichen vor einem
plötzlich auf der Straße auftretenden Hindernis simuliert. Der
"Baby-Benz", auf den der Daimler-Konzern große Stücke hielt, bestand
den Test nicht und kippte um, was den Stuttgartern Spott in Form von
Witzen und marketingtechnisch zunächst einen Super-Gau bescherte.
Doch die Daimler-Chefs gingen in die Offensive: Das 1995 weltweit
erstmals im Luxus-Coupé S 600 (C 140) präsentierte und wenig später
in der Limousine der S-Klasse (W 140) und im SL-Roadster (R 129)
eingesetzte elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) hielt Einzug:
zunächst in der A-Klasse, später dann in allen Mercedes-Modellen. Das
scheinbar ramponierte Image der A-Klasse als "kleinster Kipper der
Welt" war damit Geschichte, der gute Ruf wieder hergestellt. Das
Modell wurde ein Verkaufserfolg.
Für die Erfindung von ESP ist der Techniker Anton van Zanten im
Vorjahr vom Europäischen Patentamt mit dem Europäischen Erfinderpreis
in der Kategorie Lebenswerk ausgezeichnet worden. Der gebürtige
Niederländer hat das Anti-Schleudersystem während seiner mehr als
25-jährigen Karriere bei Boschals Leiter einer 35-köpfigen
Forschungsgruppe entwickelt. "Anton van Zanten und seine
Entwicklerkollegen sind die Schutzengel vieler Autofahrer", wie Dr.
Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch
GmbH, anlässlich dieser Ehrung sagte. In den vergangenen 20 Jahren
hat sich ESP -nicht zuletzt auch laut einer Verordnung des
Europäischen Parlaments des Rates vom 13. Juli 2009, wonach seit
November 2011 alle in der EU neu zugelassenen Pkwund leichte
Nutzfahrzeug- Modelle serienmäßig mit ESP ausgestattet werden müssen
-rasant weiterentwickelt. Ein wichtiger Meilenstein war dabei die
Einführung elektrischer Servolenkungen: Waren bis dahin nur
Bremseingriffe und die Reduzierung des Motordrehmoments möglich, so
helfen seit 2005 auch Lenkeingriffe bei der Stabilisierung des
Fahrzeugs.
Am spürbarsten für Autofahrer ist der Fortschritt jedoch bei der
Abstimmung des ESP-Systems: Regelte die Elektronik die erste A-Klasse
noch radikal bis zum Beinahe-Stillstand herunter, greift ESP
mittlerweile behutsam ein und hält das Fahrzeug mit minimalem
Tempoverlust auf der Fahrbahn.
Neben der EU ist der Schleuderschutz auch in Australien, Kanada,
Israel, Neuseeland, Russland, Südkorea, Japan sowie in der Türkei und
den USA gesetzlich vorgeschrieben. Weltweit sind auch deshalb bereits
64 Prozent aller neuen Fahrzeuge mit ESP ausgestattet. Bosch hat bis
heute mehr als 150 Millionen ESP-Systeme gefertigt.
Allein in Europa hat ESP bis heute laut Schätzungen mehr als 8.500
Menschen das Leben gerettet und mehr als eine Viertelmillion
Verkehrsunfälle verhindert. Damit ist der Schleuderschutz nach dem
Sicherheitsgurt und vor dem Airbag das wichtigste Sicherheitssystem
im Auto. Mit der Erfindung des Elektronischen Stabilitätsprogramms
haben Anton van Zanten und sein Entwicklerteam nicht nur den
Grundstein für mehr Sicherheit im Straßenverkehr gelegt. Das System
ist auch die Basis für heutige Fahrerassistenzsysteme und des
automatisierten Fahrens.
Die zunehmende Automatisierung bietet die Chance, die Unfallzahlen
weiter zu senken. Es habe sich gezeigt, dass die Zahl der Unfälle mit
Personenschaden seit dem Jahr 2000 bis heute um rund 30 Prozent
gesunken sei, berichtet Dr. Stefan Benz, Chassis Control, Marketing
and Technical Consulting. Dies sei aufgrund zahlreicher Maßnahmen wie
der Verbesserung der Infrastruktur, Schulungen und anderer
Bildungsmaßnahmen und des verbreiteten Einsatzes von Systemen der
aktiven Sicherheit gelungen.
"Fahrerassistenzsysteme zeigen das Potenzial, Unfälle zu verhindern
oder die Schwere der Unfälle zu lindern. Wenn wir eine ähnliche
Ausschaltungsrate wie heute ESP nur für die Systeme Notbremsassistent
inklusive Fußgängerschutz, Spurhalteassistent und Abbiegeassistent
angehen, dann würden diese Systeme bei 45 Prozent aller heutigen
Unfällehelfen." Eine Abschätzung zeige, dass 37 Prozent aller
Unfälle mit weiteren Systemen auf Basis einer zunehmenden
Automatisierung positiv beeinflusst werden könnten.