Bei einem Bestand von rund 6,3 Millionen Kraftfahrzeugen, jährlich 540.000 Haftpflichtschäden und 780.000 Kaskoschäden ist es naheliegend, dass reparierte und unreparierte Vorschäden zu berücksichtigen sind. Das gilt bei der Rückgabe von Leasingfahrzeugen genauso wie beim Eintausch beim Händler oder der Schadenskalkulation einer Kfz-Versicherung. Welche Abschläge muss ein Fahrzeughalter für derartige Altschäden nun in Kauf nehmen? Der Garanta-Versicherungsjurist Mag. Stefan Enthofer hat mit Unterstützung der beiden Kfz-Sachverständigen Ing. Martin Freitag und Dr. Wolfgang Pfeffer versucht, für diese Schadenskalkulationen objektiv nachvollziehbare Grundlagen zu schaffen (ZVR 2014,43).

"Bisher erfolgten diese individuellen Anpassungen der Wertabzüge infolge von Vorschäden mehr oder minder gefühlsmäßig; auch pragmatische Ansätze, wie etwa eine Halbierung der Reparaturkosten sind in der Praxis häufig zu beobachten", meinen die Schadensprofis über die Erklärungsdefizite derartiger "Kalkulationen".

Diese führen in der Regel auch zu falschen Ergebnissen, schließlich geht es bei der Kalkulation von Neuschäden um einen Interessenausgleich: Einerseits soll eine Bereicherung des Geschädigten vermieden werden; anderseits darf es keine ungerechtfertigten Abschläge geben. Verständlich, dass die weisungsgebundenen Schadensbegutachter öfter im Interesse "ihrer" Versicherung -und nicht im Interesse des Geschädigten -tätig werden.

Ob und in welchem Ausmaß ein Vorschaden für die Regulierung des aktuellen Neuschadens relevant ist, hängt von den einzelnen unterschiedlichen Fallgruppen ab. "Eine Vereinfachung der Vorschadensbewertung in Form einer isolierten Betrachtung eines Einzelteils am Fahrzeug ist somit nicht zulässig", verweisen die Expertendarauf, dass bei der Beurteilung stets die vorschadensbedingte Wertänderung des gesamten Fahrzeuges zu berücksichtigen ist. Daher ist bei der Berechnung eines angemessenen Abschlags unbedingt der "objektive Minderwert des Vorschadens am Fahrzeug als Ganzes" zu ermitteln und zu berücksichtigen.

Objektiver Minderwert

Wenn der aktuelle Schaden außerhalb der Schadenszone des unreparierten Vorschadens liegt, hat er auf die Höhe der Reparaturkosten des Neuschadens überhaupt keinen Einfluss. Wenn sich der unreparierte Vorschaden und der Neuschaden allerdings überschneiden, werden zur Vermeidung einer Bereicherung des Geschädigten Abzüge "im Ausmaß des objektiven Minderwertes durch den Vorschaden" erforderlich sein. "Es muss durch Marktwertvergleich der objektive Minderwert des Vorschadens von den Reparaturkosten des Neuschadens abgezogen werden", erfordert eine exakte Berechnung des zulässigen Abzugs für den Vorschaden einigen Kalkulationsaufwand.

Was ist nun dieser "objektive Minderwert" des Vorschadens, der statt der Kosten der simplen Vorschadensbehebung zu ermitteln ist? Es handelt sich dabei um einen Vermögensvergleich: Es ist - als objektiver Wertverlust -die Differenz zwischen dem Wert des unbeschädigten Fahrzeugs vor dem Unfall und dem Wert unmittelbar danach. Und zwar unter Berücksichtigung der sogenannten "Entschädigungs-Reparaturkosten". "Damit hat der Geschädigte die Möglichkeit, sein beschädigtes Fahrzeug kostengünstig, jedoch mit vollständigem Reparaturerfolg, außerhalb der Fachwerkstätte reparieren zu lassen", ist aus der Sicht des Obersten Gerichtshofes damit dessen Vermögensschaden in Form einer "Marktwertbetrachtung" ausgeglichen.

Merkantile Wertminderung

Bei neueren Fahrzeugen ist allerdings eine "merkantile Wertminderung" hinzuzurechnen. Als Ausgleich dafür, dass eine Reparatur außerhalb einer Fachwerkstätte von potenziellen Autokäufern skeptisch beurteilt wird. Das führt zu Preisabschlägen, um die der "objektive Minderwert" aufzufetten ist. "Die Obergrenze stellen zumeist die gewerblichen Reparaturkosten dar", führt dies aus der Sicht der Praktiker dazu, dass bei sehr jungen Fahrzeugen der "objektive Minderwert" annähernd den vollen gewerblichen Reparaturkosten entspricht. Händisch lässt sich das kaum mehr berechnen. Dafür gibt es Programme wie etwa "Kfz-Bewertung 3.0.", das auch Alters-und Verschleißreduktionen rechnerisch berücksichtigt. Im Extremfall kann durch die Berücksichtigung des "objektiven Minderwertes" bei älteren Fahrzeugen in schlechtem Zustand und mit sehr vielen Vorschäden durch einen neuen Schaden kein messbarer objektiver Minderwert eintreten, da der Gesamtwert des Fahrzeuges dadurch nicht mehr betroffen wird. Unklar ist auch häufig, wie weit sich ein Vorschaden auf die merkantile Wertminderung eines Neuschadens auswirkt. In der Vergangenheit neigten viele Schadensbegutachter dazu, bei reparierten (oder auch unreparierten) Vorschäden dem Opfer des neuerlichen Unfalls gar keine merkantile Wertminderung zuzuerkennen. Das ist falsch. Es ist vielmehr die alte -durch den Vorschaden bewirkte -merkantile Wertminderung zu ermitteln. Zusätzlich ist die merkantile Wertminderung des Neuschadens zu berechnen und von dieser die "alte" merkantile Wertminderung in Abzug zu bringen. Auf diese Differenz hat der Geschädigte beim Haftpflichtschaden Anspruch. (Beim Kaskoschaden ist jegliche merkantile Wertminderung von Haus aus ausgeschlossen). Viel Rechenarbeit, die sich dank anwenderfreundlicher Programme aber flott erledigen lässt.

Wiederbeschaffungswert mit Vorschäden

Vorschäden können zusätzlich noch einen Einfluss darauf haben, ob die Reparatur eines Neuschadens überhaupt noch zulässig ist oder ob bereits ein -unechter -Totalschaden vorliegt. Denn sie beeinflussen die Höhe des Wiederbeschaffungswertes des Unfallautos -und damit die Tunlichkeit oder Untunlichkeit einer Reparatur.

Reparierte Vorschäden sind bei der Kalkulation des Wiederbeschaffungswertes als merkantile Wertminderung zu berücksichtigen.

"Bei unreparierten Vorschäden muss der durch die Vorschäden verursachte objektive Minderwert ermittelt und vom normalen Wiederbeschaffungswert in Abzug gebracht werden", weisen die Experten darauf hin, dass es -entgegen der häufig angewandten Praxis -dabei nicht auf die tatsächliche Kosten der Reparatur des Vorschadensankommt. (KNÖ)