Aus der Sicht des Verfassungsjuristen Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer
widerspricht dieösterreichische Praxis der gerichtlichen
Sachverständigenbestellung - und deren faktische Unantastbarkeit -
den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Sachverständige sollten unabhängig sein. Wenn sie von
Gerichtsaufträgen leben, sind sie von den Aufträgen ihrer Kunden
-Richter und Staatsanwälte -abhängig. Die Europäische
Menschenrechtskonvention (EMRK) räumt jedermann das Recht ein, dass
über zivilrechtliche Ansprüche sowie über strafrechtlicheAnklagen in
billiger Weise von einem unparteiischen Gericht entschieden wird.
Nach dem Grundsatz der Waffengleichheit hat die Ladung von
Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der
Belastungszeugen zu erfolgen. Diese Waffengleichheit sollte auch bei
der Bestellung von Sachverständigen gelten.
Sind Sachverständige ausreichend neutral?
Es kommt immer wieder vor, dass ein SV gegenüber den Parteien eines
Verfahrens nicht ausreichend neutral, sondern vielmehr mit einem
"Zeugen der Anklage" gleichzusetzen ist. Dann muss der Angeklagte das
Recht bekommen, seinen Standpunkt in gleicher Weise wie die Anklage
zu vertreten. Insbesondere durch einen SV in der Rolle des "Zeugen
der Verteidigung", dessen Position der des als "Zeugen der Anklage"
agierenden SV entspricht.
"Kommt dem Angeklagten dieses Recht nicht zu, widerspricht das
Verfahren dem Grundsatz der Waffengleichheit und verletzt somit
Artikel 6 EMRK", verweist Mayer dabei auf die einschlägige
Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes (EGMR).
Anschein von Parteilichkeit
Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem SV im konkreten Einzelfall
Parteilichkeit nachgewiesen werden kann. Es kommt darauf an, "ob im
konkreten Fall aus der objektiv nachvollziehbaren Sicht der
Betroffenen der Anschein von Parteilichkeit des Sachverständigen
entstanden ist", verweist Mayer auf das vom Verfassungsgerichtshof
formulierte "Prinzip der sichtbaren Gerechtigkeit".
Der EGMR hat einen gerichtlich bestellten SV, dessen Gutachten die
Erhebung der Anklage ausgelöst hat und der im Verfahren eine
dominante Rolle eingenommen hat, bereits einem "Zeugen der Anklage"
gleichgesetzt. Dies betrifft besonders jene SV, die ohne Einbindung
der Verteidigung von der Anklagebehörde bestellt wurden. Eine in
Österreich äußerst gängige Praxis, die den "Platzhirschen"unter den
Sachverständigen eine dominante Position ermöglicht.
Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit
Nach der Strafprozessordnung ist bei der Auswahl der SV und der
Bestimmung ihres Gutachtensauftrages "nach den Grundsätzen der
Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit vorzugehen".
Ähnliches gilt auch im Zivilverfahren. Welcher SV konkret vom
Justizorgan bestellt wird, liegt im Rahmen dieser Vorgaben aber in
deren Ermessen. Ein Abweichen vom diesem Gutachten ist nur mit
nachvollziehbarer wissenschaftlicher Begründung und unter
Auseinandersetzung mit dem Gutachten gestattet.
Ein Sachverständiger ist jedoch nur zu bestellen, wenn für die
Beweisaufnahmen ein besonderes Fachwissen erforderlich ist, über
welches dieses Justizorgan eben nicht verfügt. "Damit wird deutlich,
dass die gerichtliche Würdigung des Gutachtens häufig auf eine
Plausibilitätskontrolle beschränkt ist", kritisiert Mayer den blinden
Glauben an die Gerichtsgutachten.
Privatsachverständige haben wenig Rechte
Daher setzt er sich auch mit der verfahrensrechtlichen Position
sogenannter Privatsachverständiger auseinander. Eine Verlesung von
Privatgutachten ist im Strafprozess grundsätzlich unzulässig.
Privatsachverständigen kommt höchstens die Stellung eines Zeugen zu.
Sie dürfen keine rechtlich relevanten Schlussfolgerungen ziehen, da
dies den vom Gericht bestellten SV vorbehalten ist.
Sie dürfen vor ihrer Vernehmung daher auch nicht im Verhandlungssaal
sein. Im Zivilprozess dürfen sie auch keine Fragen - weder an Zeugen
noch an den Gerichts-SV - stellen. Eine relevante Kontrolle
gerichtlicher Gutachten ist daher meist nicht möglich. Mayer hat die
Mängel der derzeitigen Rechtslageaufgezeigt, mit welcher der
Gesetzgeber Fehlurteilen Vorschub leistet.
Eine rechtliche "Entfesselung" der Privatgutachter könnte da sicher
Abhilfe schaffen. (KNÖ) Lesen Sie bitte dazu auch das "Thema" auf
Seite 14!