Einwohner der polnischen Ortschaften Wrzesnia und Steszew in der Nähe von Posen lebten in den vergangenen Wochen in Spannung. Beide Standorte galten als Kandidaten für ein neues Autowerk von Volkswagen. Nun ist es offiziell. Nach dem Auslaufen des heutigen VW Crafter, der bei Daimler entsteht, wird der Nachfolger ab 2016 im polnischen Wrzesnia in der Woiwodschaft Wielkopolska gefertigt. Das künftige Fabrikgelände umfasst rund 220 Hektar und wird aus Karosseriebau, einer Lackiererei sowie der Endmontage bestehen. Der Baubeginn ist für Ende 2014 geplant. Die Produktion soll im 4. Quartal 2016 beginnen. Mit dem Neubau schafft Volkswagen mindestens 2.300 neue Arbeitsplätze. Volkswagen nennt keine Investitionssumme, doch Slawomir Majman, Chef der polnischen Investitionsansiedlungsagentur, twitterte einen Betrag von umgerechnet rund 800 Millionen Euro.

Bekannte Umgebung

Mit der Standortentscheidung betritt der deutsche Konzern kein Neuland. Die neue Fabrik wird rund 50 Kilometer von Posen (Poznan) und 35 Kilometer vom bestehenden Werk Volkswagen Poznan, wo der VW Caddy exklusiv gebaut wird und außerdem ein Teil der T5-Produktion entsteht, entfernt sein. Im Vorjahr wurden dort rund 170.900 Fahrzeuge produziert. Organisatorisch wird die neue Anlage Teil des bisherigen Unternehmens.

"Das Werk in Wrzesnia wird in jeder Hinsicht von der Nähe zu unserer Fertigung in Poznan profitieren -bei Logistik, Lieferanten und vor allem der Erfahrung vor Ort", sagt Jens Ocksen, seit Anfang April Chef des Crafter-Fertigungsprojekts sowie Vorstandsvorsitzender von Volkswagen Poznan. Ocksen, der bislang im Markenvorstand von Volkswagen Nutzfahrzeuge für das Ressort Produktion und Logistik verantwortlich war und weiterhin Mitglied der Geschäftsleitung bleibt, hat die bestehende Fabrik im Posener Stadtteil Antoninek bereits zwischen 2007 und 2010 geleitet. Zu VW Poznan gehören neben dem eigentlichen Fahrzeugwerk auch der Bereich Sonderwagenbau sowie eine Gießerei mit separaten Standorten. Insgesamt werden rund 6.500 Mitarbeiter beschäftigt.

Volkswagen betreibt in Polen noch ein Motorenwerk, zwei Fabriken für Sitzteile der Tochterfirma Sitech sowie insgesamt vier MAN-und Scania-Werke, davon eine MAN-Busfertigungsstätte am Rande von Posen.

Höhere Marktanteile

Vom Nachfolger des Crafter, der nicht mehr in Zusammenarbeit mit Daimler entstehen wird, verspricht sich Volkswagen höhere Marktanteile. "Wenn man so einen C/D-Transporter macht, da können Sie schon noch eine Menge Dinge noch besser machen", sagt Dr. Eckhard Scholz, Sprecher des Vorstands von Volkswagen Nutzfahrzeuge, über die Vorteile der Entwicklung und Produktion im eigenen Haus.

"Wir sind in einer erfolgreichen Kooperation mit einem direkten Wettbewerber unterwegs", sagt Scholzüber die aktuelle Zusammenarbeit mit Daimler. "Und das macht eine Kooperation nicht immer ganz einfach." Man ist in denselben Märkten unterwegs, hat zum Teil dieselben Kunden. "Diese Kooperation wird sehr professionell geführt, aber sie bremst das eigene Wachstum, und das kann nicht unser Anspruch sein", so Scholz.

Auch hierzulande soll der neue Crafter mehr Verkäufe bringen. "In Österreich gibt es ein paar Segmente, in welchen wir außerordentlich erfolgreich sind, im Crafter-Segment haben wir noch Nachholbedarf", sagt Scholz.

Gute Nachricht

Für die polnische Autoindustrie ist die Entscheidung von VW eine gute Nachricht. Nach 2000 waren polnische Standorte mehrmals für wichtige automotive Investitionen im Spiel, haben diese aber an Tschechien, die Slowakei oder Ungarn verloren.