Angefangen hat alles ganz harmlos: Am 22. Juli 2006 krachte in Graz ein neuer BMW 530 gegen einen alten Mercedes 300 CE Coupé. Andreas Scherer, der das Auto im Jänner 1994 in optisch und technisch gutem Zustand gekauft hatte, brachte das Unfallsfahrzeug zur Schadensbegutachtung zur gegnerischen Versicherung.
DasÖAMTC-Sachverständigenservice ermittelte 9.400 Euro Reparaturkosten. Die HDI offerierte auf Totalschadensbasis zur Schadensliquidierung 3.880 Euro. Nach einigen Tagen wird dieses Anbot widerrufen: Mit der Behauptung, die Schäden seien nicht unfallkausal. Scherer wendet sich an den Rechtsanwalt Mag. Andreas Sauer. Der kommt mit der HDI auf keinen grünen Zweig und klagt.
Im März 2007 kommt es am Unfallort zur Verhandlung. Mit dabei der vom Gericht bestellte Sachverständige Dr. Helmut Pötzl aus Leoben. Er soll die unfallkausalen Schäden eruieren. Beide Fahrzeuge waren noch unrepariert. Der BMW wurde in der Parkgarage des Kaufhauses City Park oberflächlich in Augenschein genommen. Auch der Mercedes wurde von Scherer zwecks Stellprobe stellig gemacht. Doch der SV hatte anderes im Sinn. Er wollte keine Stellprobe, sondern nur die Aussagen der Lenker. Die Verhandlung endet in einem Kaffeehaus. Das mündlich verkündete Urteil wurde Scherer von seinem Anwalt telefonisch mitgeteilt: Die Klage sei aufgrund des Gutachtens kostenpflichtig abgewiesen worden.
Woher stammen die Schäden am Klagsfahrzeug?
Die Parteienaussagen waren höchst widersprüchlich. Der BMW-Fahrer konnte an seinem Fahrzeug überhaupt keinen Schaden erkennen, am Mercedes lediglich eine leichte Verformung der hinteren Stoßstange. Unerklärlich blieb daher, woher die vom ÖAMTC-Gutachter geschätzten 9.400 Euro Reparaturkosten stammen könnten. Jeder normale Sachverständige würde unter diesen Umständen die Fahrzeuge näher unter die Lupe nehmen. Nicht so der alt gediente Pötzl. Ihm reichen für seine Ermittlungen die subjektiven Wahrnehmungen der Unfalllenker.
Nach der schlampigen Befundaufnahme diktiert er gleich vor Ort sein Urteil: Die Stauchungen am Mercedes lassen auf eine "äquivalente Wandaufprallgeschwindigkeit zwischen 15 und 20 km/h" schließen. Die Beschädigungen des BMW sind derart minimal, dass sie von einer maximalen Wandaufprallgeschwindigkeit von 5 km/h stammen können. "Die massiven Schäden am Klagsfahrzeug sind mit den Beschädigungen am Beklagtenfahrzeug technisch nicht in Einklang zu bringen."
Plötzlich ging es um Kopf und Kragen
Richterin Mag. Karin Zeiler-Wlasich konnte aufgrund der schlüssigen Ausführungen ihres SV den Akt binnen zwei Stunden mit einer Klagsabweisung abschließen. Für Scherer war das völlig unverständlich. Er bat den Grazer Rechtsanwalt Mag. Walter Choc, eine Berufung einzubringen. Das erboste wiederum die Richterin. Sie empfand die Berufungsanmeldung als "frech" und schickte den Akt wegen "versuchten schweren Betruges" an die Staatsanwaltschaft.
Für Scherer ging es jetzt nicht nur um einige tausend Euro, sondern bei einer mehrjährigen Strafdrohung um Kopf und Kragen.
Gutachter kam zu völlig anderem Schluss
Choc mobilisierte daher den SV Dipl.-Ing. Peter Hödl, die von Pötzl verabsäumte Befundung der Unfallfahrzeuge vorzunehmen. Der schaute sich den BMW bei der Firma Denzel auf der Hebebühne bei Tageslicht ganz genau an. Nahm eine Stellprobe vor und kam im Juni 2007 zu einem zum Pötzl-"Gutachten" wesentlich abweichenden Ergebnis: Es gab zwar vorJahren einen Vorschaden, der aber derart gut repariert wurde, dass er für einen Laien "nicht oder nur äußerst schwer erkennbar" ist.
Nach Hödls Gutachten und Scherers Freispruch war klar, dass der Mercedes einen nach der Reparatur schwer erkennbaren Vorschaden hatte. Im Zusatzgutachten verwies Hödl auch darauf, dass mit einer Stellprobe die Pötzl"sche Fehlbeurteilung vermeidbar gewesen wäre. "Sie ist in Fällen wie diesen ein probates Mittel, um technische Klarheit zu bekommen."
Chocübermittelte dem Berufungsgericht auch dieses Hödl-Gutachten. Und blitzte in der Instanz dennoch ab. Es wäre bereits Aufgabe des Klagevertreters gewesen, weitere Beweisanträge zu stellen. Fraglich ist, was Scherer seine Zeugen genützt hätten. Denn "das Erstgericht hat die Feststellungen aufgrund des SV-Gutachtens getroffen". Es ist "im Übrigen darauf hinzuweisen, dass ein SV-Gutachten nicht durch Zeugen entkräftet werden kann", fügt das Berufungsgericht belehrend hinzu.
Der von Choc auf seine Haftung angesprochene Kollege Sauer wies jede Verantwortung von sich. Worauf Choc seinem Mandanten empfahl, bei der Durchsetzung der Sachverständigen-oder Anwaltshaftung "nicht einen in Graz ansässigen Anwalt beizuziehen. Insbesondere, da "Herr DI Pötzl seit vielen Jahrzehnten als Sachverständiger bei Gericht tätig ist".
Kritische Anmerkungen zum Sachverständigen
Dennoch wandte sich Scherer mit seiner Haftungsklage an den Grazer Anwalt Dr. Jörg Herzog. Als der Grazer Richter Mag. Bernhard Deu ankündigte, Dr. Harald Weinländer -der sich mit seinem Sohn Klaus und Pötzl die Grazer Gerichtsaufträge teilt -zum Kfz-SV zu bestellen, kündigt Herzog die Vollmacht.
Schließlich landete Scherer fern von Graz beim Hartberger Anwalt Dr. Wolfgang Poleschinski. Der ersuchte das Gericht, statt Weinländer einen anderen SV zu bestellen, da es ihm "möglicherweise nicht angenehm ist, ein Gutachten zu erstellen, das kritische Anmerkungen zum Gutachten seines Kollegen Pötzlbeinhaltet". An dessen Bestellung war nicht zu rütteln. Der kam anhand von Lichtbildern zum Ergebnis, dass der BMW "lediglich relativ geringfügig im Frontbereich an der vorderen Stoßstangenverkleidung beschädigt wurde". Und kam zum Schluss, dass "die Berechnungen des SV Pötzl durchaus nachvollziehbar sind." Wäre der Vorschaden ordnungsgemäß repariert worden, hätte es beim neuen Unfall bloß einen Schaden von 1.500 Euro gegeben.
"Sehr präzise Befundaufnahme erforderlich"
Der von Poleschinski betraute St. Pöltner SV Ing. Wolfgang Huber kam nach eingehender Befundaufnahme zu einem völlig anderen Ergebnis. Für eine von Weinländer vermutete "Lötreparatur" gebe es technisch keinerlei Hinweise: "Es gab keinen unreparierten bzw. mangelhaft oder schlecht reparierten Vorschaden." Die am Mercedes feststellbaren Schäden "passen eindeutig zum gegenständlichen Auffahrunfall". Der von Pötzl und Weinländer thematisierte Vorschaden habe aufgrund der ordnungsgemäßen Reparatur "keine Änderung im Deformationsverhalten des Hecks ergeben".
Jetzt sah sich Richter Dr. Bernhard Deu doch veranlasst, mit Univ.-Prof. Dr. Hermann Steffan einen neutralen SV beizuziehen. Der kam zum Schluss, dass der MB-Vorschaden ordnungsgemäß repariert worden sei. "Es ist eine sehr präzise Befundaufnahme erforderlich, um korrespondierende Schäden zu erkennen", liest er Pötzl und Weinländer die Leviten. Der nun ersichtliche Schaden sei durch die Kollision mit dem BMW entstanden. Die Anprallgeschwindigkeit lag mindestens bei 15 km/h. "Die Schäden, welche die Intrusion in das Heck verursacht haben, hätten jedenfalls zu einem Totalschaden geführt. Das Gutachten des SV Dr. Pötzl ist jedenfalls zu revidieren."
Wer wird die Kosten bezahlen?
Allerdings landete das Obergutachten bei einem neuen -bisher in Leoben werkenden -Richter. Mag. Dieter Brauchart erklärte sich trotz seiner bisherigen Zusammenarbeit mit Pötzl für nicht befangen. Der den "Platzhirschen" bei der Urteilsfindung mehr vertraute als dem Obergutachten. Ohne Säumnis des Beklagten wäre aus Braucharts Sicht der Unfall nicht als Totalschaden, sondern bloß mit 1.500 Euro Reparaturkosten abzurechnen gewesen.
Weshalb Anwalt Sauer lediglich für einen Teil des eingeklagten Schadens aufzukommen hat. Pötzl kam völlig ungeschoren davon. Der Kostenberg, der sich für Unfallopfer Scherer nach seinem fünfjährigen Kampf gegen Pötzls Gutachten angehäuft hat, ist mittlerweile auf 27.000 Euro angewachsen. Lesen Sie bitte dazu auch den Artikel auf Seite 48!
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