Den Ausgleichsanspruch bekommen gekündigte Vertragshändler als Entschädigung für jene "Provisionen", die sie mit ihrem Kundenstock ohne Kündigung erwirtschaftet hätten. Bei der Berechnung einer derartigen Forderung prallen die Ansichten zweier Experten diametral aufeinander. Dr. Michael Nocker gilt als einer der Gurus des Handelsvertreterrechts. Als beeideter Sachverständiger wurde er vom Handelsgericht Wien mit der Berechnung des Ausgleichsanspruches eines gekündigten Vertragshändlers beauftragt. Gekämpft wird dabei um rund 250.000 Euro. Nockers Gutachten analysierte im September 2013 auf 120 Seiten die in Brüche gegangene Geschäftsbeziehung- und errechnete einen Anspruch von 125.000 Euro. Er erweckte damit die Empörung des Kartellrechtsspezialisten Dr. Norbert Gugerbauer. Der argumentiert auf 58 Seiten, dass die Kündigung des unlukrativen Neuwagengeschäftes beim Händler keinesfalls zu einem lukrativen Vertragsende führen dürfe. Der von ihm errechnete Ausgleichsanspruch beträgt daher nicht 250.000 Euro, auch keine 125.000, sondern schlicht und einfach: null.
Die verunsicherten Vertragshändler fragen sich daher: Wer hat nun eigentlich Recht? Tatsächlich herrscht bei der Berechnung des Ausgleichsanspruches europaweit ein Wirrwarr. Deshalb hat sich Dr. Hans Gideon Jabloner 2010 in seiner Dissertation auf 140 Seiten intensiv mit dieser Problematik auseinander gesetzt. Seine Analysezeigt, dass der Oberste Gerichtshof die von der deutschen Rechtssprechung entwickelte Methode eines zweistufigen Berechnungssystems übernommen hat. Allerdings mit der Einschränkung, dass der OGH alle festen Formeln und pauschale Berechnungsweisen ablehnt. Er entschied: Die Ermittlung der Höhe desAusgleichsanspruches liegt immer im Ermessen der Gerichte. Im Endeffekt heißt das: Alles ist möglich, nix ist fix.
Wo liegen nun die Unterschiede?
Stammkunden: Das sind laut Nocker jene Kunden, die während eines für die Marke typischen Bestellintervalls beim Händler mehr als einen Neuwagen gekauft haben. Wie lange diese Intervalle sind, hängt von der jeweiligen Marke ab. Ausgangspunkt sind dabei die Verkäufe des letzten Vertragsjahres. Nocker rechnet auch noch jene Erstkäufer hinzu, die vom Händler neu für die Marke erobert wurden. Schließlich werden sie sich teilweise zur Stammkundschaft der Marke entwickeln. Dies sieht Gugerbauer anders. Ob ein Erstkäufer zum Stammkunden wird, hängt aus seiner Sicht in erster Linie von der Kundenzufriedenheit und der Nachbetreuung ab. Bei derBerechnung des Ausgleichs "sind keine potenziellen Stammkunden zu berücksichtigen".
Vorführwagen: Einen Ausgleichsanspruch gibt es nur für das Stammkundengeschäft. Je mehr Stammkunden, desto höher die Ausgleichszahlung. Nocker rechnet dazu auch jene Kunden, die per Vorführwagen einen versteckten Rabatt auf den Neuwagenpreis bekommen haben. Für Gugerbauer handelt es sich dabei jedoch um ein Gebrauchtwagengeschäft. Er fordert: "Der Kauf von Vorführwagen ist bei der Ermittlung der Stammkunden-Eigenschaft nicht zu berücksichtigen."
Handelsspanne: Nocker geht bei der Berechnung der "Händlerspanne" von den Listenpreisen aus. Erst in einem zweiten Schritt ist die dem Händler vom Hersteller versprochene "Provision" um die den Kunden gewährten Rabatte zu reduzieren. Gugerbauer kritisiert, dass es sich beim Listenpreis um einen fiktiven Wert handelt. Ausgangspunkt der Berechnung dürfe nur die wesentlich geringere "tatsächlich erwirtschaftete Handelsspanne" sein.
Vertriebskosten: Gugerbauer verweist auf die von Dr. Willi Dietz entwickelte Musterkostenrechnung. Nach der braucht ein Händler im Premiumbereich 14 Prozent Marge, um kostendeckend arbeiten zu können. Je höher die vorgegebenen Standards, desto höher sind die Vertriebskosten. Rechnet man eine "Nachlasspraxis" von 5 Prozent hinzu, braucht man im Neuwagenbereich eine Marge von 19 Prozent.
Seine Schlussfolgerung: Der gekündigte Händler "hat mit dem Verkauf von Neufahrzeugen keine positiven Deckungsbeiträge erwirtschaftet, der Verkauf war vielmehr aus positiven Deckungsbeiträgen im Werkstättengeschäft quer zu subventionieren. Schon aus diesem Grund sind dem Händler durch die Vertragsbeendigung keine Provisionen entgangen."
Sogwirkung der Marke: Beim Verkauf eines Fahrzeuges kommt es nicht nur auf das Verkaufsgeschick des Händlers, sondern auch auf das Markenimage an. Für diesen "Vorverkauf" ist der Hersteller verantwortlich. Deshalb muss der Händler beim Ausgleichsanspruch einen Abschlag akzeptieren. Nocker hat sich bei seiner Berechnung mit 30 Prozent am Obersten Gerichtshof orientiert. Der hat bei Citroën die Sogwirkung mit 25 Prozent, bei Ford mit 20 Prozent als angemessen erachtet. Gugerbauer findet, dass bei Premiummarken der Markensog viel höher -und damit der Ausgleichsanspruch viel niedriger -sei. So ist "die Sogwirkung der Marke Jaguar daher mit zumindest 60 Prozent anzusetzen".
Abwanderungsquote: Der Hersteller hat nur für Kunden zu zahlen, die der Marke auch nach Ende des Händlervertrages treu bleiben. Die bei jeder Marke auftretende Abwanderung lässt den vom Händler für die Marke geworbenen Kundenstock -und damit die dem Importeur verbleibenden Vorteile -schrumpfen. Sperrt der Gekündigte nicht zu, so wird er einen Teil des Kundenstocks auf eine andere Marke überführen. Dafür fordert Gugerbauer bei der Berechnung des Ausgleichsanspruches massive Abschläge: "Er kann nicht gleichzeitig eine Abgeltung für die Übertragung des Kundenstocks fordern und die Stammkunden weiterhin selbst betreuen."
Verwaltungsaufwand: Aus den mit den Stammkunden erzielten Provisionen sind die Anteile für jene Arbeiten herauszurechnen, die bei einem normalen Handelsvertreter nicht anfallen. Nocker hat dafür -in Analogie zu einem Tankstellenpächter -einen Abzug von 10 Prozent veranschlagt. Gugerbauer verweist jedoch darauf, dass der Aufwand eines Vertragshändlers für Lagerhaltung, Auslieferungund Schadensregulierung viel höher ist; vor allem, wenn die Durchführung von Garantiearbeiten nicht kostendeckend sei: "Daher wäre zumindest ein Abzug in der Höhe von 25 Prozent vorzusehen."
Bonifikationen: Der Reinertrag eines Vertragshändlers aus den "Provisionen" des Neuwagenverkaufs resultiert letztlich aus den im Entlohnungsschema verankerten Bonifikationen. Nocker zählt diese daher zur ausgleichspflichtigen "Provision". Dies wird von Gugerbauer bestritten. Er verlangt, dass dabei zwischen Prämien für die Erreichung bestimmter Ziele und Eintauschprämien unterschieden werden müsse.
Jahrelanger Streit nicht ausgeschlossen
Unter diesen Umständen ist es verständlich, dass sich ein Streit um die Ausgleichshöhe über Jahre hinziehen kann. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass vielen gekündigten Händlern der Spatz in der Hand lieber ist als die Taube am Dach, wie sich dies zuletzt auch bei der Chevrolet-Kündigung gezeigt hat.Vor allem, wenn sie für diesen Fall des Falles keine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben.
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