Ein altes und nicht immer unzutreffendes Sprichwort meint, das Jammern sei "des Kaufmanns Gruß". Doch zuweilen sind die Beschwerden berechtigt. Das gilt zweifellos für die jüngsten Entwicklungen im Kfz-Einzelhandel: Ein halbes Dutzend renommierter Markenbetriebe, deren Geschichte teilweise bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurückreicht, musste in den vergangenen Wochen den Weg zumInsolvenzrichter antreten. Hinzu kommt die große Dunkelziffer jener Firmen, die nur noch durch die Selbstausbeutung ihrer Inhaber am Leben gehalten werden. Eine Zeitlang war aus den Konjunkturdaten eine wirtschaftliche Entspannung der Branche ablesbar, doch diese Phase scheint vorüber. Wie passt das zu den Neuzulassungszahlen, die zwar niedriger sind als in den Rekordjahren 2011 und 2012, aber immer noch im guten langjährigen Durchschnitt liegen?

Autohandel am Scheideweg

In Wahrheit steckt hinter der statistischen Fassade eine Marktverfälschung, die immer größere Ausmaße annimmt. Exakt 7,9 Prozent aller von Jänner bis September neu angemeldeten Pkws waren Tageszulassungen. Zweistellige Tageszulassungsanteile sind mittlerweile bei vielen Marken gang und gäbe, so mancher Hersteller erzielt ein Drittel seines Absatzvolumens mitKurzzulassungen. Doch einmal angemeldet, müssen diese Fahrzeuge von den Händlern erst verkauft werden, was Neuwagen und "echte" Vorführfahrzeuge unter Druck bringt: "Besonders im Premiumbereich kommt es dabei oft zu erheblichen Verlusten von 5.000 bis 10.000 Euro", berichtet Komm.-Rat Ing. JosefSchirak aus der Praxis.

Schirak ist nicht nur Markenhändler mit fünf Jahrzehnten Branchenerfahrung, er fungiert nach einer langen Laufbahn in der Wirtschaftskammer auch als Einzelhandelssprecher im Bundesgremium des Fahrzeughandels. Für ihn steht fest, dass der Autohandel an einem Scheideweg angekommen ist. Das zeige sich auch an den drastischen Verkaufsaktionen mancher Hersteller: "Bürgermeister, Aufsichtsratsvorsitzende, Obleute, Präsidenten der verschiedensten Organisationen und viele andere mehr oder weniger wichtige Personen erhalten für ihre Privatfahrzeuge Rabatte, die oft die doppelte bis dreifache Händlerspanne beinhalten." Aus Sicht des Markenhandels ist dies umso dramatischer, als die Auswirkungen von Zulassungskampagnen und Rabattaktionen nicht vorhersehbar sind.

Keine Kalkulationssicherheit

"Wir wissen am 1. Jänner nicht, welche prozentuellen Margen wir am 31. Dezember erhalten werden", bringt Schirak die undurchsichtige Situation auf den Punkt. Die "bei manchen Herstellern völlig intransparenten" Margensysteme müssten dringend überarbeitet werden. Viele Betriebe würden über "bis zu 20 parallel laufende Verkaufsförderungs-und Aktionsprogramme" klagen, sodass jede Übersicht verloren geht. "Unsere Forderung geht daher in Richtung klar abgegrenzter und nachvollziehbarer Margensysteme über das Verkaufsjahr hinweg. Lediglich aufgrund unbedingt notwendiger Marketingmaßnahmen sollten Verkaufsprogramme mit Zusatzbonifikationen Anwendung finden", so Schirak.

"Nahezu unerträgliche Kostenüberwälzung"

Auch in Sachen Kostenwahrheit fordert der Einzelhandel ein Umdenken auf Importeurs-und Herstellerseite. "Die Kostenüberwälzung auf das Autohaus hat inzwischen nahezu unerträgliche Formen angenommen", sagt Schirak. Er kritisiert "weitaus überzogene Standards", hohe EDV-Kosten sowie sachlich nicht nachvollziehbare Preise von Spezialwerkzeugen und Schauraumidentifikationen, die bei den vom Hersteller genanntenLieferanten zu beziehen sind.

Auch die seit Langem strittige Garantie-und Gewährleistungsvergütung fallen unter das Thema Kostenwahrheit. Hier verweist Schirak auf das im Juni in Kraft getretene Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz (KraSchG), in dem von einer Vergütung des "notwendigen und nützlichen Aufwands" die Rede ist. Wie diese Passage zu interpretieren ist, steht fürSchirak außer Frage: "Damit kann nur eine volle Abdeckung aller Kosten einschließlich angemessener Vorgabezeiten, Beschaffungs-und Manipulationskosten und zusätzlicher Kostenblöcke wie zum Beispiel kostenloser Ersatzfahrzeuge gemeint sein." Angesichts der laufenden Ausweitung der Garantiezeitensei zudem eine "entsprechend dotierte Ersatzteilspanne" unabdingbar.

Keine Durchgriffsmöglichkeit

Viele Herstellervertreter fassen den Gesetzespunkt anders auf. Unabhängig davon, meint man im Arbeitskreis der Automobilimporteure, sei aber schon die prinzipielle Zustimmung zum KraSchG ein Beweis des guten Willens gewesen. "Es gibt ein ganz klares Bekenntnis zum Einzelhandel", so Geschäftsführer Dr. Christian Pesau. Überhaupt gebe es "in den meisten Fällen eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen Importeuren und Händlern", ergänzt Dr. Felix Clary und Aldringen, Vorsitzender des Arbeitskreises. Fest steht, dass Clary und Pesau nur sensibilisierend auf ihre Mitglieder einwirken können. Eine direkte Einflussnahme auf die jeweilige Geschäftspolitik ist weder erwünscht noch möglich, wie bei einem jüngst abgehaltenen Gipfeltreffen zwischen Groß-und Einzelhandel deutlich wurde.

Kampfpreise im Internet

Das gilt auch für jenes Zukunftsthema, das derzeit wohl die größten Sorgen unter den Markenbetrieben weckt: den Neuwagenvertrieb via Internet. "Der sich abzeichnende Wildwuchs im Internet führt nicht nur zu schweren finanziellen Schädigungen des Einzelhandels, sondern gefährdet mittel-bis langfristig die etablierten Vertriebsstrukturen in der ganzen Branche", mahnt Schirak. Ihm ist durchaus bewusst, dass es auf Plattformen wie "Autogott" die Händler selbst sind, die ihren Markenkollegen das Leben schwer machen: "Zweifellos haben auch viele Betriebsinhaber das Umdenken von der Stückzahl-zur Ertragsorientierung noch vor sich."

Eine mindestens ebenso große Gefahr sieht Schirak aber in branchenfremden Investoren: Diese werden von der Automobilindustrie mit unverkäuflichen Überproduktionen versorgt, die sie auch deshalb zu Kampfpreisen verkaufen können, weil sie keinerlei teure Markenstandards erfüllen müssen.

Jeder Fünfte in Gefahr?

Auch ohne die neue Konkurrenz aus dem Netz ist für viele Betriebe die Situation ernst genug. "Bereits in den letzten Jahren wurden trotz Zulassungsrekordziffern nur völlig unzureichende Durchschnittsrenditen von 0 bis 1 Prozent erzielt", so Schirak. Betriebswirtschaftlich erforderlich sei dagegen ein Wert von 2 bis 3 Prozent, zumal viele Automobilkonzerne deutlich höhere Renditen erwirtschaften würden: "Angesichts der Erträge der Hersteller muss wohl auch für den nachgeordneten Handel die Möglichkeit bestehen, Geld zu verdienen, anstatt durch überzogenes Umsatz-und Stückzahldenken die eigene Substanz opfern zu müssen."

Was passiert, wenn kein Umdenken einkehrt? Schirak zeichnet ein düsteres Bild: Bis zu 20 Prozent der Autohändler könnten dazu gezwungen sein, ihre Geschäfte aufzugeben oder den Betrieb zu verkaufen -sofern zweiteres überhaupt noch möglich ist. Dass dies im langfristigen Interesse der Hersteller liegt, ist zu bezweifeln. Volkswirtschaftlich wäre ein derartiges Händlersterben auf alle Fälle eine Katastrophe.