Regeln sind wie zarte Pflänzchen. Sie blühen im Verborgenen und
ermöglichen uns ein gedeihliches Zusammenleben.
Doch sie können auch
krebsartig zu wuchern beginnen. Dann werden sie zu einer
unausrottbaren Plage.
Sie ersetzen den Verstand und machen intelligente Menschen zu
ferngesteuerten Marionetten. Wenn sie sich zu einem
undurchdringlichen Regelwerk verfilzen, ersticken sie gleich einer
schweren Wolldecke alles, was sie bedecken: Unternehmen, Branchen,
die Wirtschaft, unsere ganze Gesellschaft.
Je weniger ein System taugt, desto mehr Regeln benötigt es, um den
Anschein der Funktionsfähigkeit zu wahren. Intelligente Systeme
kommen mit einem Minimum an Regeln aus. Aus ihnen lässt sich alles
ableiten, was zum Betrieb des Systems benötigt wird. Die hochkomplexe
Mathematik fußt auf relativ wenigen Grundregeln. Die französische
Revolutionbegnügte sich mit drei Grundregeln: Liberté -Egalité
-Fraternité. Die Magna Charta, Englands Staatsgrundgesetz aus dem
Jahr 1215, kommt mit 60 Artikeln aus.
In unserer Gesellschaft wurde das Gegenteil zum Credo erhoben: Jedem
Anlass folgend wird eine Regel gebastelt. Zwangsläufig kann diese
nicht alle möglichen Vorkommnisse berücksichtigen. Deshalb kommt
flugs eine weitere Regel hinzu. Ein System: Ende nie. Es führt uns zu
einem Zustand, bei dem alle möglichen Vorkommnisse durch Regeln
abgedeckt sind; ohne das Ziel einer vollkommenen Regelung nur im
Entferntestenzu erreichen. Erkauft wird dieser Unsinn durch ein
exponentielles, geradezu groteskes Regelwachstum und eine
schockierende Erosion des "gesunden Menschenverstandes". Ein
sichtbares Beispiel: Vor 20 Jahren hatte ein Kfz-Händlervertrag 4
DIN-A4-Seiten. Heute findet er selbst mit 100 Seiten kein Auslangen.
Je größer die Unternehmen, desto größer und absurder werden ihre
Regelwerke. Besonders auf subalterne Manager mit Stabilitätsproblemen
im Wirbelsäulenbereich üben Regeln eine faszinierende Wirkung aus.
Regeln entheben sie der Entscheidung - und der Verantwortung. Wer
sich an Regeln hält, muss sich "oben" nicht rechtfertigen. Er macht
im Sinne des Systems keine Fehler. Neudeutsch "Compliance" genannt,
rauben sie denkenden Menschen den Spaß an der Arbeit, stempeln sie zu
inkompetenten Idioten. Die Verwaltung und Erfüllung der Regeln lastet
das Unternehmen völlig aus. Das schafft innerbetriebliche
Vollbeschäftigung -selbst wenn es nichts mehr zu produzieren oder zu
verkauft gibt.
Die Regelwerkeüberwuchern aber nicht nur die eigenen
Konzernstrukturen. So werden kurioserweise auch die Geschäftspartner
-somit die Kunden- unter dem Deckmäntelchen der "Kosteneffizienz" mit
immer frecheren Regelwerken konfrontiert. Auf subtile Art und Weise
üben sie Druck auf klein-und mittelständische Unternehmen aus,
schädigen damit unsere Volkswirtschaft. Andreas Rockenbauer,
Herausgeber des führenden Elektrofachmagazins "E&W", hat diese
Situation treffend analysiert: Je größer Unternehmen werden, desto
geringer ist deren Gesamtintelligenz in Relation zur Summe der
Einzelintelligenzen ihrer Mitarbeiter. Seine medizinische Diagnose:
Regel-Diarrhö mit begleitender Intelligenzverstopfung.
Letztlich geht es um Sinn und Unsinn von Regeln: Wer als Fußgänger in
den frühen Morgenstunden bei einer völlig leeren Straße an einer
roten Ampel wartet, der verhält sich regelkonform -aber unsinnig.
Natürlich können auch für derartige Ausnahmezustände weitere Regeln
und Unterregeln produziert werden. Viel einfacher wäre es, den
"gesunden Hausverstand" einzuschalten. Mit dem wir prüfen, ob eine
Übertretung angebracht ist oder nicht. Das würde aber wieder
Intelligenz benötigen -und Vertrauen in die Intelligenz.
Für selbstständige Unternehmer -wie es Autohändler sein sollten -ist
es unzumutbar, sich mit dem sprachlichen Abschaum derartiger
Regelwerke herumzuschlagen. Das frisst Kapazitäten, die für sinnvolle
Arbeit benötigt werden. Jesus hat die Scheinheiligen und Pharisäer
mit ihren Regelwerken zum Tempel raus gejagt. Die Kfz-Unternehmer
sollten diesem Beispiel folgen.