Wann ist ein Auto ein Totalschaden? Wenn die Reparaturkosten den
Wiederbeschaffungswertübersteigen, würden die meisten
Kasko-Versicherungsnehmer antworten. Der OGH sieht das anders: Er hat
soeben die umstrittene Praxis bestätigt, Onlinehöchstgebote für den
Restwert zu den Reparaturkosten hinzuzurechnen.
Im Beziehungsdreieck zwischen Autofahrern, Werkstätten und
Versicherungen gibt es immer wieder Konflikte. Ein echter
Dauerbrenner ist die Wrackbörse: Registrierte Firmen geben auf
eigenen Onlineplattformen Höchstgebote für havarierte Fahrzeuge.
Übersteigt die Summe aus dem dadurch ermittelten Restwert und dem
Reparaturaufwand die Wiederbeschaffungskosten, schaut ein an sich
reparaturwilliger Kasko-Kunde durch die Finger: Er erhält nur den
Differenzbetrag ersetzt.
"Willkürliche Totalschäden"
Beiälteren Fahrzeugen werde diese Totalschadensschwelle besonders
schnell erreicht, kritisierte der Verein für Konsumenteninformation
(VKI) und brachte vor eineinhalb Jahren eine Verbandsklage gegen die
VAV Versicherung ein. Diese verwendet bei ihren Kasko-Verträgen
wortgleich die Standardklauseln des Versicherungsverbandes: Ein
Musterprozess mit weit reichenden Folgen war also garantiert. Für die
Konsumentenschützer war die Sache klar: Der KaskoVersicherungsschutz
werde "ausgehöhlt", weil die Versicherungen dank der hohen
Onlinerestwertgebote die Reparaturkosten nur mehr bis zu einem "beiälteren Fahrzeugen oft weit unter der Hälfte des Zeitwerts liegenden
Differenzbetrag" ersetzen würden. Der daraus resultierende Betrag
reiche oft nicht aus, um als Konsument einen gleichwertigen
(Gebraucht-)Wagen zu erwerben. Zudem sei nicht geregelt, nach welchem
Verfahren der Restwert bestimmtwerde und welche Rechte dem
Verbraucher dabei zukämen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass "eine im
Einflussbereich der Versicherer stehende Einrichtung über passende
Restwertangebote willkürlich Totalschadensfälle erzeugen" könnte.
Freibrief für die Versicherungen?
Vor rund einem Jahr bekam der VKI mit seinen Bedenken in erster
Instanz recht: Die diesbezügliche Klausel wurde als "überraschend im
Sinn des §864a ABGB" sowie "gröblich benachteiligend im Sinn des §879
Abs 3 ABGB" bezeichnet. Das Oberlandesgericht Wien sah das dagegen
anders.
Dem schloss sich nun der Oberste Gerichtshof an. Für die
Höchstrichter ist die den Wrackwert berücksichtigende Einschränkung
der Versicherungsleistung sachgerecht, da es dem Versicherungsnehmer
"zumindest rechnerisch möglich" sei, ein gleichwertiges Fahrzeug zu
erwerben: "Auch wenn man die bei älteren Fahrzeugen auftretende
Problematik, ein entsprechendes Fahrzeug zu finden, ins Kalkül zieht,
ist diese eine günstigere Prämienkalkulation möglich machende
Regelung aus der Sicht der Gemeinschaft der Versicherten vertretbar."
An der Wrackversteigerung im Internet fand der OGH ebenfalls nichts
auszusetzen: "Das Detailproblem, ob für die Ermittlung des Wrackwerts
nur Angebote aus der Region des Wohnorts des Versicherungsnehmers,
nicht aber ausländische Angebote aus der Wrackbörse zu
berücksichtigen sind, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt
bleiben. Wesentlich ist, dass auch eine für den Konsumenten
ungünstigste Auslegung der Klausel entgegen der Ansicht des Klägers
insofern zu keiner Abweichung von den allgemeinen Regelungen des
Zivilrechts führt."
"Ein Schlag ins Gesicht"
Auf Versicherungsseite ist man verständlicherweise zufrieden. "Eine
Leistungsverpflichtung, die den Wiederbeschaffungswert übersteigt,
würde Besitzer von neuen Fahrzeugen benachteiligen und unweigerlich
zu höheren Prämien für alle Kaskoversicherten führen", sagt Dr.
Norbert Griesmayr, Generaldirektor der VAV. Zudem sehe man sich "in
der Meinung bekräftigt, dass die Restwertermittlung über Wrackbörsen
gesetzeskonform und für den Konsumenten sinnvoll ist".
Für den VKI ist der Richterspruch keine totale Niederlage. Neben der
"Totalschadenklausel" hat man acht weitere Klauseln eingeklagt, von
denen immerhin fünf im Sinne der Konsumenten zu ändern sind. Im
Kfz-Gewerbe, das den Prozess mit Spannung verfolgt hat, ist die
Enttäuschung dagegen groß. "Dieses praxisfremde und
konsumentenfeindliche Urteil ist ein Schlag ins Gesicht",
zürnt Burkhard Ernst, Bundesgremialobmann das Fahrzeughandels. Die
Emotionen kommen nicht von ungefähr. Zwar gibt es keine offiziellen
Zahlen dazu, wie viele Fahrzeuge tatsächlich über Restwertbörsen
versteigert werden, doch geht seit einigen Jahren ein spürbarer
Anteil des Reparaturaufkommensverloren- vor allem nach Osteuropa, wo
die Arbeitskosten
niedriger und Wrackaufbereitungen damit rentabler sind. "Allein in
meinem Unternehmen gab es im Vorjahr 43 Totalschadensfälle, in denen
wir aufgrund der Wrackbörse nicht reparieren konnten", so Ernst.
Boykott als Antwort?
Ganz aufgeben wollen die Interessenvertreter aber nicht. Komm.-Rat
Friedrich Nagl, Bundesinnungsmeister der Kfz-Techniker, möchte
"Manipulationen" durch halbseidene Wrackbörsen-Bieter sowie den
Handel mit Typenscheinen thematisieren. Arthur Clark von der
Bundesinnung der Karosseriebauer setzt auf Aufklärung: "Wir werden
die Autofahrer darauf hinweisen, dass einzelne Versicherungen
mittlerweile Reparaturen bis zu 100 Prozent des
Wiederbeschaffungswertes ermöglichen."
Ins gleiche Horn bläst auch Ernst, der seinen Mitgliedern
nachdrücklich zur Kooperation mit dem berufsständischen Versicherer
Garanta rät: "Für die Autobranche muss die logische Folge daraus
lauten, mit jener Versicherung zusammenzuarbeiten, die als einzige
keine Wrackbörse verwendet." Im eigenen Unternehmen habe man die
Vorteile der Garanta bereits durchgerechnet: "Selbst wenn ich pro
Jahr und Auto im Vergleich zu anderen Versicherungen 5 bis 7 Euro an
Courtage verliere, würde dies wettgemacht, sofern die Kunden
zumindest ein Jahr länger versichert bleiben. Wenn man dann noch die
Totalschadensthematik berücksichtigt, geht die Rechnung ganz sicher
auf."
Starke Verhandlungsposition
Manche Versicherungen nehmen den Boykottaufruf gelassen, hat doch die
Autobranche bisher selten mit Geschlossenheit geglänzt -Stichwort
Schadensteuerung, Stichwort Rabatte. Andererseits ist der
Konkurrenzdruck am Kfz-Versicherungsmarkt brutal. Immer mehr
Versicherer wollen sich einen Vorsprung verschaffen, indem sie ihre
Polizzen über jene Unternehmen vermarkten, die den ersten und
intensivsten Kontakt zum Autofahrer haben -eben die Autohändler.
Vertriebstöchter, die ihre Angebote auf die Bedürfnisse der
Kfz-Branche zuschneiden, liegen voll im Trend.
Der Autohandel wäre gut beraten, diese gestärkte Verhandlungsposition
zu nützen: Wenn gegen die Wrackbörsen keine juristische Handhabe zu
finden ist, sollte zumindest ein wirtschaftlich vertretbarer
Kompromiss arrangiert werden. Die Konsumentenschützer täten wiederum
gut daran, das Kernargument des OGH im Hinterkopf zu behalten: Jenes
vom Wohl der "Gemeinschaft der Versicherten", also von den dank
Wrackbörse angeblich niedrigeren Versicherungsprämien. Wenn die
Kasko-Prämien trotz Wrackbörse steigen sollten, muss wohl irgendwo
ein Denkfehler vorliegen.