Den Besuchern auf den internationalen Automobilmessen blieb die Gegenwart des Chefs des Reifenherstellers Continental und späteren Volkswagen-Konzernchefs nie verborgen. Denn der großgewachsene Carl Horst Hahn stolzierte (nomen est omen) geradezu durch die Hallen – begleitet von seiner Entourage aus dem Konzernvorstand. Ein Automobil-Manager, der aus dem „Volkswagen-Werk“ in Wolfsburg und Audi in Ingolstadt einen weltweit tätigen Automobilkonzern formte.
Sein strategischer Weitblick zeigt sich in der Nachbetrachtung seines Wirkens, das mit der Wiedervereinigung Deutschlands und der politischen Öffnung Osteuropas enorme Fahrt aufgenommen hatte: der Erwerb von Seat (1986), der Einstieg bei Skoda (1990) und der Markteinstieg in China schufen für den Volkswagen-Konzern – zum bisherigen Gefüge mit den Marken VW und Audi – einen Mehrmarkenkonzern, der praktisch das gesamte Spektrum des damaligen und heutigen Marktgeschehens bedienen konnte.
Die Bausteine, die Carl Horst Hahn vorlegte, wurden zur Spielwiese für seinen späteren Nachfolger Ferdinand Piëch, der bereits bei Audi mit technischen Innovationen, wie etwa mit quattro, den „Vorsprung durch Technik“ sichtbar machte und der mit seiner genialen Plattform-Strategie später die unglaubliche Modellvielfalt für den gesamten Volkswagenkonzern ermöglichte, die in der weltweiten Automobilindustrie zum herausragenden Vorbild wurde. Zudem wurde durch Investitionen dabei die Stärke der jeweils nationalen Industrie gefördert und modernisiert – Beispiel Tschechien, Beispiel Slowakei, Beispiel Ungarn – immer darauf bedacht, die markentypischen Stärken zu betonen.
Carl Horst Hahn stammte aus einer Familie, die in den 1920er und 1930er Jahren Mitbegründer der Auto Union (Audi, Wanderer, Horch und DKW) war. Somit kann angenommen werden, dass auch ihm – genauso wie Ferdinand Piëch – die Leidenschaft für das Automobil schon in die Wiege gelegt wurde.
Carl Horst Hahn beeindruckte aber auch durch sein Wissen über geopolitische Zusammenhänge. Wo immer er in kleinerer Runde mit Motor- und Wirtschaftsjournalisten zusammentraf, überraschte er mit seinen präzisen Analysen. Carl Horst Hahn war ein Weltbürger. Einer, der überaus spannend die Welt erklären konnte. Die Eskalation nach dem Zusammenbruch von Jugoslawien etwa, sagte er lange Zeit schon voraus: die unterschiedlichen Ethnien, die unterschiedlichen Sprachen und Religionen, dazu Alkohol und Munitionsfabriken – fast in jedem Dorf – waren immer schon die Ingredienzien für die späteren Gewaltausbrüche.
Weitreichend war aber auch seine Entscheidung, in China Produktionsstätten aufzubauen – in einem Markt, der bis dahin lediglich von nationalen Herstellern bedient werden konnte. Hahn hatte nie Berührungsängste, auch Joint Ventures mit chinesischen Herstellern einzugehen. Die Tatsache, dass damit auch die dort tätigen, nationalen Automobilhersteller parallel unterschiedliche VW- und Audi-Modelle produzierten und vertrieben, schreckte ihn nicht: die Rücksichtnahme auf nationale Eigenheiten war immer sein Credo.
Carl Horst Hahn hat VW in Niedersachsen zu einem Weltkonzern geformt und mit der Entscheidung, Ferdinand Piëch zu seinem Nachfolger zu bestimmen, auch die dauerhafte Grundlage für die unglaubliche Dynamik und Vielgestaltigkeit des Volkswagen Konzerns geschaffen. Carl Horst Hahn war zudem mit Gesundheit gesegnet. Bis ins hohe Alter lief er den traditionellen Ski-Marathon im Engadin. Nunmehr hat er die ewige Ziellinie überschritten. Er verstarb im 96. Lebensjahr.
Mag. Hermann Becker, ehemaliger Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei der Porsche Holding in Salzburg, war langjähriger beruflicher Begleiter des Verstorbenen.