Wichtige EU-Verordnungen für Kfz-Handel und Aftersales sind
befristet. Wie sieht die Zukunft aus? Die Vorbereitungen laufen
schon.
Vielleicht ist es nicht mehr jedem bewusst, aber das Thema
"Gruppenfreistellungsverordnung" hat für unsere Branche nach wie vor
eine Bedeutung. Für die Vertriebsverträge zwischen
Automobilherstellern bzw. Importeuren und ihren Händlern bildet die
Vertikal-GVO die wettbewerbsrechtliche Basis, für den Aftersales und
die Serviceverträge ist dazu noch die Kfz-GVO relevant. Die
Vertikal-GVO findet auf den Automobilhandel seit dem 1. Juni 2013
Anwendung, die Kfz-GVO auf den Aftersales bereits seit dem 1. Juni
2010. Beide Verordnungen laufen in den nächsten Jahren aus: Die
Vertikal-GVO zum 31. Mai 2022 und die Kfz-GVO zum 31. Mai 2023.
Auch wenn man vermuten könnte, dass bis dahin noch sehr viel Zeit
ist, hat die EU-Kommission bereits im Herbst 2018 sogenannte
Fahrpläne veröffentlicht, die einen Überblick über den Prozess der
Bewertung und Überprüfung der beiden Verordnungen geben. Zur
Vertikal-GVO, die nicht nur für den Automobilhandel, sondernauch für
selektive Vertriebssysteme in anderen Branchen gilt, ist der Prozess
schon weit fortgeschritten. Die EU-Kommission wird voraussichtlich im
2. Quartal 2020 eine Entscheidung über die Zukunft der Verordnung
treffen. Zur Kfz-GVO ist eine derartige Entscheidung ein Jahr später
zu erwarten, also im Frühjahr 2021. Vor diesem Hintergrund steht bei
der europäischen Lobbyarbeit zunächst die Vertikal-GVO im Fokus.
Welche Szenarien sind in Zukunft denkbar?
Bisher unterhalten nahezu alle Automobilhersteller in Europa
sogenannte selektive Vertriebssysteme: Sie wählen Händler zum
Vertrieb ihrer Neufahrzeuge aus und regeln die Art der Zusammenarbeit
mit ihnen in Verträgen. Solche Vertriebssysteme beschränken den
Wettbewerb und wären deshalb eigentlich nicht zulässig. Allerdings
können sie dann zulässig sein, wenn die Regelungen der Vertikal-GVO
nebstden sie ergänzenden Leitlinien beachtet werden. Das ist im
Automobilhandel der Fall.
Nach dem 1. Juni 2022 sind grundsätzlich folgende Optionen denkbar:
Die Vertikal-GVO läuft ersatzlos am 31. Mai 2022 aus. Das würde nicht
bedeuten, dass es dann gar keine Regelungen mehr gibt. Vielmehr fände
in diesem Fall der EU-Vertrag unmittelbar Anwendung.
Die Vertikal-GVO wirdüber den 1. Juni 2022 hinaus unverändert
verlängert. In diesem Fall bestünde kein Handlungsbedarf.
Ab 1. Juni 2022 gibt es eine neue Vertikal-GVO mit neuen bzw.
veränderten Regelungen. Davon wären dann auch die heute geltenden
Verträge betroffen.
Neue europaweite Allianz, (noch?) ohneÖsterreich Es lag auf der
Hand, dass sich die Interessensvertreter der Automobilhändler in
Europa bei der EU-Kommission zu Wort melden. Diese Möglichkeit haben
einzelne nationale Verbände genutzt. Mehr Gewicht gegenüber der
EU-Kommission hat aber ein gemeinsamer Auftritt von
Automobilhandelsverbänden auf europäischer Ebene. Dieser Aufgabe hat
sich die Alliance of European Car Dealers and Repairers (AECDR)
gestellt. AECDR wurde erst im April 2019 gegründet. Sie hat sich zum
Ziel gesetzt, die Interessen des Automobilhandels in Europa
wahrzunehmen.
Bisher gehören ihr die nationalen Verbände aus Deutschland, England,
Italien, Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark und Tschechien an.
Ebenfalls Mitglied sind die europäischen Händlerverbände der Marken
Mercedes, BMW und Volvo.
Neue Vertikal-GVO mit Leitlinien auch ab 2022?
Vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, wenn es auch nach dem 31. Mai
2022 eine Vertikal-GVO mit Leitlinien gäbe. Wenn stattdessen die
bisherige Vertikal-GVO ersatzlos ausliefe, würde dies ohne Zweifel zu
einem Mangel an Rechtssicherheit führen. Es ist davon auszugehen,
dass es ohne die Eckpfeiler der Vertikal-GVO zu langwierigen
gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit bestimmter
Vereinbarungen käme. Dadurch würden insbesondere kleine und
mittelständische Unternehmen belastet. Denn diese verfügen im Zweifel
nicht über die Mittel, um umfangreiche rechtliche und
betriebswirtschaftliche Beratung einzuholen.
Aus Sicht von AECDR ist es aber nicht ausreichend, die Gültigkeit der
Vertikal-GVO einfach zu verlängern. Vielmehr sind zusätzliche und
veränderte Regelungen notwendig. Denn die Automobilbranche erfährt
dramatische Veränderungen in den Bereichen Technologie,
Fahrzeugnutzung und Vertriebsformate. Zudem unterscheidet sie sich
erheblich von anderen Branchen. Mehr als bei vielen anderen Produkten
geht es für den Verbraucher um Sicherheitsaspekte. Deshalb ist es zum
Nutzen des Verbrauchers auch in digitalen Zeiten wichtig, dass ihm
ein Netz qualifizierter Händler zur Verfügung steht. Damit ein
solches Netz aber überleben kann, braucht es ein faires
Wettbewerbsumfeld und klare rechtliche Rahmenbedingungen. Deshalb
sollten die Vertikal-GVO und die Leitlinien an die aktuelle
Entwicklung angepasst werden. Wünschenswert wäre es darüber hinaus,
wenn die Kfz-spezifischen Problemstellungen in einem gesonderten
Kapitel berücksichtigt würden.
Regelungen zwischen Herstellern und Händlern Die fortschreitende
Digitalisierung bietet Autoherstellern die Möglichkeit, unmittelbar
mit den Autofahrern in Kontakt zu treten und diesen als direkter
Wettbewerber zu den eigenen Vertragshändlern Produkte (z. B. online)
und Dienstleistungen (insbesondere datenbasierte) anzubieten. Dabeiwerden die Vertragshändler teilweise zwar in den Prozess eingebunden
-aber als Dienstleister. Das heißt, der Autohersteller tritt
gegenüber dem Kunden als Verkäufer auf, der Vertragshändler erbringt
in dessen Auftrag gewisse Dienstleistungen (Probefahrt, Auslieferung
des Fahrzeugs) und erhältdafür eine Provision.
Zu klären ist aber auch, wie man in Hinkunft mit den Kundendaten und
fahrzeuggenerierten Daten umgeht. Ein diskriminierungsfreier Zugang
zu fahrzeuggenerierten Daten ist für alle autorisierten Händler der
jeweiligen Marke unerlässlich. Die EU sollte Regelungen derart
gestalten, dass Marktteilnehmer ohne Investitionen in eine Marke oder
in die Betreuung von Kunden nicht von Anstrengungen derer, die
investiert haben, profitieren (Trittbrettfahrer-Effekt), da dies den
Wettbewerb verzerren und das Geschäftsmodell der Händler gefährden
würde.
Regelungsbedarf gibt es aus Sicht der Automobilhändler in Europa auf
jeden Fall. Es bleibt spannend zu sehen, welche Aspekte die
EU-Kommission aufgreifen wird.