Bei der Belieferung mit Originalteilen herrschen undurchsichtige
Verhältnisse. Die Leidtragenden sind die Konsumenten, die nicht immer
den bestmöglichen Preis erhalten -und jene Unternehmer, denen
plötzlich der wirtschaftliche Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Für den Wiener Teilehändler Kratoschka, spezialisiert auf die Marke
Mercedes-Benz, begann der 12. Oktober 2010 wie jeder andere
Arbeitstag. Aufträge wurden entgegengenommen, Formulare mit den
Bestellungen weitergefaxt -bis um zehn Uhr die dritte Liste mit dem
Vermerk "kann nicht angenommen werden"retour geschickt wurde. Es
dauerte einige Zeit, bis Juniorchef Erich Kratoschka den Sachverhalt
verstand: Beim Vertragshändler, wo seit über einem Jahrzehnt täglich
die Bestellungen entgegengenommen wurden, musste man die
Geschäftsbeziehung offensichtlich schlagartig beenden. Erich
Kratoschka senior unterbrach seinen Urlaub in der Toskana, um sofort
nach Wien zurückzukehren. Schließlich war das 1933 gegründete
Unternehmen in seiner Existenz bedroht: "Bis dahin haben wir zu 60
bis 70 Prozent Originalteile verkauft."
"Thema ist klar geregelt"
So wie Kratoschka erging es im vergangenen Herbstüber 50 Firmen in
ganz Europa. Buchstäblich von einem Tag auf den anderen hatte die
Daimler AG in einem Schreiben an ihre Vertragsbetriebe festgehalten,
dass die Belieferung von Wiederverkäufern einen Bruch der
Vertragsbedingungen darstellen. "Das Thema ist klar geregelt", sagt
Mag. Bernhard Denk, Geschäftsführer des Importeurs: "Die
Servicepartner sind verpflichtet, Originalteile nur an Endverbraucher
oder andere zugelassene Werkstätten zu verkaufen, die ihren Sitz oder
ihre Geschäftsadresse innerhalb von EU und EFTA haben." Beliefern
dürfe man darüber hinaus freie Werkstätten, sofern diese die
Originalteile "für die Instandsetzung und Wartung von Fahrzeugen der
jeweiligen Konzernmarke" verwenden.
Mercedes selbst dürfte diese "klaren Regelungen" jedoch lange Zeit
nicht sehr ernst genommen haben. Dem Vernehmen nach waren es vor
allem konzerneigene Niederlassungen in Deutschland, die das Geschäft
mit dem freien Teilehandel im großen Stil und mit internationalen
Auswirkungen betrieben haben. In ganz Europa bildete sich eine
mehrere hundert Umsatzmillionen schwere Nische, in der findige
Händler Originalteile an Privatpersonen, Flottenbetreiber und freie
Werkstätten geliefert haben. Dabei handelt es sich keineswegs um
Hinterhofgeschäfte: Auch der Wiener Händler Kratoschka verfügt 16
Mitarbeiter, fünf Lieferfahrzeuge und einen Verkaufsraum, der optisch
so manches Autohaus in den Schatten stellt.
"Teile unter unserem Einstandspreis"
Dass Daimler nun einen strafferen Kurs einschlägt, wird bei den
Markenbetrieben nicht ablehnend betrachtet. Schließlich seien die
Vertragsbetriebe zu einem gewissen Teil Profiteure, noch stärker aber
Getriebene der bisherigen Situation gewesen, meint Dr. Alexander
Martinowsky, Vorstandsdirektor von Wiesenthal und europäischer
Mercedes-Händlersprecher: "Wir verzichten gerne auf gewisse Umsätze,
wenn dafür sichergestellt ist, dass der Hersteller seinen
Direktvertrieb einstellt und wir nicht mehr links und rechts mit
Originalteilen überholt werden, die teilweise unter unserem
Einstandspreis angeboten werden."
Wie steht es um die rechtlichen Rahmenbedingungen? Die europäische
Teilehändlervereinigung FIGIEFA nimmt sich noch einige Wochen Zeit,
um die Situation zu prüfen. Zwar hat sich die Europäische Kommission
die möglichst weit reichende Liberalisierung des Teilemarktes an die
Fahnen geheftet: Dass dies auch für Wiederverkäufer gilt, ist laut
Experten aberzweifelhaft.
Zwischen Rechtsanspruch und Realität
Für freie Werkstätten sieht die Situation dagegen besser aus
-zumindest auf den ersten Blick. Die EU-Kommission betonte in der am
1. Juni 2010 in Kraft getretenen "Service-GVO" ausdrücklich, dass die
"Beschränkung des Verkaufs von Kraftfahrzeugersatzteilen durch
Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems an unabhängige
Werkstätten" eine sogenannte Kernbeschränkung sei -also ein
Fehlverhalten des jeweiligen Autoherstellers, das
wettbewerbsrechtlich zum Entzug der Gruppenfreistellung führt. Am 8.
Juni 2011 legte die Kommission nach und verlangte in der Verordnung
Nr. 566/2011 unter anderem ein "gemeinsames strukturiertes Verfahren
für den Austausch von Daten über Fahrzeugbauteile zwischen
Fahrzeugherstellern und unabhängigen Marktteilnehmern". Die Rechte
der "Freien" wurden präzisiert, indem ein umfassender Zugang zu
Arbeitswerten sowie Wartungsund Reparaturinformationen gefordert
wurde. Im alltäglichen Werkstattgeschäft, kritisieren viele
Betroffenen, sei man davon aber noch weit entfernt.
Brief nach Brüssel
"Was nützt uns das Anrecht auf die Belieferung mit Originalteilen,
wenn wir dafür horrende Preise bezahlen müssen?", fragt Gerhard
Zeiner, Betriebsinhaber und Referent für freie Werkstätten in der
Bundesinnung der Kfz-Techniker. Dies sei aber gängige Praxis:
Ungebundenen Betrieben würden "nicht nachvollziehbare", teilweise
sogar zweistellige Aufschläge auf die Listenpreise verrechnet.
Markenwerkstätten könnten dagegen mit Teilerabatten "von oft bis zu
50 Prozent" rechnen. Eine ungleiche Ausgangsbasis, die selbst der
niedrigste Stundensatz nicht ausgleichen kann.
Zeiner hat daher eine Sachverhaltsdarstellung bei der
EU-Wettbewerbskommission eingebracht. Er hofft, dass sich Brüssel zur
Preisgestaltung im Teilehandel ebenso deutlich äußern wird wie
zuletzt zur Weitergabe von technischen Informationen. "Auch eine
direkte Lieferung der benötigten Ersatzteile durch die Importeure und
Hersteller an die ungebundenen Werkstätten zu denselben Konditionen
wie für die gebundene Werkstätten wäre eine wettbewerbsneutrale
Lösung", so Zeiner in seinem Schreiben.
Hersteller in der Pflicht
"Jegliche Abschottung des Ersatzteilmarktes beeinträchtigt die
Interessen der Autofahrer", unterstützt Fachjurist Dr. Friedrich
Knöbl die Argumentation des streitbaren Niederösterreichers. Die
Chancen auf ein weiteres Machtwort aus Brüssel stehen seiner Meinung
nach gut, handelt es sich doch um eine europaweite Problematik.
Parallel wäre die EU gut beraten, ein klares "Ja" oder "Nein" zur
Lieferung von Originalteilen an freie Händler zu formulieren.
In der Folge sind aber auch die Hersteller gefordert: Der anhaltende
Trend zur Liberalisierung verändert die Geschäftsgrundlagen ihrer
Vertragsbetriebe. Diese mussten sich den Eintritt in das
Werkstatt-und Handelsnetz teuer erkaufen. Wenn jedoch wesentliche
Teile der damit verbundenen Privilegien wegfallen, müssen auch die
Standards sinken. Überspitzt formuliert: Wer nicht mehr bekommt als
andere, der sollte auch nicht mehr bezahlen müssen.