Wer zahlt? Zahlt überhaupt jemand?

Wer zahlt? Zahlt überhaupt jemand?

Anwaltskanzleien, Konsumentenschützer, Einzelkämpfer: Wer will in Europa nach dem Dieselskandal am (lukrativen) Geschäft gegen den VW-Konzern und Daimler mitnaschen?

In den USA hat der VW-Konzern "klimageschädigte" Eigentümer diverser Diesel-Modelle großzügig abgefertigt. Für insgesamt 500.000 betroffene Autos wurde im Juli 2018 in einem gerichtlichen Generalvergleich ein Entschädigungspaket von 14,7 Milliarden Dollar zur Erledigung aller Sammelklagen akzeptiert.

So üppig wie in den USA wird es in Europa nicht zugehen. Weltweit waren beim VW-Konzern rund 11 Millionen Autos von einschlägigen Rückrufaktionen betroffen, davon 2,5 Millionen in Deutschland. Der VW-Konzern hat im Frühjahr 2019 den Gesamtschaden für alle Autokäufer und Aktienbesitzer mit 30 Milliarden Euro beziffert. Darin sind auch schon die Rückstellungen für alle anhängigen Gerichtsverfahren - in Deutschland rund 60.000 - eingeschlossen. Bei der Daimler AG sind europaweit 700.000 Fahrzeuge betroffen, davon 238.000 in Deutschland.

Ein Blick ins Internet zeigt, wer in Deutschland und Österreich im Kampf um diese "Kunden" an vorderster Front steht. So wirbt etwa die Rechtecheck GmbH in Nürnberg mit dem Slogan "Mehr Geld für Ihren Diesel". Auf der Plattform www.rechtecheck.de kann man in einem "Online-Sofort-Check" in einer Minute selbst berechnen, was bei welchem alten VW oder Mercedes an Entschädigung herausspringen könnte. Nicht ganz so smart sind die Werbungen der Anwaltskanzleien Dr. Timo Gansel, Dr. Stoll&Sauer, Mingers&Kreuzer oder Dr. Lehner&Sinnig. Darüber hinaus mischt die VFR Verlag für Rechtsjournalismus GmbH in Berlin mit ihrer App "bussgeldkatalog.org" in diesem Geschäft mit.

In Österreich bietet etwa der Rechtsanwalt Dr. Thomas Kainz unter www.legal-chambers.at Dieselgeschädigten seine Dienste an. Auf www.wienrecht.at findet man die Kanzlei von Dr. Benedikt Wallner und Mag. Isabella Jorthan, die mit dem deutschen Prozessfinanzierer Roland kooperieren. Dieser hat wiederum unter www.prozessfinanz-anwälte.de eine eigene Website eingerichtet, auf der sich Diesel-Geschädigte in ihrer Nähe den passenden Roland-Vertragspartner aussuchen können.

Das "legal-chamber" des Dr. Kainz hat erkannt, dass die österreichischen VW-Geschädigten längst von der Konkurrenz abgegrast wurden. Etwa vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) oder dem Verbraucherschutzverein (VSV), einer Gründung durch den ehemaligen VKI-Justiziar Dr. Peter Kolba und der ehemaligen ARBÖ-Generalsekretärin Mag. Lydia Kasper-Ninz. Diese beiden haben gemeinsam ein Buch über den "Diesel-Skandal bei VW" verfasst und kämpfen dagegen, dass "8,5 Millionen VW-Kunden in Europa mit Software-Updates abgespeist wurden".

25 bis 35 Prozent Erfolgshonorar

Sie haben sich "MyRight", ein Inkassobüro des US-Anwalts Michael D. Hausfeld, ins Boot geholt, mit dem auch "Rechtecheck" zusammenarbeitet. Dieses rühmt sich, bereits für 55.000 Kunden bei Dieselklagen das Prozessrisiko zu tragen, um dafür mit 25 bis 35 Prozent am Prozesserfolg mitzuschneiden. Wie auch "COBIN claims" - ein 2017 gegründeter Verein unter der Führung des ehemaligen Wirtschaftsredakteurs Mag. Oliver Jaindl, der sich auf Sammelaktionen im Bereich des Konsumenten- und Anlegerschutzes spezialisiert hat.

MyRight wirbt mit dem Slogan: "Bis zu 10.000 Euro zusätzlich für ihren Diesel". Aus der Sicht Hausfelds als "verdienter Schadenersatz im Abgasskandal". Er behauptet von sich, in Amerika etliche Milliarden Dollar Schadenersatz für Opfer von Diskriminierung, Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen erkämpft zu haben. Diese Eigenwerbung war seinem Berliner Anwaltspartner Dr. Christopher Rother möglicherweise doch zu vollmundig: Er verabschiedete sich jedenfalls Anfang 2019 von Hausfeld; dennoch stehen ihm in diesem Mammutverfahren gegen VW in Deutschland immer noch rund 20 Anwaltspartner zur Seite.

Seit Anfang 2019 ist nun Mercedes ins Visier der Dieselgate-Promotoren geraten. Kainz und dessen Berufskollegen werben daher mit dem Slogan "Nach VW kommt nun auch Mercedes" um neue Kanzlei-Kundschaft. Kainz informierte auf seiner Homepage Interessenten nicht nurüber die Diesel-Gate-Rücktrittsmöglichkeiten, sondern auch über den Widerruf von Finanzierungs- und Leasingverträgen. Der sei dann "besonders lukrativ", wenn sie nach dem 12. Juni 2014 abgeschlossen wurden. "Aus unserer Sicht ermöglicht Ihnen der Widerruf in solchen Fällen die Abgabe des Fahrzeugs, im Gegenzug aber vor allem den Rückerhalt der Anzahlung für das Fahrzeug und aller gezahlten Raten. Lediglich die Zinsen würden der Bank bleiben."

AUTO&Wirtschaft war mit einem konkreten Fall eines vom Dieselskandal betroffenen gut fünf Jahre alten Mercedes ML 250 CDI konfrontiert. Betroffen war ein Händler, der nicht zum MBÖ-Netz gehört, der das Auto als Gebrauchtwagen an einen Kunden verkauft hatte. Doch dieser Händler ist der erste Ansprechpartner des Konsumenten, der nun die Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangte. Wir stellten einige Fragen, wie ein derartiger Händler nun vorzugehen hat, wie er seinen Schaden von der Daimler AG oder ihrer Mercedes-Benz Österreich GmbH ersetzt erhält. "Übernimmt bzw. unterstützt Daimler die Prozessführung mit den auf Dieselgate spezialisierten Prozess-Finanzierern oder muss der Händler den Prozess vorfinanzieren? Welche Vergütungsregelungen gelten für Händler von Gebrauchtfahrzeugen, wenn ein Zweitbesitzer den Kaufpreis zurückverlangt?"

Schließlich könnte ein derartiger Fall bei cleveren Rechtsanwälten durchaus Schule machen. Doch wir erhielten leider nur die Auskunft, dass man zu derartigen "internen Abläufen generell keine Auskünfte gebe". Der betroffene Händler lässt es dennoch auf einen Prozess ankommen. Und der ebenfalls mit dieser Thematik konfrontierte steirische Händler Franz Matzhold verkauft gebrauchte Mercedes- und VW-Diesel künftig nur noch mit der Vertragsklausel, dass der Käufer auf allenfalls "fehlerhafte Abgaswerte bzw. eine vom Hersteller benutzte Manipulationssoftware" aufmerksam gemacht wurde.

Der Widerrufs-Joker

Deutsche Anwälte haben die Möglichkeit entdeckt, mit einem "Auto-Widerrufsjoker" Auto-Leasingverträge aus den Angeln zu heben. Im deutschen ntv wurde dazu berichtet: "Der sogenannte Widerrufsjoker hat vielen privaten Kredit- und Leasingnehmern geholfen, eine Finanzierung zu widerrufen und die Rückabwicklung zu erreichen. Grund sind diverse Formfehler, die Kreditinstitute gemacht haben. Diese führen dazu, dass die Widerrufsfrist von 14 Tagen nicht zu laufen beginnt. Hat der Verbraucher beispielsweise ein Auto über einen Kredit- oder Leasingvertrag erworben, so kann er mit dem Widerrufsjoker die Rückgabe seines Fahrzeugs erwirken."

Ob dies wirklich so funktioniert, hatte der Bundesgerichtshof zu klären. Grundsätzlich scheint dies wirklich zu funktionieren. Allerdings wurden zwei Klagen aus Auto-Kreditverträgen gegen die BMW Bank und die Ford Bank (BGH XI ZR 650/18 und 11/19 vom 5.11.2019) abgewiesen. Die entsprechenden Verträge enthielten zwar Widerrufsinformationen über die 14-tägige Widerrufsfrist: "Soweit das Darlehen bereits ausbezahlt wurde, haben Sie es spätestens innerhalb von 30 Tagen zurückzuzahlen ... Die Frist beginnt mit der Absendung der Widerrufserklärung."

Doch die Anwälte meinten, die Widerrufsaufklärung habe nicht "klar und verständlich über die Widerrufsfolgen und das außerordentliche Kündigungsrecht" informiert. In den konkreten Fällen vertritt der BGH nun die Ansicht, dass die Aufklärungsverpflichtungen nicht überspannt werden dürfen. Der Jahre später gestartete Versuch einer Rückabwicklung des Autokaufs und der zugehörigen Finanzierungsvereinbarung blieb daher erfolglos.