Keine Zukunftsmusik

Keine Zukunftsmusik

Autonomer Traktor von Case IH

Autonome Vehikel sind bereits real, die Anwendung im Straßenverkehr ist allerdings sicher nicht das erste Einsatzgebiet. In der Luft, aber auch in der landwirtschaftlichen Nutzung ist man schon weiter.

Auf YouTube finden sich actiongeladenere Videos als dieses: Zu sehen sind zwei F/A-18 Kampfbomber der US-Streitkräfte im minutenlangen Formationsflug. Kaum zu erkennen ist, wie dann von einem ein paar, vergleichsweise winzige Flugkörper ausgestreut werden. „Dispense complete“, meldet der Pilot, Verteilung abgeschlossen. Was da „verteilt“ wurde, ist ein autonom operierender Schwarm sogenannter Perdix-Drohnen, die man dann dabei beobachten kann, wie sie eigenständig miteinander kommunizieren und ohne Eingriff von außen Ziele auskundschaften. In diesen Drohnen kommt künstliche Intelligenz zum Einsatz, die als Vorreiter für den Verkehr der Zukunft dient.

„Die Militärs der großen Mächte sind ganz intensiv daran, hochautomatisierte und teilautonome Systeme für den Krieg der Zukunft zu bauen“, erklärt Prof. Dr. Walter Brenner, der an der Uni St. Gallen lehrt und forscht. Dies lasse sich durch Einblick in die Ausschreibungen des Pentagons, genauer der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), leicht belegen. Gemeinsam mit Co-Autor Prof. Dr. Andreas Herrmann hat Brenner 2018 das Buch „Die autonome Revolution“ veröffentlicht, in dem die Grundlagen und Auswirkungen des autonomen Fahrens umfassend beleuchtet werden.

In diesem Video sehen Sie den Einsatz von Drohnen im Zivilbereich, nämlich bei der Austrian Power Grid:

 

Die Landwirtschaft als Vorreiter
In Arbeitsbereichen, die nicht die Komplexität des Straßenverkehrs aufweisen, ist „autonomes Fahren“ heute deutlich weiter als im Automotive-Sektor. Im Landmaschinenbereich stehen Entwicklungen diverser Hersteller unmittelbar vor der Marktreife. Traktorenhersteller Fendt arbeitet am „Xaver“, einem vollautomatischen, im Schwarm operierenden Mini-Roboter für die Aussaat. Der US-Konkurrent Case IH testet bereits seit 2016 einen fahrerlosen autonomen Traktor. Und John Deere präsentierte 2018 ein eigenes, elektrisch betriebenes Modell.

 

Neben Ackerflächen kommen auch Lager oder abgeschlossene Firmengelände für den Einsatz autonomer Transportsysteme infrage. Der Straßenverkehr hingegen ist mit seiner hohen Komplexität der denkbar schwierigste Anwendungsfall für autonomes Fahren.

Nichtsdestotrotz ist Brenner felsenfest davon überzeugt, dass autonom fahrende Automobile im Kommen sind, welche die Gesamtkosten des Verkehrs ebenso drastisch senken werden wie die Zahl der Verkehrstoten. „Allerdings herrscht große Begriffsunklarheit, wenn man über autonomes Fahren spricht“, bringt Brenner die Einstufung nach 5 Stufen ins Spiel. „Wir stehen heute bei Level 2, das ist assistiertes Fahren. Schon für den Sprung auf Level 3 stellen fehlende gesetzliche Regelungen eine beachtliche Hürde dar, die man gerade zu bewältigen versucht. Die Autohersteller werden nur das auf die Straße bringen, was auch tatsächlich fahren darf, selbst wenn sie technisch schon mehr können.“ Wolle man autonome Fahrzeuge auf Level 5 – also ohne Lenkrad –, sei das eine noch ungleich komplexere Materie.

Ungeklärte Fragen
Neben der rechtlichen Komponente, der noch nötigen technischen Entwicklung sowie der Frage der Kundenakzeptanz ist auch die Infrastruktur ein Hemmnis – vor allem in europäischen Städten mit ihren schmalen Straßen und denkmalgeschützten Gebäuden „eine nicht triviale Herausforderung“. In Asien – etwa in China oder Singapur – baut man ganze Städte im Hinblick auf autonome Transportsysteme. Dort ist – politischer Wille vorausgesetzt – auch die gesetzliche Hürde niedriger.

Derzeit macht die Hardware etwa 90 % des Wertes eines Autos aus, durch mehr und neuartige Sensorik sowie daraus resultierende Datenmengen wird das in Richtung Software verschoben. „Die Programme in einem modernen Premium-Auto sind etwa 80 Mio. Code-Zeilen lang. Man schätzt, dass ein autonom fahrendes Fahrzeug etwa 500 Mio. Zeilen benötigt“, rechnet Brenner vor. Produktion und Wartung der Software, aber auch die Rechner, auf denen sie läuft, nehmen größere Teile der Wertschöpfungskette ein.

Dadurch kommen IT-Firmen als neue „Zulieferer“ ins Spiel. Dass sich die Giganten aus dem Silicon Valley bei dieser Gelegenheit gleich die ganze Branche „einsacken“, glaubt Brenner allerdings nicht, trotz prall gefüllter Sparschweine und Versuchsballons wie dem Google Car.

„Ganz ausschließen will ich es nicht, dass sich Firmen wie Amazon oder Facebook auf dem Wege der Akquisition in den Markt einkaufen. Aber haben solche Unternehmen überhaupt Interesse an einem Geschäft, das auch mit negativen Begleiterscheinungen wie Verkehrsunfällen behaftet ist?“ Außerdem habe die klassische Industrie den Vorteil, dass sie im Umgang mit komplexen Regulierungen und riesigen physischen Produktionseinheiten erfahren ist.

Kein Grund zur Besorgnis also für die Platzhirsche? „Die größte Herausforderung für die klassischen Hersteller ist es, dass sie die digitale Transformation bewältigen müssen. Das wird einigen gelingen, aber sicherlich nicht allen.“ •