Was braucht’s zum Reparieren?

Was braucht’s zum Reparieren?

Die Kfz-Reparatur wird immer komplexer – kann man Fahrzeuge ohne Markenvertrag zukünftig überhaupt noch reparieren?

Es war nur ein Nebensatz im Vortrag von Jürgen Stackmann auf dem heurigen Automobilwoche-Kongress in Berlin, aber er ist wohl geeignet, bereits vorhandene Befürchtungen bei Betreibern kleiner Werkstätten noch anzufachen. „Ich halte viel von Service Factories“, gab der im VW-Vorstand für Aftersales zuständige Top-Manager zu Protokoll. „Service kann industrialisiert werden.“

Die Werkstatt auf dem Weg zur Service-Industrie? „Ich denke, natürlich wird es die kleinen freien Werkstätten in 10 Jahren noch geben – aber weniger als heute“, prognostiziert Thomas Posch von Derendinger, den wir zu aktuellen Entwicklungen und Zukunftsaussichten in Sachen Werkstattausrüstung befragen. Wer bei diesen dabei sein wolle, dem könne man nur raten, up to date zu bleiben, sich zu informieren und mit der Zeit zu gehen. „Das klassische Servicegeschäft mit den bisher fixen Einnahmequellen – Öl, Bremsen, Luftfilter – geht jetzt schon zurück.“ Um von neuen Leistungen – durch Assistenzsysteme wie Radar, Kameras und dergleichen – profitieren zu können, müsse man erst einmal kräftig investieren. Was ein Ausscheidungskriterium darstellen könne, „wer da mitgehen kann und wer nicht“.

Sollte sich das Elektroauto durchsetzen, wird das Problem weiter verschärft, weil ganze -Reparaturthemen ersatzlos wegfallen. „Wenn Sie sich einen Tesla anschauen: Was außer der Karosserie greift eine kleine freie Werkstatt von heute da noch an?“ spielt Posch u.a. auf Software-Updates over-the-air an.

Überhaupt bleibt die Frage, was es an modernen Modellen für die Freien noch zu reparieren gibt, wenn die Hersteller nur das gesetzliche Mindestmaß an Daten freigeben. Und wenn die heute topmodernen Fahrzeuge einmal als Gebrauchte in der freien Werkstatt ankommen – wird eine zeitwertgerechte Reparatur der teuren Systeme überhaupt rentabel sein?

Selbst wer in teure Geräte für Kalibrierung investiert, steht vor dem Problem, ob sich die Investition je amortisiert. Ob eine Kalibrierung von Radar- oder Kamerasystemen überhaupt nötig sei, darüber entscheide die Strategie des Herstellers. Bei BMW etwa erfolge das Kalibrieren durch eine Kalibrierungsfahrt. Die steigende Komplexität der Werkstattausrüstung macht Systemberatung zum Wort der Stunde. „Es stellt sich weniger die Frage, welches Gerät angeschafft wird, sondern vielmehr, in welche Service-Bereiche es sich lohnt zu investieren und zu spezialisieren“, so Posch.

Netzausdünnung braucht Mehrmarkenbetriebe

Gleichzeitig ändert sich die Situation bei den Auto-mobilherstellern hinsichtlich der Vertriebs- und Servicenetze, diese werden nämlich seit Jahren ausgedünnt. Einerseits ist es für den Hersteller teuer, sein Netz zu betreuen, andererseits rechnen sich die wachsenden Verkaufs- und Service-Standards für die Betriebe einfach nicht mehr.

Das mag in Paris, Berlin und Wien funktionieren, auch in Salzburg und Graz kann man solche Betriebe mit nur einer Marke gut auslasten. Ganz anders die Situation aber im ländlichen Bereich, wo die Auslastung und damit der notwendige Ertrag mit einer Marke, die nur einen geringen Marktanteil besitzt, auf Dauer nicht mehr erzielbar sein wird.

Diese Betriebe werden sich auf die Reparatur mehrerer Marken verlegen müssen, oder es etablieren sich generell freie Betriebe. Denn das wirkliche Geschäft ist bekanntlich nicht in den ersten drei Jahren zu machen, sondern erst nach der Garantiezeit, wenn Verschleiß und Reparaturen losgehen. Die Komplexität der Fahrzeuge wird dafür sorgen, dass die Autos bis ins hohe Alter einen Spezialisten brauchen, der die technische Ausrüstung besitzt, „Nachbarschaftshilfe“ ist Geschichte.

Die Chancen sind also intakt, egal ob Markenwerkstätte mit Kompetenz für mehrere Marken oder gänzlich freie Betriebe. Nutzen wird sie freilich nur können, wer sich werkstatt- und mitarbeitertechnisch (siehe dazu auch die nächsten Seiten) auf die Zukunft vorbereitet und geistig offen ist. •

(Text: Bernhard Katzinger & Gerald Weiss)

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