Der Reifen soll im Mittelpunkt bleiben

Der Reifen soll im Mittelpunkt bleiben

Dr. Kristjan Ambroz (Semperit), Martin Krauss (Bridgestone), Gu?nther Riepl (Falken), Harald Kilzer (Apollo Vredestein) und Philipp Ostbomk (Michelin) (v.l.n.r.)

Der Winter naht und die Reifenbranche hofft geschlossen auf Schnee und Eis. Ob digitale Services künftig mehr in den Fokus rücken oder Nebengeräusch bleiben, daran scheiden sich die Geister.

Wie ist das Jahr 2018 bislang verlaufen und was erwarten Sie für das aktuelle Winterreifengeschäft?

Harald Kilzer, Apollo Vredestein: 2018 ist bislang ein sehr durchwachsenes Geschäftsjahr. Die Ergebnisse sind in Anbetracht der letzten Ereignisse zufriedenstellend. Es hat sich einiges in der gesamten Branche verändert und wir, genauso wie der Reifenfachhandel, müssen weiter lernen damit umzugehen. Für das Winterreifengeschäft werden Verfügbarkeit und bestmögliche Logistiklösungen Schlüssel zum Erfolg sein. Da wir in beiden Bereichen gut aufgestellt sind, sehen wir dem Winter optimistisch entgegen.

Günther Riepl, Falken: Wir sind aufgrund der bekannten Änderungen am österreichischen Markt zufrieden mit dem bisherigen Verlauf. Unsere Produkte sind gut angenommen worden und auch die Sommerreifen- Lagerbestände sind bei unseren Kunden und Partnern auf einem der Jahreszeit entsprechenden Niveau. Für das kommende Wintergeschäft sind wir optimistisch, unseren Trend mit den bewährten Produkten fortsetzen zu können. Unsere Produkte Eurowinter HS01 und Eurowinter Van01 zeichnen sich durch exzellentes Preis-Leistungs-Verhältnis aus. Unterstützt werden die Verkäufe auch heuer durch unsere Aktion „Falken sagt Tanke!“

Wolfgang Stummer, Goodyear: Der Trend eines leicht rückläufigen Sommermarktes hat sich auch bei uns bemerkbar gemacht. Geringe Zugewinne gibt es im All-Season-Bereich. Das Wintereinlagerungsgeschäft ist sehr gut gelaufen. Jetzt folgt das Warten auf einen frühen und strengen Winter.

Kristjan Ambroz, Semperit: Das Frühjahrsgeschäft ist für uns zufriedenstellend verlaufen. Die Einlagerungsphase für Winterreifen hat eher schleppend begonnen, derzeit sind wir im Soll. Ein früher Wintereinbruch würde der gesamten Branche sicher helfen.

Philipp Ostbomk, Michelin: Das Sommergeschäft entsprach den Erwartungen, die Verfügbarkeit konnte deutlich verbessert werden und unsere UHP-Produkte behaupten sich erfolgreich. Für den Winter freuen wir uns über die Einführung des Alpin 6. Die Dispositionen sind auf gutem Niveau, wie immer entscheiden nun der Oktober und November maßgeblich über den Jahreserfolg. Auch hier spielt das Thema Verfügbarkeit eine große Rolle. Im Bereich der 2. Linie helfen uns die positiven Testergebnisse. Wir und unsere Kunden sind gut gerüstet.

Michael Lutz, Cooper Tires: Für Cooper Tires ist das Jahr 2018 bisher nach unseren Planungen und Vorstellungen gelaufen. Gerade unsere Stärke in der Nische 4x 4 hat uns geholfen. Wir sehen im Moment auch gute Möglichkeiten, uns weiter im M+S zu etablieren. Unser erster Ganzjahresreifen AT3 4S erfreut sich großer Nachfrage.

Martin Krauss, Bridgestone: Wir konnten das positive Momentum aus dem letzten Jahr mitnehmen und nicht zuletzt aufgrund unserer neuen Produkte – allen voran der neue Sommerreifen Turanza T005 – unseren Wachstumskurs fortsetzen. Das konsequente und zuverlässige Auftreten gegenüber und die gemeinsame Marktbearbeitung mit unseren Kunden zeigt, dass wir uns als strukturierter Partner auf Augenhöhe etablieren. Unsere Kunden sind optimal vorbereitet und wir wünschen allen unseren Partnern eine erfolgreiche Wintersaison.


Wie hat sich der Markt nach den Insolvenzen verändert? Wer hat das Geschäft übernommen und davon profitiert (inländische oder ausländische Händler, regionale Partner, …)?

Ambroz: Das Exportgeschäft entfällt fast gänzlich und wird von ausländischen Großhändlern übernommen. Beim zweiten Bereich – dem klassischen Großhandel – ist die Entwicklung noch nicht ganz klar. Teils weicht man auf internationale Online-Händler aus, teils wird das Geschäft von anderen österreichischen Großhändlern übernommen.

Kilzer: Die größten Veränderungen nach den Insolvenzen gab es im Bereich der Kreditversicherer. Es ist in diesem Bereich unumgänglich geworden, dass Händler und Lieferanten an einem Strang ziehen. Profitiert haben alle Kanäle, besonders aber die umliegenden Fachhändler sowie auch die ansässigen Autohäuser. Zu Beginn des Jahres witterten einige ausländische Händler ihre Chance, was aber von der heimischen Branche gut abgewehrt wurde. Lutz: Unserer Meinung nach ist der Markt trotz der Veränderungen stabil geblieben. Natürlich verändern sich einige Vertriebskanäle, aber negative Auswirkungen bei unseren Partnern sehen wir nicht. Wir werden aber weiter den Markt beobachten.

Stummer: Es hat sich gezeigt, dass bei großen Insolvenzen die Geschäftsverlagerung nicht direkt nachvollziehbar ist. An den POS gibt es regionale Gewinner, im Großhandel verteilt sich der Kuchen auf lokale und internationale Player sowie den B2B-Online- Handel.

Ostbomk: Es gibt durchaus einige Händler die sich Teile des Wiederverkaufsgeschäftes sichern konnten. Der regionale Großhandel konnte mit seinen Stärken in der Dienstleistung punkten, egal ob im Bereich 2 Rad, Pkw oder AS. Leider ging ein Teil des Großhandelsgeschäftes auch ins Ausland. Natürlich haben sich diese Insolvenzen auf die Zusammenarbeit mit unseren Kunden wie auch mit den Kreditversicherern ausgewirkt, die Verunsicherung und Unruhe ist vielerorts zu spüren.

Riepl: Einige Standorte der Firma Reifen Bruckmüller sind von inländischen Händlern übernommen worden und bleiben somit am Markt bestehen. Im Großhandel haben sich die Geschäfte auf inländische Händler – welche österreichweit einen Großhandel betreiben – sowie auf Händler in der jeweiligen Region und auf ausländische Anbieter aufgeteilt. Wie sich diese Änderungen auswirken, wird man im nächsten Jahr sehen, wenn sich alles stabilisiert hat.

Krauss: Der Reifenmarkt in Österreich hat, wenn man den Europool betrachtet, zwar etwas an Pkw-Volumen verloren, jedoch konnte ein beachtlicher Teil des Geschäftes durch den österreichischen Reifenhandel aufgefangen werden. In den Gebieten der insolventen Händler vermerkten unsere Kunden teils große Nachfrage von lokalen Autohäusern, kleineren B-Händlern oder Werkstätten. Auch die Anfragen im Hofgeschäft haben sich gehäuft.


Auf der Tire Cologne ist das Produkt Reifen in den Hintergrund gerückt. Mit welchen Dienstleistungen und Lösungen wird Ihr Unternehmen in Zukunft punkten?

Stummer: Der Reifen rückt nicht in den Hintergrund, zumal er das Hauptprodukt der Branche ist. Aber Dienstleistungen rund um das Reifengeschäft und das Autoservice sowie neue Mobilitätslösungen gewinnen an Bedeutung. Diesen Anforderungen tragen wir mit unseren Konzepten Rechnung – dem preisgekrönten Photosynthese-Reifen „Oxygene“, dem intelligenten Reifeninformationssystem für Kommunikation zwischen Reifen und Flottenmanager in Echtzeit oder unseren vernetzten Services für Nutzfahrzeuge „Proactive Solutions“.

Kilzer: Für Apollo Vredestein steht der Reifen weiterhin im Mittelpunkt und wir haben die Tire genutzt, um unsere Premium-Neuheiten wie den Vredestein Wintrac Pro, den Apollo Aspire XP Winter, unsere Apollo Lkw-Palette u. a. zu präsentieren. Dennoch arbeiten wir mit Hochdruck daran, unsere Dienstleistungen und Lösungen für unsere Partner in Zukunft auf ein noch höheres Niveau zu rücken.

Lutz: Wir sehen das nicht so stringent. Das Produkt wird weiter im Fokus stehen. Darüber hinaus gibt es aber einige Veränderungen, die zusätzliche Möglichkeiten aufzeigen. Ein Punkt wird eine veränderte Logistik sein. Wir werden mit unseren Partnern verschiedene Ansätze erörtern.

Riepl: Dass das Produkt Reifen in den Hintergrund gerückt wurde, können wir aus der Messe in Köln nicht ableiten. Der Reifen bleibt das wichtigste Bindeglied zwischen Fahrzeug und Straße. Das Interesse an den ausgestellten Produkten war groß. Betreffend die Zukunft werden wir unseren eingeschlagenen Weg fortsetzen und weiterhin daran arbeiten, ein verlässlicher und loyaler Partner für unsere Kunden zu sein.

Ambroz: Mit dem breiten Knowhow des Continental-Konzerns können wir unsere Händler sowohl bei technischen als auch bei elektronischen Herausforderungen unterstützen. In-house-Lösungen für die Bereiche Software- und IT, aber auch strukturelle Unterstützung wie Prozessmanagement bieten wir bereits an. Jedenfalls wird es notwendig sein, weiterhin ein verlässlicher Partner zu sein.

Ostbomk: Bei Michelin stehen nach wie vor der Kunde und das Produkt im Vordergrund. Wir haben gerade unsere gesamte Winterreifenrange im Pkw-Bereich mit dem Alpin 6, dem Pilot Alpin PA5 und dem Pilot Alpin PA 5 SUV erneuert. Diese Premium-Winterreifen liefern nicht nur im Neuzustand Top-Performance, sondern halten über die gesamte Lebensdauer ein hohes Leistungsniveau. Die Digitalisierung schreitet rasant voran: Mit dem Michelin Track Connect haben wir heuer einen vollvernetzten UHP-Reifen präsentiert, der bereits zweimal als Innovation des Jahres ausgezeichnet wurde. Hierzu zählen beispielsweise Lösungen und Apps zum Trailermanagement oder das Reifenmanagement für Spediteure.

Krauss: Der Reifen wird auch weiterhin unser Kerngeschäft bleiben. Auf dem Pariser Automobilsalon haben wir heuer unsere Solutions „Mobox“ und „My Speedy“ vorgestellt. Mobox ist ein monatlicher All-Inclusive-Aboservice für reifenbezogene Dienstleistungen. „My Speedy“ ist eine zukunftsweisende Reifen- und Fahrzeugwartungslösung mit Telematik-Dongle und App. Beide Produkte werden in den nächsten Jahren schrittweise in weiteren europäischen Ländern eingeführt.


Wie werden kommende Technologien wie die umfassende Reifensensorik („smart tire“), Telematik sowie elektronische Kundenbindungs- und Reparaturlösungen das Geschäft für den Reifenspezialisten verändern?

Ambroz: Das Umfeld des klassischen Reifenspezialisten ist ja bereits seit Jahren im Wandel, RDKS war der Vorläufer. Veränderungen bringen aber auch Chancen mit sich. Diese neuen Felder zu besetzen wird ebenso wichtig sein, wie den (End-)Kunden über Zusatzleistungen und -lösungen an sich zu binden, sei es beispielsweise über das Kunden-Depot oder andere Ideen, die dem Kunden einen Mehrwert bieten.

Riepl: Im Rahmen unseres „Smart Tyre Konzeptes“ werden wir zukünftig verschiedenste Technologien miteinander kombinieren, um den Reifen als Sensor nutzbar zu machen. Zusammen mit der digitalen Vernetzung im Fahrzeug kann ein Falken-Reifen zukünftig Informationen zur Profiltiefe, zum Luftdruck, zum Beladungszustand des Autos und auch zum Zustand der Fahrbahn melden. Der Reifenhändler erhält – wenn die Kunden einer Datenweitergabe zugestimmt haben – Informationen, die er nutzen kann, um individuelle Dienstleistungen anzubieten. Dies kann dem Händler helfen, seine Einlagerungsprozesse zu optimieren und seinen Warehousestock besser zu steuern. Zudem könnte er beim Auslesen der Daten Rückschlüsse auf überwiegende Nutzungsbedingungen ziehen und dem Kunden genau den für ihn geeigneten Reifen empfehlen.

Stummer: Diese Veränderungen erfolgen nicht schlagartig. Es ist genug Zeit, sich neues Wissen anzueignen, ihre Mitarbeiter zu schulen und die technischen Voraussetzungen für Wartung und Reparatur zu schaffen. Veränderungen im Alltag eines Reifenfachbetriebes hat es auch in der Vergangenheit gegeben.

Ostbomk: Die gewonnenen Daten erlauben eine bessere Planung und Steuerung der notwendigen Wartungsleistungen und somit auch effizientere Management- Konzepte. Der Zugriff auf die Daten spielt dabei eine wichtige Rolle. Neue Technologien und neue Mobilitätskonzepte eröffnen für den Reifenhandel Chancen – etwa neue Dienstleistungen.

Kilzer: Dieses Thema wird weitere Veränderungen unserer Branche mit sich bringen und der Ansatz sollte sein, dass dafür gesorgt wird, dass zukünftig die Reifenspezialisten die gleichen Voraussetzungen wie die Fahrzeughersteller mit ihren Niederlassungen haben. Aus diesem Grund ist es für mich auch so wichtig, dass das Thema „Emotionen“ im Bezug auf Reifen weiter forciert wird, da Emotionen von Menschen besser verkauft werden, als das digitalisierte Lösungen können.

Lutz: Die neuen Technologien werden dem Fachhandel helfen, sich wieder als Spezialist zu etablieren. Dazu gehören aber auch entsprechende Investitionen und geschulte Fachleute vor Ort.

Krauss: Wir beobachten momentan in vielen Bereichen des Lebens einen durch die zunehmende Digitalisierung getriebenen Wandel, bei dem der Endverbraucher den Kauf von Gütern durch den Kauf von Services bzw. Service-Abos ersetzt – so zum Beispiel beim Carsharing. Auch im Bereich der Reifen- und Fahrzeugservices ergeben sich durch die technologischen Fortschritte viele Möglichkeiten, eine stärkere Beziehung zum Kunden aufzubauen. •