Staatsanwalt spart Rechtsanwalt

Staatsanwalt spart Rechtsanwalt

Ein aktueller Fall beweist, dass auch erfahrene Kfz-Techniker bei „Pickerl“-Überprüfungen sehr genau arbeiten sollten.

Als der Kfz-Meister Martin Heinrich im vorigen November einen älteren Hyundai Tucson begutachtete, ahnte er nicht, dass er sich damit eine Anklage wegen Amtsmissbrauchs einbrocken wird. Seit er 1990 seine Gesellenprüfung abgelegt hatte, war er mit derartigen Überprüfungen betraut. Erst nur als Helfer, seit 2010 als verantwortlicher Prüfer. Rund 130 Gutachten führt er im Auftrag seiner Chefin Sylwia Pikul monatlich in deren Betrieb nahe Gloggnitz durch. 27 Jahre Prüfpraxis, ohne dass es je eine ­Beanstandung gegeben hätte.

Auch bei dem Hyundai, den ihm sein Branchenkollege Dumitru Iuncu aus Neunkirchen im Auftrag seines Kunden Vladimer M. vorbeibrachte, war nichts besonders auffällig. Der hatte 173.623 Kilometer am Buckel und wies dem Alter entsprechend einige schwere Mängel auf. Aufgrund trüber Scheinwerfer, einer nicht greifenden rechten hinteren Feststellbremse und einem nicht funktionierenden rechten Nebelscheinwerfer wurde Iuncu ohne Pickerl zur Mängelbehebung wieder nach Hause geschickt.

Eine Woche später vereinbarte Iuncu für den zwischenzeitig reparierten Hyundai einen neuerlichen Prüftermin. Die Feststellbremse erbrachte am Prüfstand nun die erforderlichen Bremswerte; die Nebelscheinwerfer funktionierten und die trüben Scheinwerfer hatten offenbar durch Schliff und frischen Lack eine bessere Strahlkraft bekommen. Heinrich stellte die beantragte positive Prüfurkunde aus.

Einen Tag später fand Daniela Raml diesen Hyundai in „autoscout24“ um 3.500 Euro zum Kauf angeboten. Da sie gerade ihr eigenes Auto verkauft hatte und nicht besonders flüssig war, suchte sie in dieser Preisklasse einen Ersatz. Bei der Probefahrt störte sie eine ruckelnde Kupplung. Sie wurde von Vladimer M. beruhigt, dass diese nur nachzustellen sei. Was er auch ausdrücklich auf dem von der Käuferin verfassten Kaufvertrag bestätigte und 200 Euro ­Rabatt einräumte.

Als sich einige Tage nach der Anmeldung beim Tucson der Türgriff vom Fahrzeug löste, eilte Raml zu ihrer Werkstätte, die ihr auch gleich die Kupplung nachstellen sollte. Sie erhielt die Auskunft, dass die Kupplung nicht nachzustellen, sondern um 1.500 Euro zu erneuern sei. Überdies wurde ihr empfohlen, ihr Auto vom ÖAMTC überprüfen zu lassen. Der stellte bei seinem Test neben einigen leichten auch schwere Mängel fest – weshalb „Gefahr im Verzug“ gegeben sei.
Frau Raml hatte weder Geld noch Interesse, diese zu beheben. Angesichts der vom ÖAMTC festgestellten „Gefahr im Verzug“ wollte sie bloß ihr Auto wieder loswerden und von Vladimer M. ihr Geld zurück­bekommen. Wozu dieser wiederum keine Lust hatte.

Die Polizeiinspektion Ternitz sah sich aufgrund ihrer Anzeige veranlasst, am 03.01.2018 der Staatsanwaltschaft einen „Abschluss-Bericht“ zu übermitteln. Quasi eine „pfannenfertige“ Anklage, in welcher der Verkäufer des schweren Betrugs und Martin Heinrich des Missbrauchs der Amtsgewalt beschuldigt wurden. Der Verkäufer habe mithilfe von Heinrich Frau Raml durch Vortäuschen eines verkehrs- und betriebssicheren Autos beim Kauf in die Irre geführt und sich damit einen höheren Kaufpreis erschlichen. Ein Verfahren, dem sich Frau Raml flugs als Privatbeteiligte anschloss.

Aufgrund dieses Abschluss-Berichtes gab die Staatsanwaltschaft ihrem Gerichtssachverständigen den Auftrag, das Auto näher unter die Lupe zu nehmen. In diesem amtlich eingeholten Gutachten kam Ing. Michael Schrammel zur Beurteilung, dass der – nach wie vor in Betrieb befindliche – Hyundai von Frau Raml durchaus seinen Preis wert gewesen sei. Die rupfende Kupplung sei eine Eigenheit dieses Modells. Der Betrugsvorwurf gegen den Käufer war damit vom Tisch. Doch verwies Schrammel auf jene schweren Mängel an Feststellbremse, Nebelscheinwerfer und Scheinwerfer, die schon dem ÖAMTC aufgefallen seien. Weshalb auch 12.281 Kilometer nach dem positiven Gutachten des Prüfers Heinrich „Gefahr im Verzug“ gegeben sei. Was für eine Anklage gegen den Prüfer Heinrich ausreichte.

Erst die Schöffenverhandlung am 19. 07. 2018 brachte Klarheit. Schrammel hatte von der Staatsanwaltschaft offenbar nur den Auftrag, das Auto im derzeitigen Zustand zu untersuchen. Er hatte aber keinen Auftrag, die Erkennbarkeit dieser schweren Mängel bei Heinrichs zweiter Begutachtung zu überprüfen. Seine Gutachtensausführungen „Mängel wurden nicht behoben“, seien nicht als Befund, sondern nur als seine persönliche „Schlussfolgerung“ zu verstehen, dass Heinrich nicht ordnungsgemäß geprüft habe. Die Einvernahme des Zeugen Iuncu ergab: Diese von Heinrich bei seiner ersten Überprüfung aufgezeigten Mängel waren zwischen den beiden Begutachtungen tatsächlich behoben worden.
Letztlich kam Schrammel zur Einsicht, dass aus technischer Sicht davon auszugehen sei, „dass durch unsachgemäße Reparaturen Mängel vertuscht werden können“. Das sei offenbar auch beim Hyundai der Fall gewesen. Dies könne dazu führen, dass „Prüfer bei ihrer Prüfung getäuscht werden“. Die Prüfer haben jedoch aus seiner Sicht „bei einer hohen Kilometerzahl, einem hohen Alter und einem augenscheinlich schlechten Gesamtzustand eine besonders aufmerksame Überprüfung durchzuführen“. Diesen Maßstab habe er bei seinem Gutachten ­berücksichtigen müssen.

Diese Ansicht wurde vom Gericht nicht geteilt. „Es ist nicht zu beurteilen, ob mehr oder minder sorgfältig geprüft wird, sondern ob Amtsmissbrauch durch wissentlichen Missbrauch der Prüfbefugnis vorliegt. Das ist letztlich eine rechtliche Beurteilung“, begründete der Vorsitzende den Freispruch des Schöffensenats und verwies die Forderung der nicht zur Verhandlung erschienenen Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg.

Das Verfahren hat gezeigt, dass ein Sachverständiger bei einem Gerichtsauftrag das Fahrzeug offenbar einer besonders aufmerksamen Überprüfung unterzieht. Schließlich muss er begründen, warum sein Gutachten das Zwanzigfache einer Pickerl-Überprüfung kostet. Er überprüft wesentlich genauer, als dies bei einer §-57a-KFG-Überprüfung der Fall ist, ohne unbedingt die Prüfvorgaben der Prüf- und Begutachtensverordnung besonders zu berücksichtigen.

Weshalb Gutachter Schrammel dem Gericht auch nicht erläutern konnte, wie der ÖAMTC seine – auch seinem Gutachten zugrunde gelegte – Sicherheitsüberprüfung definiert. Diese ermöglichte es Frau Raml, mit ihrem Auto auch nach der ÖAMTC-­Überprüfung und „Gefahr im Verzug“ einen langen Winter mehr als 12.000 Kilometer problemlos ­zurückzulegen.

Von einem solchen Prüfbericht erwarten sich die Clubmitglieder nicht nur einen Ist-Zustand, sondern möglicherweise eine Prognose über die Betriebstüchtigkeit bis zum nächsten „Pickerl“. Verteidiger Dr. Michael Zerobin bleibt trotz des Freispruchs kritisch:  Ein genauerer Gutachtensauftrag und ein der Prüfungsordnung kundigerer Sachverständiger hätten der Republik und dem Beschuldigten wahrscheinlich den Aufwand für dieses ­Gerichtsverfahren ersparen können. •